Leitartikel22. März 2025

Wozu die »alternativen« Berechnungsmethoden des Patronats dienen

von Ali Ruckert

Es ist nicht neu: Seit Jahr und Tag behaupten Patronatsvereinigungen, hierzulande stagniere die Produktivität, und die Rentabilität der Betriebe sei niedriger als in unseren Nachbarländern.

Abgesehen davon, dass die Produktivität in einer Reihe von Wirtschaftsbereichen schwierig zu messen ist, sind die Berechnungsmethoden, derer sich das Patronat oder ihm nahestehende Wirtschaftsinstitute und Stiftungen nicht nur hierzulande bedienen, so ausgelegt, dass sie keineswegs ausschließlich auf die objektive Realität ausgerichtet sind, sondern ganz nebenbei auch noch gewissen Interessen des Kapitals Rechnung tragen.

Das hat aus ihrer Sicht gute Gründe, denn, wo kämen wir denn hin, wenn plötzlich die Schaffenden merken würden, dass die Produktivität eigentlich hoch ist, sie aber ganz wenig von dem geschaffenen Mehrwert abbekommen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die jüngste Veröffentlichung der »Chambre des salariés«, die feststellt, dass die nominale Produktivität, der sie sich im Gegensatz zum Patronat für ihre Berechnungen bedient, weil sie zuverlässig gemessen werden kann, in Luxemburg seit 1995 jährlich im Durchschnitt um 2,8 Prozent zunahm. Demzufolge war die durchschnittliche Produktivität eines Lohnabhängigen in Luxemburg 1,8-mal höher als der EU-Durchschnitt und zwischen 30 und 70 Prozent höher verglichen mit unseren Nachbarländern. Also keine Spur von »Stagnation«.

Zur Realität gehört auch – und auch das kann man messen –, dass das Patronat sich den größeren Teil des durch die hohe Produktivität geschaffenen Mehrwerts aneignet, so dass die Ausbeutungsrate in Luxemburg deutlich höher ist als in unseren Nachbarländern. Das wird gerne ausgeblendet, da die Ausbeutung von Arbeitskraft, wenn man dem Patronat und seinen vielen politischen und ideologischen Wasserträgern Glauben schenkt, nur in Afrika, Asien und Lateinamerika stattfindet.

Trotz der hohen Produktivität und der höheren Ausbeutungsrate ist die Investitionsrate in vielen Wirtschaftsbereichen nicht so hoch wie sie sein sollte, um den Anschluss an die technologische Entwicklung zu halten, innovative Produktionsmethoden zu fördern und die Arbeitsplätze langfristig abzusichern.

Hinzu kommt, dass die Löhne im Vergleich zur hohen Ausbeutungsrate deutlich zu niedrig sind und zusätzlich wenig Geld in die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und Weiterbildungsmaßnahmen fließt, weil das für viele nicht zum Kerngeschäft gehört, obwohl das langfristig Hindernisse für die Entwicklung der Produktivität sind, auch wenn damit die kurzfristigen Profiterwartungen geschmälert werden.

Weshalb das Patronat so auf »alternative« Berechnungsmethoden pocht, hat damit zu tun, dass sie zu der Nebelwand beitragen, welche notwendig ist, um die Lohnabhängigen daran zu hindern, die tatsächlichen Ausbeutungsverhältnisse zu erkennen und zumindest einen höheren Anteil an dem von ihnen geschaffenen Mehrwert zu fordern, sei es über höhere Lohnforderungen, Arbeitszeitverkürzung oder sonstige kollektivvertragliche Verbesserungen.

Gegenwärtig erleben wir, dass es in die gegenteilige Richtung geht, und dass die erfundene »Stagnation« der Produktivität und die vorgeschobenen »schwierigen Wettbewerbsbedingungen« dazu gebraucht werden, Lohnforderungen zu verhindern, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, etwa über eine vollständige Liberalisierung der Öffnungszeiten im Einzelhandel und im Lebensmittelhandwerk, oder über Verschlechterungen im öffentlichen Rentensystem. Damit das alles gelingt, bedarf es auch der Einschränkung der Rechte der Gewerkschaften.

Sich dem zu widersetzen, ist unser aller Pflicht!