Unser Leitartikel : »Kompromiß« gegen den Klimaschutz
Am Montag war der aus dem EU-Parlament in die Regierung gewechselte Umweltstaatssekretär noch zuversichtlich. Beim Ratstreffen der Umweltminister der noch 28 EU-Staaten am Dienstag in Luxemburg sei Deutschland »fast isoliert« und könne nur noch auf »ein paar osteuropäische Länder« zählen, wenn es darum gehe, striktere Kohlendioxidgrenzwerte für neue Pkw und Lkw im nächsten Jahrzehnt zu verhindern.
Doch anders als von Claude Turmes vorhergesagt, hat sich die deutsche Autoindustrie erneut gegen die laut »Insidern« immerhin 17 bis 18 EU-Staaten durchgesetzt. Die nach dem in der französischen Hauptstadt von fast allen UNO-Mitgliedstaaten geschlossenen Klimaschutzabkommen benannten »Paris-Allianz« , der sogar Länder mit Autoindustrien wie Frankreich, Spanien oder Britannien angehören, wolle die Treibhausgase aus den Auspuffrohren der Neuwagen bis zum Jahr 2030 um 40 oder gar 45 Prozent senken, hieß es erwartungsvoll. Bisher ist in der EU festgelegt, daß im Jahr 2020 Neuwagen im Flottendurchschnitt nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen sollen. Von dieser Basis aus soll nun die Senkung folgen.
Doch was nach stundenlangen Verhandlungen am späten Dienstagabend auf dem Kirchberg herauskam, ist Klimaschutz auf deutsche Art : Der EU-Rat der Regierungen der Mitgliedstaaten ging gestern mit dem Reduktionsziel 35 Prozent in die Verhandlungen mit EU-Parlament und EU-Kommission. Was uns nun als »Kompromiß« verkauft wird, verwundert umso mehr, als selbst die deutsche Ressortchefin vor den Sommerferien noch der Meinung war, 45 Prozent Kohlendioxideinsparung seien »technisch machbar und klimapolitisch geboten« .
Doch »beispiellose Veränderungen« , wie sie erst am Montag der Zwischenstaatliche Ausschuß für Fragen des Klimawandels (IPCC) dringend angemahnt hat, wollen die Aktienbesitzer von Volkswagen, BMW und Daimler – und folglich auch deren Sachwalter im Berliner Kanzleramt – tunlichst verhindern, damit sie auch noch den letzten Euro Profit aus Fahrzeugen mit technisch veralteten Diesel- oder Benzinmotoren herausschlagen können.
Die Zeche werden mal wieder wir zahlen müssen : Umweltgifte, die nachweislich für Tausende Tote pro Jahr aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich sind, werden weiter im Übermaß freigesetzt, der Klimawandel, der uns gerade erst einen Dürresommer und die ersten tropischen Zecken mit entsprechend exotischen Krankheiten gebracht hat, wird weiter angeheizt.
Doch so richtig dramatisch soll es in unseren Breiten ja erst in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten werden, wenn der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigt und so manche heute noch subtropische Region wegen zu großer Hitze praktisch unbewohnbar wird.
Daß es auch besser geht, zeigt mal wieder China. Bereits vor einem Jahr hat die Regierung in Peking ein Quotensystem beschlossen, mit dem sich die größte Volkswirtschaft der Welt schrittweise von der Erdölnutzung verabschieden wird. Ab nächstem Jahr sollen zehn Prozent der in China verkauften Autos einen Elektroantrieb haben, 2020 bereits 20 Prozent. Da die chinesischen Planer bei Umweltzielen eher zu vorsichtigen Vorgaben neigen, und diese Kennziffern in der Vergangenheit meist vorzeitig erfüllt wurden, ist das bisher ausgegebene Ziel, daß 2025 ein Viertel aller Verkäufe einen elektrischen oder einen Hybridantrieb haben sollen, eher als Minimum zu sehen. So war es in China auch beim Ausbau der Nutzung der Wind- und Solarenergie, der wesentlich rascher verlaufen ist als angestrebt.
Oliver Wagner