Ausland06. August 2024

Es begann nicht erst in Sarajevo …

Zum Beginn des Ersten Weltkrieges vor 110 Jahren

von Robert Steigerwald

Der marxistische Philosoph Robert Steigerwald schrieb in der Wochenzeitung der Deutschen Kommunistischen Partei »Unsere Zeit« vor 20 Jahren zum Beginn des Ersten Weltkriegs und stellte dabei den Zusammenhang von Kriegsführung und imperialistischen Interessen des deutschen Monopolkapitals heraus.

Man wird in den Tagen, da sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges jährt, viel über den Mord von Sarajevo hören und lesen, auch das eine oder andere, das die kriegstreiberische Rolle der deutschen Seite hervorheben dürfte, doch insgesamt dürften die wirklichen Hintergründe nicht ans Tageslicht gezogen werden: Der Krieg wurde viel früher geplant und vorbereitet.

Der bis Kriegsbeginn 1914 geheim gehaltene Feldzugsplan wurde durch Graf Schlieffen schon 1905 ausgearbeitet. Schlieffen ging davon aus, daß Rußland für den Fall eines Krieges, den es im Bunde mit Frankreich gegen das Deutsche Reich führen werde, wegen innerer Schwächen – gering ausgebaute Eisenbahnkapazitäten, große zu überwindende Räume – längere Zeit brauche, um nach der Mobilmachung seine Truppen in Angriffsposition bringen zu können. Deshalb sollte zunächst in einer gewaltigen Angriffsoperation das französische Heer vernichtet werden, bevor die Deutschen dann ihre gesammelte Kraft gegen Rußland werfen könnten. Dabei sah dies die Mißachtung der Neutralität von Belgien und Luxemburg vor.

Als der Plan erarbeitet wurde, herrschten einige Besonderheiten. Rußland befand sich im Krieg mit Japan, den es verlor und aus dem der deutsche Imperialismus und Militarismus Lehren zog. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt mit der Modernisierung des militärischen Potentials Frankreich und Rußland voraus. Ein Kriegsbeginn 1905 wäre für die deutschen Imperialisten am günstigsten gewesen. Aber damals gab es kein Sarajevo!

»Zudem kann ich in einem solchen Augenblick wie jetzt, wo die Sozialisten offen Aufruhr predigen und vorbereiten, keinen Mann aus dem Land ziehen ohne äußerste Gefahr für Leben und Besitz seiner Bürger. Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen – wenn nötig per Blutbad – und dann Krieg nach außen!« So der Kaiser in einem Brief, dessen letzter Satz genauso von Hitler stammen könnte!

Ein späterer Zeitpunkt für den Kriegsbeginn als der von 1914 wäre für die deutschen Imperialisten und Militaristen jedoch unvorteilhafter gewesen, da bis dahin Frankreich und Rußland die Modernisierung ihrer Armeen beendet haben würden. Aus diesem Grund hat die Berliner Regierung Österreich angehalten, den Serben nach dem Mord von Sarajevo solche Bedingungen zu stellen, daß diese abgelehnt werden mußten und somit der Krieg nicht mehr hinausgeschoben werden konnte.

Es gab im deutschen Imperialismus zur Kriegsfrage durchaus unterschiedliche Ansichten. Ein Teil des Imperialismus träumte von einer Expansion Deutschlands in Afrika auf Kosten der belgischen und portugiesischen Kolonien, um einer Konfrontation mit England und Frankreich aus dem Weg gehen zu können, doch diese Kräfte setzten sich nicht durch.

Die Deutsche Bank trat für die Nahost-Linie ein, weil sie an der Bagdad-Bahn interessiert war, womit sich der deutsche Imperialismus Indien, also dem britischen »Besitz«, näherte. Krupp war an der Panzerplatten- und Kanonenlieferung für die Kriegsflotte interessiert, was ebenfalls auf eine Bedrohung Englands hinauslief. Mannesmann wollte an das afrikanische Erz, was französische Interessen bedrohte. Die Discontbank richtete ihren Blick nach Lateinamerika.

In den Balkankriegen von 1912/13 hatte Serbien auf Kosten der Türkei auf dem Balkan stark an Land und Gewicht zugenommen. Das wirkte sich auf den Vielvölkerstaat Österreich mit seinem großen Anteil an slawischstämmiger Bevölkerung destabilisierend aus, so daß man in der Wiener Regierung begierig nach Gründen suchte, Serbien »in die Schranken« zu verweisen.

Dies ist aber nur die eine Seite. Die andere bestand darin, daß Deutschland durch Stärkung Österreichs auf Kosten Serbiens – das in Rußland seine Schutzmacht sah – den russischen Einfluß auf dem Balkan eindämmen zu können hoffte. Überdies verband sich Deutschland mit der Türkei, die an der Südflanke Rußlands ein Drohpotential darstellte und in der unmittelbaren Nachbarschaft britischer Kolonien lag. So wurden durch das »zu spät kommende« imperialistische und militaristische Deutschland in seinem Bestreben, die Welt »neu« zu ordnen, die Bedingungen dafür geschaffen, in maßloser Selbstüberschätzung sich fast den gesamten europäischen Kontinent zum Feind zu machen und so in den Krieg hineinzuziehen.

Halten wir fest, daß Schlieffens Plan scheiterte, daß ein jahrelanges Völkergemetzel stattfand, wobei nicht nur an den Fronten Millionen umkamen und ein Mehrfaches verkrüppelt heimkehrte, sondern auch im eigenen Land Hunger wütete und ausbrechende Massenkrankheiten Hunderttausende dahinrafften.

Militärische Niederlage und Revolution machten dem Gemetzel ein Ende. Doch dank der Rolle, welche die rechtssozialdemokratische Führung in der Niederwerfung der Revolution übernahm, entstand eine Republik mit dem Hakenkreuz der Freikorps am Stahlhelm, ging der Kaiser, aber die Generale und die Kräfte des Monopolkapitals blieben!