Ausland30. Juni 2021

Gefährliche Manöver im Schwarzen Meer

Britische Marineprovokation vor der Krim am Schwarzen Meer. EU verschärft Spannungen mit Rußland

von German Foreign Policy

Zeitgleich zum jüngsten Marinezwischenfall vor der Krim hat die deutsche Luftwaffe einen Einsatz am Schwarzen Meer begonnen. Während der britische Zerstörer »HMS Defender« Mitte vergangener Woche in die Hoheitsgewässer vor der Krim eindrang – ausweislich britischer Geheimdokumente in provokativer Absicht – und damit fast einen Zusammenstoß mit den russischen Streitkräften vom Zaun brach, sind zum ersten Mal deutsche Eurofighter im Rahmen der NATO-Luftraumüberwachung auf dem militärischen Flughafen der rumänischen Hafenstadt Constanța stationiert worden. Sie operieren dort innerhalb einer Alarmrotte der britischen Luftwaffe.

Zwischenfall vor der Krim

Geheime Papiere aus dem britischen Kriegsministerium, die in der Nacht von Montag auf Dienstag vergangener Woche unter nicht geklärten Umständen durchweicht an einer Bushaltestelle in Kent (Südostengland) aufgefunden worden waren, bieten neue Einblicke in die Vorbereitung der Londoner Marineprovokation vor der Krim am vergangenen Mittwoch. An jenem Tag war der britische Zerstörer »HMS Defender« auf dem Weg aus dem Hafen von Odessa ins georgische Batumi unmittelbar am Südzipfel der Krim vorbeigefahren. Dabei drang er, wie Berichte »eingebetteter« Journalisten von der BBC und dem konservativen Boulevardblatt »Daily Mail« bestätigen, klar in die Zwölfmeilenzone vor der Halbinsel Krim und damit in deren Hoheitsgewässer ein; diese werden, seit die Krim 2014 der Russischen Föderation beigetreten ist, laut geltenden völkerrechtlichen Konventionen von Rußland beansprucht.

Wie aus den in Kent gefundenen Papieren hervorgeht, standen bei der Vorbereitung der Fahrt zwei verschiedene Routen zur Auswahl. Eine vermied das Eindringen in die Hoheitsgewässer der Russischen Föderation; sie wurde letztlich nicht gewählt. Dabei war ausweislich den Dokumenten, die offenkundig bei einem am Montag abgehaltenen »UK-US Defence Dialogue« vorlagen, den Planern völlig klar, daß das Eindringen in die Zwölfmeilenzone zu scharfen Reaktionen auf russischer Seite führen würde.

In provokativer Absicht

Die Papiere belegen ebenfalls, daß bei der Auswahl der Route die Absicht im Mittelpunkt stand, mit der demonstrativen Mißachtung der russischen Ansprüche Londons Position zu bekräftigen, es handele sich bei der Zwölfmeilenzone vor der Krim um »ukrainische Hoheitsgewässer«; jegliche Abstimmung mit Moskau über die Fahrt der »HMS Defender« sei deswegen überflüssig. Die Fahrt des Zerstörers verfolgte damit denselben Zweck wie die sogenannten Freedom of Navigation-Operationen der U.S. Navy im Südchinesischen Meer; USA-Kriegsschiffe durchqueren dort regelmäßig Zwölfmeilenzonen vor kleinen Inseln, die China für sich beansprucht – ein Anspruch, den Washington nicht anerkennt.

Der Zwischenfall vor der Krim belegt das Eskalationspotenzial derartiger Provokationen: Die russischen Streitkräfte brachten, wie ein von russischer Seite publiziertes Video bestätigt, mit Warnschüssen eines Kriegsschiffs sowie dem Abwurf von Bomben aus einem Militärflugzeug die »HMS Defender« dazu, die Hoheitsgewässer der Krim zu verlassen. Moskau warnt, wiederholte Provokationen werde man nicht hinnehmen – und beim nächsten Mal keine Warnschüsse, sondern gezielte Schüsse auf ein eindringendes Kriegsschiff abgeben. Die »HMS Defender« ist gegenwärtig mit einer Flugzeugträgerkampfgruppe auf dem Weg ins Südchinesische Meer.

