Bellizismus heute
Das französische etymologische Wörterbuch von Albert Dauzat beansprucht, den ersten Gebrauch des Wortes »Bellizismus« zu kennen: 1871 soll »bellicisme« erstmals in einer französischen Polemik gegen den deutschen »Eisernen Kanzler« Otto von Bismarck aufgetaucht sein. Wurzel ist das lateinische Wort für Krieg »bellum«. In anderen romanischen Sprachen taucht »Bellizismus« selten auf, im Englischen und im Russischen ist es ein kaum benutztes Fremdwort. Im Englischen wird statt dessen von »warmongering« – »Kriegstreiberei« oder »Kriegshetze« – gesprochen.
Bismarcks »Blut und Eisen»-Rede vor preußischen Abgeordneten 1862 enthielt der Sache nach das, was der Begriff »Bellizismus« bedeutet: Die Auffassung, daß sich internationale Konflikte nur durch Krieg regeln lassen. Der damals gerade zum preußischen Ministerpräsidenten ernannte Bismarck hatte sein Programm in die Worte gefaßt: »Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen (Wiener Kongreß von 1814 bis 1815, d.Red.) sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut.«
Die Formel hatten bereits Chauvinisten der sogenannten Befreiungskriege verwendet. So der Dichter Max von Schenkendorf 1813 in dem Gedicht »Das eiserne Kreuz«: »Denn nur Eisen kann uns retten, / Und erlösen kann nur Blut / Von der Sünde schweren Ketten, / Von des Bösen Übermut.«
Um Krieg als wahre Bestimmung der Deutschen kreiste, bevor es das Wort gab, die deutschtümelnde Romantik. Ein Lied Schenkendorfs wählte die SS nicht zufällig zu ihrem Marschlied. 1880 faßte Helmuth von Moltke den unter Bismarck erreichten Stand der Dinge so zusammen, wie er deutschen Hurrapatrioten mindestens bis 1945 im Oberstübchen blieb: »Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung.« Hinzuzufügen ist:
Auch Marx und Engels waren der Meinung, daß Kriege im Kapitalismus unvermeidlich sind. Angesichts der Gefahr eines Weltkriegs sah der alte Engels das etwas anders.
Bei diesem Stand der Dinge machten Anfang des 20. Jahrhunderts »Bellizismus« und »bellicisme« im deutschen und französischen Imperialismus als Gegenbegriffe zum »Pazifismus« zwar Karriere, allerdings scheinen die Wörter wenig verwendet worden zu sein, häufig dagegen »Militarismus«. Am Aufstieg der mit »Bellizismus« zusammengefaßten Ideologie änderte das nichts – bis hin zum Faschismus. Nach dessen Niederlage 1945 war dieser Bellizismus in der BRD reichlich unpopulär, und kam dort in Nachschlagewerken nicht vor, in der DDR erst recht nicht.
Das änderte sich 1991 nach dem Ende der Sowjetunion. Westdeutsche Linke wie Wolfgang Pohrt oder Hermann Gremliza und die sogenannten Antideutschen begeisterten sich 1991 für den Krieg gegen den Irak, dem ersten der von den USA geführten Weltordnungskriege, und galten fortan bei ehemaligen Mitstreitern als »Bellizisten«. Sie etablierten in der deutschen Politik eine Position, die von den Grünen spätestens im Kosovo-Krieg 1999 eingenommen wurde: Krieg als legitimes Mittel zur Durchsetzung westlicher »Werte«. Das schließt wie bei Bismarck ein, Recht für nebensächlich zu erklären.
Dieser von den USA ausgehende neue »Bellizismus« wurde im Westen führende Ideologie. Ihr folgen heute alle deutschen Bundestagsparteien – die bisherige Ausnahme, die Partei Die Linke, nähert sich schrittweise.
Heute sind die Grünen die am meisten bellizistische Partei des deutschen Imperialismus und seiner erneuten Expansionspolitik. Hinter ihnen stehen unisono alle bürgerlichen Medien. Diese Einheitlichkeit gab es selbst in der Debatte um die sogenannte Nachrüstung der NATO in den 1980er Jahren nicht. Bellizismus durchdringt die Gesellschaft in einem Maß, wie es selbst in der Geschichte der BRD unbekannt gewesen ist.