»Alle Maßnahmen ergreifen«
USA-Administration will UNO-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese zum Schweigen bringen
Der Außenminister der USA, Marco Rubio, hat Sanktionen gegen Francesca Albanese verhängt, die Sonderberichterstatterin des Menschenrechtsrates der UNO für die Lage in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Das teilte das USA-Außenministerium am 9. Juli 2025 in einer Presseerklärung mit.
Rubio berief sich auf eine Verordnung 14203, mit der USA-Präsident Donald Trump zuvor bereits Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof verhängt hatte.
Die USA-Administration wirft Francesca Albanese vor, sich an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gewandt zu haben, um Ermittlungen »gegen Staatsangehörige der USA und Israels einzuleiten, sie zu verhaften, inhaftieren oder strafrechtlich zu verfolgen«. Weder die USA noch Israel seien Vertragsparteien des Römischen Statuts. Rubio wirft Francesca Albanese vor, sich nicht an die beiden Staaten gewandt und damit die Souveränität beider Länder »grob verletzt« zu haben.
Francesca Albanese sei »voreingenommen« und »böswillig« und sei »für das Amt einer Sonderberichterstatterin ungeeignet«, heißt es weiter in der Erklärung. Sie verbreite »unverhohlenen Antisemitismus«, unterstütze »Terrorismus« und zeige »offene Verachtung für die Vereinigten Staaten, Israel und den Westen«. Das äußere sich darin, daß sie dem Internationalen Strafgerichtshof empfohlen habe, »Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant zu erlassen«.
Kürzlich habe sie zudem »Drohbriefe an Dutzende Einrichtungen weltweit, darunter große amerikanische Unternehmen aus den Bereichen Finanzen, Technologie, Verteidigung, Energie und Gastgewerbe« verschickt, in denen sie »extreme und unbegründete Anschuldigungen« erhoben habe »und dem IStGH empfiehlt, Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen diese Unternehmen und ihre Führungskräfte einzuleiten«. Albanese betreibe eine »Kampagne der politischen und wirtschaftlichen Kriegsführung«, die die nationalen Interessen und Souveränität der USA bedrohe und di9e nicht toleriert werden könne, ließ der USA-Außenminister erklären. Man werde »alle Maßnahmen ergreifen«, die man für notwendig erachte, man werde die eigene Souveränität und »die unserer Verbündeten« schützen.
Einen Nerv getroffen
Francesca Albanese reagierte in einer ersten kurzen Stellungnahme gegenüber dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera mit einer Textnachricht: »Kein Kommentar zu Einschüchterungstechniken im Stil der Mafia. Ich bin damit beschäftigt, die (UNO-) Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtung zu erinnern, Völkermord zu stoppen und zu bestrafen. Und diejenigen, die davon profitieren.«
Tags darauf sagte sie in einem Interview mit dem Internetportal »Middle East Eye«, sie habe offenbar »einen Nerv getroffen«. Auf die Frage, wie es ihr gehe, erklärte sie, sie sorge sich um die Menschen, »die in Gaza sterben, während wir hier sprechen«. Die UNO sei »völlig unfähig zu intervenieren«. Sie habe dem Internationalen Strafgerichtshof in ihrer Kapazität als unabhängige UNO-Expertin die Einleitung von strafrechtlichen Maßnahmen empfohlen.
Die USA-Administration zerstöre ein internationales Rechtssystem, »das uns alle schützt«, betonte Francesca Albanese. Washington untergrabe »das Fundament der multilateralen Ordnung«. Sie sparte nicht mit Kritik an der Tatenlosigkeit der Organisation der Vereinten Nationen und wies darauf hin, daß es 193 Mitgliedstaaten in der UNO gebe und »wir heißen Vereinte Nationen und nicht Vereinigte Staaten«.
Stephane Dujarric, Sprecher von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, bezeichnete es als »gefährlichen Präzedenzfall«, Sanktionen gegen eine Sonderberichterstatterin des Menschenrechtsrates zu verhängen. Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, der Österreicher Volker Türk, forderte die USA-Administration auf, die Sanktionen gegen Albanese »sofort« aufzuheben. Sie richteten sich »gegen die Arbeit, die sie im Zuge ihres Mandats vornimmt, und zwar die Lage der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten zu beobachten und zu dokumentieren«, sagte Türk. Die USA hatten bereits Anfang Juli gefordert, daß Albanese von ihrem Posten entfernt werden solle.