»Sea Breeze 2021«, »Defender Europe 2021«

Der Zwischenfall vor der Krim ereignete sich kurz vor dem Beginn des Manövers »Sea Breeze 2021«, das von der Sechsten Flotte der U.S. Navy gemeinsam mit der ukrainischen Marine abgehalten wird. An der Kriegsübung, die seit 1997 jährlich im Schwarzen Meer stattfindet, nehmen 32 Staaten von allen Kontinenten teil, darunter Australien, Japan und Südkorea, Brasilien, Ägypten, Tunesien, Marokko und Senegal, Britannien und zahlreiche Staaten von NATO und EU. Gemeldet sind 5.000 Soldaten, 32 Kriegsschiffe, 40 Flugzeuge und 18 Spezialkräfteeinheiten; damit ist die Übung die größte ihrer Art seit Beginn der Serie im Jahr 1997.

Trainiert werden laut einer Mitteilung der U.S. Navy verschiedene Bereiche der Kriegführung, darunter amphibische Manöver sowie Manöver an Land, maritime Abriegelungsoperationen, Luftabwehr und U-Boot-Abwehr, Rettungs- sowie Spezialkräfteoperationen. »Sea Breeze 2021« begann unmittelbar nach dem Abschluß von »Defender Europe 21«, einem Großmanöver, das die Verlegung von USA-Großverbänden aus den Vereinigten Staaten nach Europa probte – in diesem Jahr speziell nach Südosteuropa sowie ans Schwarze Meer. Involviert waren rund 28.000 Soldaten aus 26 Staaten, darunter zahlreiche, die auch an »Sea Breeze 2021« beteiligt sind.

Eurofighter in Constanța

Zwar nimmt die deutsche Bundeswehr – im Unterschied zu früheren Jahren – laut offiziellen Angaben nicht an »Sea Breeze 2021« teil. Dennoch sind deutsche Soldaten zur Zeit in der Region im Einsatz – zum ersten Mal im Rahmen der Luftraumüberwachung in Rumänien. Wie im Baltikum, so hat die NATO auch an ihrer südosteuropäischen Flanke ein enhanced Air Policing South (eAPS) etabliert, das die Kontrolle des rumänischen Luftraums insbesondere über dem Schwarzen Meer gewährleisten soll. Seit Mitte vergangener Woche sind Eurofighter-Kampfjets vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 »Richthofen« aus Wittmund auf dem militärischen Flughafen der Hafenstadt Constanța am Schwarzen Meer stationiert; sie sind dort in eine Alarmrotte der Royal Air Force integriert, um »im Ernstfall« an der Seite der britischen Einheit zum schnellstmöglichen Einsatz bereit zu sein.

Die Bundeswehr beteiligt sich zudem am personellen Ausbau des Multinational Corps South-East, eines Hauptquartiers der NATO, das in Zukunft für die Führung von Landoperationen in der Region zuständig sein soll. Es hat seinen Sitz in Sibiu und wird ab 2024 voll einsatzfähig sein. Seine »Anfangsbefähigung« wurde vor wenigen Tagen im Rahmen von »Defender Europe 21« geprüft.

In der Negativspirale

Zeigt die jüngste britische Marineprovokation vor der Krim, wie schnell die militärische Lage eskalieren kann, so verschärft neben der NATO auch die EU die Spannungen mit Rußland. Auf dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche in Brüssel behaupteten die Staats- und Regierungschefs, sie sähen »die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten« auf »jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Rußlands«.

Dazu soll nun eine Konzeption erarbeitet werden, die bei »mißliebigen Handlungen« der russischen Regierung Strafmaßnahmen vorsieht – neue Wirtschaftssanktionen inklusive. Die EU-Kommission hatte bereits zuvor einen weiteren »Niedergang der Beziehungen zu Rußland« prognostiziert. Ein Vorstoß der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ein Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Auge zu fassen, um eine unkontrollierte Eskalation der Beziehungen zu verhindern, wurde vor allem von ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten erfolgreich torpediert, die sich als EU-Speerspitze im Machtkampf gegen Moskau gerieren: die baltischen Staaten, Polen und Rumänien.