Notwendige Richtigstellung
Wladimir Putin setzt westlicher Geschichtsrevision eine realistische Darstellung entgegen. Treffen der Staats- und Regierungschefs der Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates vorgeschlagen
»Wer war schuld am Zweiten Weltkrieg? Wie Putin die Geschichte umdeutet.« (ARD-Sender MDR), »Kritik am Hitler-Stalin-Pakt ist unpatriotisch: Wer in Rußland die Politik des Sowjetdiktators während des Kriegs kritisch darstellt, kann Schwierigkeiten bekommen.(…) In immer schärferen Tönen schwört Wladimir Putin die Russen auf seine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg ein.« (»FAZ«) Die Politisierung der Geschichte, genauer, die politische Revision des Griffs des deutschen Finanzkapitals zur Weltmacht und die Verwandlung seiner katastrophalen Niederlage in eine politisch-ideologische Angriffswaffe, hat mit dem Aufstieg Deutschlands zur Vormacht in der EU dramatisch an Schärfe zugenommen.
Der russische Präsident hat es für erforderlich gehalten, dieser Geschichtsrevision entgegenzutreten, die nun auch, mit Beschluß vom 19. September 2019, zur ideologischen Grundlage und zur Stoßrichtung des politisch-strategischen Kampfes des EU-Parlaments geworden ist.
Die EU hat ganz im Sinne der »Atlantiker« die antirussische Sanktions- und Konfrontationspolitik ideologisch mit einem vorgeblich totalitarismustheoretischen »Argument« unterfüttert. Einer »Argumentation«, die formal Faschismus und Kommunismus gleichsetzt, de facto aber Antikommunismus und Russophobie meint. Damit hat sich die EU freiwillig in die Restriktionen der antirussischen- und immer mehr auch antichinesischen Blockade- und Kriegspolitik der USA einzwängen lassen. Unter Verletzung elementarer eigener Interessen. Von der groben Verfälschung der historischen Wahrheit gar nicht zu reden.
Wladimir Putin hat einen längeren, sehr lesenswerten nachdenklichen Beitrag verfaßt, der das Gedenken an die Vergangenheit mit seiner Sorge um die Zukunft verbindet. Es ist das tiefe kollektive Gefühl, gemeinsam einer existentiellen Herausforderung entgegengetreten zu sein und sie unter millionenfachen Opfern bestanden und überwunden zu haben, was auch den Präsidenten antreibt: »Die UdSSR verlor jeden siebten Bürger, das Vereinigte Königreich verlor einen von 127 und die Vereinigten Staaten verloren einen von 320.« Er schreibt über die tief beeindruckende Tradition des »Unsterblichen Regimentes«: »Millionen von Menschen gehen mit Fotos ihrer Verwandten, die das Vaterland verteidigt und den Nazismus besiegt haben, zu den Veranstaltungen. Das bedeutet, daß ihr Leben, ihre Prüfungen und Opfer, der Sieg, den sie uns gegeben haben, niemals vergessen werden.«
»Die Ursachen des Zweiten Weltkriegs sind größtenteils auf die Entscheidungen zurückzuführen, die nach dem Ersten Weltkrieg getroffen wurden«, bemüht sich der Autor um Erklärungen. Der Versailler Vertrag sei »für Deutschland zu einem Symbol tiefer Ungerechtigkeit geworden«. De facto sei es darum gegangen, »das Land auszurauben, das den westlichen Verbündeten enorme Reparationen zahlen mußte, was seine Wirtschaft vollkommen erschöpft hat«.
