Leitartikel14. Februar 2024

Botschafter des Finanzkapitals

von Ali Ruckert

Während der vergangenen Jahrzehnte und bis heute ist die Europäische Union im Allgemeinen und die EU-Kommission im Besonderen eine Triebfeder der Liberalisierung und Privatisierung. Dazu zählt die schrittweise Liberalisierung vormals unter öffentlicher Regie stehender Dienste, darunter der Energiebinnenmarkt, Telekommunikation, Eisenbahn und Postdienste.

Die Liberalisierungspolitik, die im Auftrag und im Interesse von Konzernen und Finanzimperien erfolgte, denen sie neue Ausbeutungs- und Profitquellen eröffnete, wurde damit begründet, dass »der Markt« durch mehr Wettbewerb diese Dienste kostengünstiger, effektiver, effizienter, flexibler und bedarfsgerechter bereitstellen könne, bei höherer Servicequalität und verbunden mit einem deutlichen Wachstum an Arbeitsplätzen.

Wir brauchen nicht in die Ferne zu schweifen und als Beispiel die Eisenbahn in Britannien anzuführen, die kaputtliberalisiert und -privatisiert wurde, sondern finden genügend Beispiele hierzulande, die zeigen, welche negativen Folgen damit verbunden sind. Im Postbereich zählt dazu unter anderem, dass das Briefträgerstatut kaputt gemacht wurde, ein Teil der Post-Beschäftigten mit Niedriglöhnen angestellt sind, Dutzende von Postbüros geschlossen wurden und immer mehr auf verschachtelte Subunternehmen zurückgegriffen wird, um zu sparen. Mit Ausnahme der Kommunisten wehrten sich allerdings nur wenige dagegen.

Der Schaden, der in den vergangenen Jahrzehnten angerichtet wurde, beschränkt sich aber nicht auf die Privatisierung und Liberalisierung von Wirtschaftsbereichen und Dienstleistungen. Die Vorgaben und Verordnungen der EU-Kommission, die das alleinige Initiativrecht beim Erlass von Rechtsvorschriften hat, hatten auch negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen in den EU-Ländern, zum Beispiel, indem bis heute eine deutliche Einschränkung der Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung verhindert wird, ganz im Sinne der Profite des Groß- und Finanzkapitals.

Die abzusichern ist auch die Rolle der »Expertengruppen« der EU-Kommission, die in der Regel zugunsten der Unternehmensinteressen besetzt sind, und der 15.000 bis 20.000 hauptberuflichen Lobbyisten, die in Brüssel sitzen und von denen die allermeisten ganz offen im Auftrag von Kapitalgesellschaften aus den EU-Ländern und den USA tätig sind oder als vermeintlich unabhängige Mitglieder von »Expertengruppen« Unterseeboote von Konzernen und Banken sind.

Angesichts solcher Umstände dürfte es kaum ins Gewicht fallen, wenn die neue CSV-DP-Regierung, deren Premier sich als Betriebschef des Unternehmens Luxemburg sieht, den obersten Lobbyisten des hiesigen Finanzplatzes, den Direktor von »Luxembourg for Finance«, zum Botschafter Luxemburgs bei der EU ernennen will.

Das wird es dem hierzulande angesiedelten Finanzkapital ermöglichen, direkt über die Ständige Vertretung Luxemburgs bei der EU-Kommission Einfluss zu nehmen, statt zusätzliche teure Lobbyisten nach Brüssel zu schicken.

Dieser Taschenspielertrick ist ein weiteres Indiz dafür, dass die neue Regierung, wenn es um die Durchsetzung der Interessen des Finanzkapitals geht, alle Hemmungen abgelegt hat – anders als die vorige Dreierkoalition, die noch versuchte, den Ball flach zu halten, wenn sie wieder einmal die öffentlichen Finanzen zugunsten von Banken und Unternehmen umverteilte.

In beiden Fällen bezahlen die Schaffenden die Zeche.