Mutige Stimme für das Völkerrecht
Der Auslandskorrespondent und langjährige Leiter des Büros der »New York Times« im Mittleren Osten Chris Hedges schrieb unmittelbar nach Bekanntwerden der USA-Sanktionen gegen, »wenn die Geschichte des Völkermords in Gaza geschrieben wird, wird Francesca Albanese als eine der mutigsten und offensten Verfechterinnen der Gerechtigkeit und der Einhaltung des internationalen Rechts in Erinnerung bleiben«.
Sie erhalte Todesdrohungen und werde mit Lügenkampagnen überzogen, bei denen Israel und seine Verbündeten den Taktstock schwingen. Sie prangere die »moralische und politische Charakterlosigkeit der Weltgemeinschaft« an, die zulasse, daß der Völkermord an den Palästinensern und ihre Vertreibung andauern. Sie werde ihrer Aufgabe als Sonderberichterstatterin gerecht, indem sie Berichte über Kriegsverbrechen in Gaza und im Westjordanland dokumentiert, darunter den Bericht »Völkermord als koloniale Auslöschung«. Darin untersucht Francesca Albanese die Gräueltaten, die sich täglich in den besetzten palästinensischen Gebieten ereignen. Gaza wird vollständig zerstört, die israelische Gewalt gegen die Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 bezeichnet der Bericht als »Teil einer langfristigen, absichtlichen, systematischen, staatlich organisierten Vertreibung und Umsiedlung der Palästinenser«. Es wird davor gewarnt, daß die Existenz des palästinensischen Volkes in Palästina unwiederbringlich geschädigt wird. Die Mitgliedstaaten der UNO müßten »jetzt eingreifen«.
Klartext gegen Täuschung
Die engagierte italienische Anwältin spricht Klartext. Seit Monaten weist sie darauf hin, daß Staaten, Regierungen, Unternehmen, die trotz des Krieges gegen die schutzlosen Palästinenser im Gazastreifen ihre Zusammenarbeit mit Israel und sogar die Unterstützung für Israel nicht einstellten. Das könne eines Tages zu einer Anklage wegen Unterstützung von Völkermord führen, mit der Staaten, Regierungen, Unternehmen konfrontiert sein könnten. Sie wies Staatschefs von EU-Staaten, auch die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen der politischen Unterstützung Israels angesichts des Vernichtungskrieges gegen Gaza hin.
Am 30. Juni hatte Francesca Albanese ihren jüngsten Bericht veröffentlicht, in dem mehr als 60 internationale Unternehmen, darunter Technologiekonzerne wie Google, Amazon, Microsoft, aber auch Finanzunternehmen und Vermögensverwalter wie Blackrock genannt werden. Diese Unternehmen profitierten durch ihre Kooperation mit Israel nicht nur an der »völkerrechtswidrigen Besatzung« palästinensischer Gebiete, sie profitierten weiterhin auch am Völkermord in Gaza. Titel des Berichts lautet: »Die Transformation der israelischen Besatzungsökonomie in eine Ökonomie des Völkermords«.
Darin heißt es, Israel betreibe mit der Siedlerpolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten eine Herrschaftsform, die als »kolonialer Rassenkapitalismus« bekannt sei. Israel institutionalisiere ein »Regime der kolonialen Siedler-Apartheid« und bedrohe die Existenz des palästinensischen Volkes in Palästina.
Als Fazit aus den Recherchen fordert Francesca Albanese den Internationalen Strafgerichtshof und die Justiz in den UNO-Mitgliedstaaten auf, Ermittlungen gegen die im Bericht genannten Unternehmen und deren Vorstände wegen des Verdachts auf Unterstützung des Völkermords an den Palästinensern einzuleiten. Die UNO rief sie auf, Sanktionen gegen Israel zu verhängen und dessen Vermögen im Ausland einzufrieren – Maßnahmen, die in der UNO-Charta ausdrücklich festgeschrieben sind.
Israel wirft Albanese vor, »weder fair noch neutral oder unparteiisch« zu sein. Die Regierung lehnt die Zusammenarbeit mit dem UNO-Menschenrechtsrat und seinen Organen ab. Albaneses Bericht sei motiviert von einer »obsessiven, von Haß getriebenen Agenda zur Delegitimierung der Existenz des Staates Israel«, schrieb die israelische diplomatische Vertretung in Genf. »Albaneses Einschüchterungs- und Nötigungstaktiken, die von der UNO gefördert wurden, sind skandalös, und dieser Bericht wird in den Mülleimer der Geschichte wandern«, heißt es weiter.