Im Gegensatz zu der pauschalen westlichen Geschichtspropaganda bemüht sich Putin um eine detaillierte faktenbasierte Argumentation, welche die dramatische Entwicklung der 1930er Jahre kenntnisreich nachzeichnet. Er habe »aus den Archiven die ganze Palette von Dokumenten angefordert, die mit Kontakten der UdSSR mit Deutschland während der dramatischen Tage im August und September 1939 zusammenhängen«. Man könne Stalin und seinem Umfeld »völlig zu Recht vieles vorwerfen. Wir erinnern uns sowohl an die Verbrechen des Regimes gegen sein eigenes Volk, als auch an die Schrecken der massenhaften Repressionen (…) aber man kann ihnen keinen Mangel am Verständnis von äußeren Bedrohungen vorwerfen. Sie sahen, daß man versuchte, die Sowjetunion alleine gegen Deutschland und seine Verbündeten zu lassen, und die sowjetische Führung handelte ausgehend von dieser realen Gefahr, um wertvolle Zeit für die Stärkung der Verteidigung des Landes zu erkaufen.«
Als ein Schlüsselereignis sieht Putin »die Münchner Verschwörung«. Mit dem »Münchner Abkommen«, wie es im Westen beschönigend heißt, an dem »neben Hitler und Mussolini die Führer Großbritanniens und Frankreichs beteiligt waren, wurde mit der vollen Zustimmung des Rates des Völkerbundes die Zerstückelung der Tschechoslowakei beschlossen«. Dabei habe auch Polen mit Deutschland zusammengearbeitet: »Sie haben im Voraus und gemeinsam entschieden, wer welche Teile der Tschechoslowakei bekommen wird.«
»Großbritannien und auch Frankreich, das damals der wichtigste Verbündete der Tschechen und Slowaken war«, unterstreicht der russische Präsident, »haben sich entschieden, ihre Garantien aufzugeben und das osteuropäische Land seinem Schicksal zu überlassen. Sie haben die Tschechoslowakei nicht nur im Stich gelassen, sondern haben damit die Bestrebungen der Nazis mit dem Ziel nach Osten gelenkt, daß Deutschland und die Sowjetunion unweigerlich zusammenstoßen und sich gegenseitig ausbluten würden.« Das sei der politische Inhalt der Appeasement-Politik gewesen, schreibt der Autor, »und zwar nicht nur in Bezug auf das Dritte Reich, sondern auch auf andere Mitglieder des sogenannten Antikomintern-Paktes, also das faschistische Italien und das militaristische Japan. Seinen Höhepunkt fand das im Fernen Osten im anglo-japanischen Abkommen vom Sommer 1939, das Tokio Handlungsfreiheit in China gab.«
»Die Siegermächte hinterließen uns ein System, das zur Quintessenz intellektueller und politischer Bestrebungen mehrerer Jahrhunderte wurde«, so Putin, sie legten »den Grundstein dafür, daß die Welt trotz schärfster Gegensätze seit 75 Jahren ohne globalen Krieg lebt. (…) Der UNO-Sicherheitsrat wurde so erarbeitet, daß er als Garant des Friedens maximal handlungsfähig war. So entstanden die Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, ihr Vetorecht, ihre Privilegien und ihre Verantwortung.«
Diese Ständigen Mitglieder stünden auch heute in der Verantwortung und die russische Seite schlage ein Treffen ihrer fünf Staats- und Regierungschefs vor. Themen könnten sein: »Schritte zur Entwicklung kollektiver Ansätze in der Weltpolitik«, »Fragen der Friedenserhaltung, der Stärkung der globalen und regionalen Sicherheit, der Kontrolle strategischer Waffen«, »Anstrengungen zur Bekämpfung des Terrorismus, des Extremismus« und ähnliches. Aber auch »die Lage in der Weltwirtschaft, insbesondere die Überwindung der Wirtschaftskrise, die durch die Coronavirus-Pandemie verursacht wurde«.
Es wäre zu hoffen, daß, bei aller unterschiedlichen Bewertung der Vergangenheit, zumindest der konstruktive Ansatz des russischen Präsidenten auf Resonanz stoßen wird. Angesichts der Reaktionen der Kartellmedien und der verschärften antirussischen und antichinesischen Politik und Propaganda in Corona-Zeiten ist diese Hoffnung allerdings begrenzt.
Klaus Wagener
Präsident Putin begrüßt Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion anläßlich der Einweihung eines Denkmals für die Sowjetsoldaten am 30. Juni 2020 in Rshew
(Foto: Michail Klimentjew/SPUTNIK/AFP)