Leitartikel04. September 2025

Wie pflegt man Feindbilder?

von Uli Brockmeyer

Ganz Europa ist in heller Aufregung. Ganz Europa? Nein, eigentlich nur diejenigen, die mit aller Kraft Feindbilder produzieren und pflegen wollen, um auf unsere Kosten unvorstellbare Berge von Geld in die Produktion von Waffen zu stecken und deren Einsatz auf dem Schlachtfeld zu sichern.

Was war geschehen? Bei einem Flug der Chefin der EU-Kommission in die bulgarische Stadt Plowdiw gab es eine Störung im Navigationssystem. Laut Meldungen mußten die Piloten auf das altmodische Kartenlesen zurückgreifen. Um eine Sensation daraus zu machen, wurde eine ernste Gefahrensituation dargestellt, der Flug habe eine Stunde länger gedauert, die Landung sei aber – Gott oder wem auch immer sei es gedankt – glimpflich verlaufen. Nicht näher bezeichnete »bulgarische Behörden« wurden zitiert mit der Behauptung, es habe sich um einen russischen Cyberangriff gehandelt.

Schon weniger als einen Tag später löste sich der »Angriff« auf die Anführerin der EU-Kommission gewissermaßen in Wohlgefallen auf. Die Webseite Flightradar24 meldete: »Der Flug war für 1 Stunde und 48 Minuten geplant. Er dauerte 1 Stunde und 57 Minuten«. Aus Sofia hieß es, Ermittlungen würden nicht eingeleitet.

Diese Episode reicht jedoch, um Schlagzeilen zu produzieren und »Experten« zu Wort kommen zu lassen, die wie bestellt bestätigen, es handle sich um elektronische Kriegführung. Und dafür ist »der Russe« ja bekannt. »Uns« im »Werte«-Westen würde so etwas nie einfallen.

Kein geringerer als NATO-Generalsekretär Mark Rutte konnte auch seinen Senf dazugeben und bei seinem Besuch in Luxemburg am Dienstag einem Journalisten vom »Tageblatt« in den Block diktieren: »Eines Tages könnte das auch Luxemburg oder die Niederlande betreffen. … Wir denken zwar, daß wir weit weg von Rußland seien, dabei sind wir ganz nah dran.«

Nun, der Mann muß es wissen. Ganz klar ist Rußland in den letzten dreißig Jahren immer näher an die NATO herangerückt. Polen, das Frau von der Leyen soeben besucht hatte, liegt direkt nebenan, und auch Bulgarien! Deshalb war im Zusammenhang mit der Reise der Kommissionschefin auch die Rede von einem »Frontstaaten-Besuch«.

Und der Herr vom »Tageblatt« weiß noch mehr. Nach der Bemerkung des zivilen NATO-Chefs, ein Überfall auf ein NATO-Land würde »den Bündnisfall auslösen«, weist er darauf hin, dies könne »womöglich eine Art Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts« werden. Weiß der Autor wirklich nicht, daß der Angriff der japanischen Kriegsflotte am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbor der Regierung und der Militärführung der USA vorher bekannt war? Daß dennoch nichts unternommen wurde, um die Menschen auf Hawaii davor zu schützen? Daß der Überfall als Anlaß benutzt wurde, um – entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung – den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg durchzusetzen?

Sucht man jetzt ein neues Pearl Harbor? Auf jeden Fall werden dazu Feindbilder gebraucht, und die müssen täglich gepflegt und verstärkt werden. Die Milliarden für immer neue Waffen und immer neue »NATO-Ziele« müssen ja begründet werden, und man braucht handfeste Argumente, um auch in Luxemburg jeden Widerstand rechtzeitig zum Schweigen zu bringen. »Wir wissen, daß Rußland eine langfristige Bedrohung für die NATO darstellt«, sagte Rutte. Und für die Pflege der Feindbilder müssen eben immer wieder »Beweise« herbeigezaubert werden.