Ausland28. Juni 2025

Krieg gegen Gaza muß gestoppt werden

Die palästinensische Perspektive im Libanon

von Karin Leukefeld, Beirut

Wissam Abu Zeid ist Direktor der Presseabteilung in der Palästinensischen Botschaft in Beirut. Das Gebäude liegt in einer Seitenstraße und wirkt von außen wie eine Festung. Sein Schreibtisch ist übersät mit Papieren und Ordnern, vor ihm auf einem Gestell ist sein Handy installiert, dessen Klingelton auf stumm gestellt ist, wie er entschuldigend sagt. Er bekomme so viele Anrufe, »daß ich nichts erledigen könnte, wenn ich alle annehmen würde.«

Es ist der 10. Juni, die Kritik an der israelischen Kriegsführung gegen die Palästinenser im Gazastreifen ist selbst in den europäischen Hauptstädten lauter geworden. Dann wird eine neue Resolution im UNO-Sicherheitsrat von den USA mit einem Veto blockiert. Herrn Abu Zeid ist die Empörung anzusehen. Über die Lage der Palästinenser im Libanon und über die geplante Entwaffnung der Flüchtlingslager könne er leider nicht sprechen, sagt er. »Alles was Sie über Gaza und die Westbank wissen möchten, will ich gern beantworten.«

Über 56.000 Tote

Das Scheitern der Resolution im UNO-Sicherheitsrat für einen sofortigen Waffenstillstand sei unakzeptabel, so Abu Zeid. »Seit 20 Monaten dauert der Krieg gegen Gaza und muß unbedingt gestoppt werden.« Den Preis zahle die Bevölkerung, Kinder, Frauen, Männer jeden Alters, fährt er fort. »Der Gaza-Streifen ist zu 75 Prozent zerstört«, es sei »schlimmer als die Hölle auf Erden«, wie es kürzlich die Direktorin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in einem BBC-Interview gesagt habe. »Wie sollen die Menschen dort noch leben?« Israel zerstöre weiter jeden Aspekt palästinensischen Lebens im Gaza-Streifen: »Die Luft wird verschmutzt, Steine zertrümmert, die Infrastruktur zerstört.« Die Menschen könnten sich nicht frei bewegen.

In aller Welt könnten Menschen das Grauen in Gaza am Fernsehen verfolgen, Israel bringe Horror und Terror über die Menschen, die israelische Regierung spiele mit dem Feuer. Wenn die Menschen die tägliche Ermordung der Palästinenser als »normal« ansehen, was werde das für die Welt bedeuten?! »Die Staaten, die Israel weiter unterstützen, müssen aufhören, die mörderischen Waffen zu liefern, mit denen die Palästinenser, mit denen Zivilisten getötet werden«, sagt Herr Abu Zeid. »Wir haben 60.000 Studenten verloren, 60.000 Kinder, 12.000 Frauen und die Zahl der Toten beträgt offiziell 55.000.« Wie viele es tatsächlich sind, wisse man gar nicht. Als dieser Artikel veröffentlicht wird, ist die Zahl der Toten bereits auf mehr als 56.000 Tausend gestiegen.

Hauszerstörungen und Vertreibung

Herr Abu Zeid spricht auch über das Westjordanland, die Westbank, wo israelische Siedler unter dem Schutz der israelischen Armee gegen die Palästinenser vorgehen. Die Angriffe auf die palästinensischen Flüchtlingslager hätten ein ungeheures Ausmaß angenommen, sagt er. Am frühen Morgen sei bekannt geworden, daß die israelische Armee im Flüchtlingslager Jenin 100 Häuser zerstört habe. Das gleiche geschehe in den Lagern um Tulkarem und Nablus, täglich würden dort palästinensische Häuser zerstört und die Menschen vertrieben. »Und täglich stürmen um die 100 Siedler in die Al Aksa Moschee in Ostjerusalem, um die Gläubigen von dort zu vertreiben«, fügt er hinzu.