Angesichts zunehmender Kritik von anderen EU-Staaten versucht die deutsche Bundesregierung, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie täuscht Handeln vor und zeigt sich offen gegenüber einer angeblich »steigenden Chance für Waffenruhe« und für einen Arbeitsauftrag an die Außenminister der EU-Staaten, die am heutigen Dienstag über einen Prüfbericht und mögliche Konsequenzen daraus gegenüber Israel beraten sollen.
Spanien gehört neben Irland zu den offenen Kritikern des israelischen Krieges gegen die Palästinenser und hat neben Einstellung von Waffenlieferungen auch die Aussetzung des EU-Handels- und Partnerschaftsabkommens mit Israel gefordert. Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz persönlich hat sich als schärfster Gegner von Strafmaßnahmen gegen Israel hervorgetan. Er hatte im vergangenen Monat ein Ja zur Suspendierung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel ausgeschlossen. »Ein Außerkraftsetzen oder gar eine Kündigung dieses Abkommens kommt mit der Bundesregierung nicht infrage«, sagte er. Er billigte beim jüngsten EU-Gipfel lediglich einen Arbeitsauftrag, mit dem die Außenminister der EU-Staaten aufgefordert werden, Beratungen über Konsequenzen aus dem Prüfbericht »soweit erforderlich« fortzusetzen.
»Humanitäre Stadt« auf der »Insel der Ruinen«
Der langjährige »Haaretz«-Korrespondent aus den besetzten palästinensischen Gebieten Gideon Levy spricht angesichts der Pläne der israelischen Regierung, eine so genannte »humanitäre Stadt« auf den Trümmern der südpalästinensischen Stadt Rafah zu errichten, von wo Palästinenser deportiert werden sollen, von einem »Konzentrationslager«.
»Es gibt keine andere Möglichkeit, (diese Pläne) zu beschreiben, als daß dort ein Konzentrationslager errichtet werden soll«, sagte Levy im Interview mit dem katarischen Nachrichtensender »Al Jazeera« am Freitag. Es sei »wirklich schwer vorzustellen, daß das 80 Jahre nach dem Holocaust geschieht«. Kriegsminister Katz, der diese »verrückte und teuflische Idee entwickelt hat« sei selber ein Nachfahre von Überlebenden des Holocaust, betonte Levy. Die meisten Israelis hätten offenbar alle Menschlichkeit gegenüber Gaza verloren.
In Vorbereitung auf die »humanitäre Stadt« hat Israel die Zerstörung in Rafah im Süden des Gazastreifens verschärft. Der Nachrichtensender »Al Jazeera« berichtete unter Berufung auf Satellitenaufnahmen der UNO (UNOSAT), daß die Zahl der zerstörten Gebäude massiv gestiegen sei. Wurden am 4. April 15.800 zerstörte Gebäude gezählt, waren es drei Monate später, am 4. Juli 28.600 Gebäude. Nach Angaben des israelischen Kriegsministers Israel Katz soll die »humanitäre Stadt« 600.000 Menschen aufnehmen, die von dort deportiert werden sollten. So soll es allen 2 Millionen Palästinensern ergehen, die im Gazastreifen ausharren. Niemand werde zurückkehren können. Der Transfer der ersten 600.000 Palästinenser soll während einer 60 Tage dauernden Waffenruhe stattfinden, über die aktuell in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar, verhandelt wird.
Am vergangenen Wochenende setzte Israel seine Angriffe in Gaza fort. Ein Markt und eine Verteilstelle für Wasser wurden angegriffen, dabei starben mindestens 95 Palästinenser. Die gesamte Zahl der getöteten Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 stieg auf mehr als 58.000, berichtete die palästinensische Gesundheitsbehörde am Sonntag.
An einem Wiederaufbau des von Israel zerstörten Gazastreifens und der zivilen Infrastruktur will die israelische Regierung sich nicht beteiligen, sagte Energieminister Eli Cohen am Montagmorgen dem Sender »Kanal 14«. Gaza solle für Jahrzehnte eine »Insel der Ruinen« bleiben, so Cohen wörtlich. Als Besatzungsmacht ist Israel dem internationalen und humanitären Recht zufolge für die Sicherheit, Versorgung und Unterkunft der Bevölkerung in dem besetzten Gebiet verantwortlich.