Ausland30. Dezember 2019

Hyperschallrakete einsatzbereit

Rußland: Waffentechnik in Reaktion auf USA-Abwehrsysteme entwickelt

Rußlands Armee hat ihre neue Hyperschallrakete »Awangard« in Dienst gestellt. Verteidigungsminister Sergej Schoigu teilte mit, das erste mit der Waffe ausgestattete Regiment sei einsatzbereit, berichtete die Zeitung »Komsomolskaja Prawda« am Samstag. Seinem Ministerium zufolge wurde Präsident Wladimir Putin am Freitag offiziell informiert. Schoigu hatte die Stationierung bereits am Dienstag auf einer Kollegiumssitzung seines Ministeriums, an der Putin teilnahm, angekündigt.
Schoigu sprach von einem »Meilenstein für das Land und die Armee«. Die neue Waffe ist demnach in der Region Orenburg im südlichen Ural aufgestellt.

Vizeverteidigungsminister Alexej Kriworutschko sagte am Samstag der Armeezeitung »Krasnaja Swjesda«, die Serienproduktion sei bereits angelaufen.

Die Rakete ist den Angaben zufolge mehr als 20mal so schnell wie der Schall (Mach 20). Sogar eine Geschwindigkeit von Mach 27 soll möglich sein – das wären mehr als 33.000 Kilometer pro Stunde. Da das Ziel und die Flughöhe noch im Flug geändert werden können, bezeichnete Putin den Raketentyp seinerzeit als »praktisch unbesiegbar«. Sie könne von heutigen Abwehrsystemen nicht abgefangen werden. Die »Awangard« sei weltweit die erste interkontinentale Rakete dieser Art, erläuterte Wassili Kaschin, Forscher an der Moskauer Hochschule für Wirtschaft, der Nachrichtenagentur AFP. »Das ist eine große wissenschaftliche Leistung.« Bei einem Testflug vor einem Jahr, am 26. Dezember 2018, vom Ural zu einem Testgelände in Kamtschatka am Ochotskischen Meer im Nordosten Rußlands legte die »Awangard« eine Strecke von 6.000 Kilometern zurück.

Laut russischen Medienberichten wurde die Rakete gemäß dem Abrüstungsvertrag »New Start« mit den USA Ende November USA-Inspektoren gezeigt. Putin hatte die Waffe im März 2018 angekündigt. Sie sei eine Antwort auf die Raketenabwehrsysteme der USA. Der Präsident hatte erst kürzlich gefordert, militärische Aktivitäten des Westens und die mögliche Stationierung von USA-Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa im Blick zu haben. Im kommenden Jahr sollen, kündigte er an, die russischen Streitkräfte weitere hochmoderne Waffensysteme erhalten.

Arnold Schölzel

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Den Westen überholt

Das hat gesessen. Am Dienstag vergangener Woche kündigten Rußlands Präsident Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu an, daß noch in derselben Woche das erste Hyperschallwaffensystem, die Interkontinentalrakete »Awangard«, einsatzbereit sein werde. Weitere moderne Waffen sollen bald folgen. Den meisten »Qualitätsmedien« des Westens war das keine Notiz wert. Am 24. Dezember nichts im dpa-Bericht, erst am Samstag folgte eine dürre Meldung. AFP hatte immerhin schon am Freitag berichtet. Die großbürgerliche »FAZ« knöpfte sich am selben Tag Putins Äußerungen zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges vor, erst am Ende des Artikels findet sich ein säuerlicher Satz zum Hauptgegenstand seiner Ausführungen: Der Präsident habe Waffen aufgezählt, »deren Funktionsfähigkeit indes teils fragwürdig ist«.

Die Ankündigung, daß »Awangard« einsatzbereit sei, überlesen oder ignorieren solche »Korrespondenten«. Sie schreiben ersatzweise über den angeblich unaufhaltsamen Niedergang Rußlands auf allen Gebieten, da können Wissenschaft und Technik nicht berücksichtigt werden. Die Herrschaften beschreiben so vor allem den Niedergang ihres Journalismus und unterbieten selbst die Berichterstattung während des ersten Kalten Krieges.

Um den geht es auch bei dieser Waffenentwicklung. Ob Rußland, wie Putin selbst einmal meinte, mit ihr etwas Ähnliches geleistet hat wie die Sowjetunion mit dem Start des ersten künstlichen Satelliten 1957, mögen Fachleute beurteilen. Damals gab es im Westen den »Sputnik-Schock«, heute, scheint es, bekommen die Kreml-Astrologen nicht einmal mit, wenn die USA und ihre Verbündeten technisch überholt werden. Putin sprach jedenfalls am Dienstag von »einer einzigartigen Situation« in der jüngeren Geschichte Rußlands. Es habe ebenso wie die Sowjetunion stets nur nachgeholt, was der Westen vorgelegt habe: Atomwaffen, strategische Bomber, Interkontinentalraketen. Nun aber versuche man, »uns einzuholen«. Kein anderes Land verfüge über Hyperschallwaffen.

Putin und Schoigu wiesen des öfteren darauf hin, daß die Arbeiten an diesen Systemen in Rußland nach der Kündigung des ABM-Vertrages über Raketenabwehr durch Washington im Jahr 2002 begannen. Das Auslaufen des INF-Vertrages über landgestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen im August 2019, das von Donald Trump mit Lügen und der Entwicklung eigener Waffen vertragswidrig vorbereitet wurde, kam hinzu. Die Errichtung von USA-Abwehrsystemen in Rumänien und Polen vollendet zusammen mit den unentwegten NATO-Manövern gegen Rußland die Bedrohungslage.

Klar ist, wer das neue Wettrüsten begann und wer reagierte. Allerdings gilt auch: Der technische Vorsprung der Sowjetunion im Jahr 1957 verhinderte nicht ihren Untergang 34 Jahre später. Der Westen tut alles, um diese Frist für das heutige Rußland abzukürzen. Die Nuß, die er knacken will, ist härter geworden.

A. S.

Präsident Putin (5.v.l.) beobachtet im Kontrollzentrum den Start der Rakete
(Foto: Mikhail KLIMENTYEV/SPUTNIK/AFP