»All das verstößt gegen das internationale und humanitäre Recht, gegen die UNO-Charta und gegen die Resolution 242. Wenn die internationale Gemeinschaft dem israelischen Treiben kein Ende setzt, wird noch mehr Blut vergossen.« Palästina müsse endlich als Staat anerkannt werden, damit den Menschen auch international Schutz gewährt werde. »Die Menschen weltweit haben das längst verstanden, die Regierungen in Europa müßten dem endlich folgen.«

In den folgenden Tagen bestimmt der israelische nicht-provozierte Angriff auf den Iran die Schlagzeilen, der Krieg in Gaza, die täglich steigenden Todeszahlen, die Verwüstungen im Westjordanland geraten in den Hintergrund.

Niemand wird auf das Recht auf Rückkehr verzichten

Der palästinensische Journalist Anis Mohsen ist sich sicher, daß die palästinensischen Flüchtlinge, die im Libanon seit 1948 in zwölf Lagern leben, sicherlich alle nach Palästina zurückkehren würden, sollte endlich eine Lösung gefunden werden. Selbst wenn viele Palästinenser in den letzten Jahren über Umsiedlungsprogramme den Libanon verlassen konnten und heute in Kanada oder Australien lebten, würden sie ihr Recht auf Rückkehr nie aufgeben. In Gaza und im Westjordanland seien die Kräfte geschwächt und die Lebensbedingungen durch das israelische Vorgehen seien unmenschlich und katastrophal. Doch der Aufstand der Jugend an den Universitäten in den USA, Kanada und auch in Europa mache Hoffnung.

»Diese jungen Leute wissen viel und sie sind entschlossen für die Rechte der Palästinenser einzutreten. Ihre Aktionen, ihre Proteste sind sehr wichtig, um die öffentliche Meinung in westlichen Ländern zu verändern«, so Mohsen. In Kanada und in den USA gebe es die Jugendbewegung Palestine Youth Movement (PYM), und einige von ihnen kämen nach Beirut, um sich über die Geschichte der Palästinenser und ihren Widerstand zu informieren, um diese Informationen dort, wo sie lebten, in die Öffentlichkeit zu tragen. »Die Hauptschlagader Israels ist mit dem Westen, mit der EU und den USA verbunden, dort beginnen die ersten zu verstehen, daß der Kampf der Palästinenser sich gegen ein koloniales Siedlerprojekt Israels richtet, das von Europäern errichtet und ernährt wird. Die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern zu erreichen und zu ändern, ist sehr wichtig für den Kampf um die palästinensische Freiheit und Unabhängigkeit.“

Deutschland blockiert EU-Sanktionen gegen Israel

Während diese Zeilen geschrieben werden, erreichen die neuen Nachrichten vom EU-Gipfel in Brüssel auch die libanesische Hauptstadt Beirut. Trotz der massiven und offensichtlichen israelischen Verstöße gegen humanitäres Recht in Gaza kommt es nicht zu einer gemeinsamen Entscheidung, Sanktionen gegen Israel zu verhängen, wie es von einigen Staaten gefordert worden war. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz habe sich »mit aller Kraft dagegen gestemmt«, das Partnerschaftsabkomme der EU mit Israel auszusetzen, berichten deutsche Medien.

Man nehme den Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes zur Kenntnis, heißt es in der Abschlußerklärung des Gipfeltreffens. Es gebe zahlreiche Hinweise, »das Israel seine Menschenrechtsverpflichtungen »verletzt haben könnte«, heißt es dort im vagen Konjunktiv. »Seit dem Morgen seien dabei 45 Palästinenser ums Leben gekommen. Darunter seien fünf Todesopfer, in der Nähe eines Verteilzentrums auf humanitäre Hilfe gewartet hätten und durch israelischen Beschuß getötet worden seien«, melden Agenturen.

Die UNO nennt die Verteilzentren »Todesfallen«. Diese Zentren werden von einer US-amerikanisch-israelischen Gaza Humanitären Stiftung (GHF) betrieben. Die USA-Administration gab am Freitag bekannt, daß der Stiftung weitere 30 Millionen US-Dollar überwiesen wurden.

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Unsere Korrespondentin Karin Leukefeld wird am 6. Juli um 15.30 beim »Wisefest der Zeitung« am Rundtischgespräch zum Thema »Stoppt den Krieg in Gaza und im Nahen Osten« teilnehmen, über ihren jüngsten Aufenthalt im Libanon berichten und Fragen zur Situation beantworten.