Israels »Krieg an sieben Fronten«
Syrien, Jemen, Irak, Iran (Teil 2)
Vereinbarungen für Waffenruhen mit Israel sind eine unsichere Sache. Die amtierende Regierung Netanjahu findet immer neue Gründe, warum Vereinbarungen nicht unterzeichnet oder hinfällig werden. Die 60 Tage Waffenruhe im Libanon haben Israel nicht gereicht, um seinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen, nämlich die noch verbliebenen israelischen Truppen entlang der »Blauen Linie« abzuziehen.
Am 26. Januar, um 4.00 Uhr morgens sollten die israelischen Soldaten und ihr Militärgerät den Zedernstaat verlassen haben, doch schon vorher hatte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu angekündigt, Israel werde »an einigen Punkten« bleiben. Libanon habe es nicht geschafft, die Libanesische Armee im gesamten südlichen Libanon zu stationieren und damit die Hisbollah hinter den Fluß Litani zu verdrängen.
Als die Bewohner am Sonntag in ihre Dörfer um den Ort Burj-al Mouluk unweit von Marjayoun zurückkehren wollten, hatten israelische Truppen die Straße blockiert. »Unbewaffnet und mit erhobenen Köpfen« seien die Libanesen den »israelischen Invasoren« gegenübergetreten, »um ihr Land zurückzuholen«, hieß es im libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen. Die israelischen Soldaten eröffneten das Feuer auf die Menschenmenge, die auf ihrem Recht auf Rückkehr beharrte. Am Ende des Tages meldeten die libanesischen Behörden, daß 22 Personen durch israelischen Beschuß getötet worden seien, darunter auch ein Soldat der libanesischen Armee. 124 Libanesen seien verletzt worden, darunter auch Kinder und ein Rettungssanitäter.
Die UNO-Friedensmission im Libanon (UNIFIL) rief auf, Gewalt zu unterlassen. Das israelische Militär »muß es vermeiden, auf libanesischem Gebiet auf Zivilisten zu feuern«, hieß es in einer Erklärung. Die Bevölkerung wurde aufgefordert »Vorsicht walten zu lassen«. Die USA erklärten, die Waffenruhe werde bis zum 18. Februar2025 verlängert. Man werde mit der libanesischen Regierung darüber reden.
Front 4 – Syrien
Obwohl Syrien Israel nicht angegriffen hat, hat Israel seit Beginn des Krieges 2011 in Syrien Hunderte Ziele in Syrien bombardiert. Die israelische Luftwaffe, die seit Jahren systematisch den libanesischen Luftraum verletzt, setzte Kampfjets ein, die vom libanesischen Luftraum aus auf syrisches Territorium feuerte. Raketen wurden von israelischen Stellungen auf den besetzten Golan Höhen Richtung Damaskus gefeuert, Kampfjets schossen auch aus dem Luftraum der besetzten Golan Höhen auf syrische Armeestellungen im Umland von Damaskus. Israelische Kampfjets nutzten den jordanischen Luftraum, um Ziele entlang der syrisch-irakischen Grenze anzugreifen. Vom Mittelmeer aus wurde syrisches Territorium der Provinzen Latakia und Aleppo beschossen. Israel bombardierte wiederholt die Flughäfen in Damaskus und Aleppo sowie das Konsulat des Iran in Damaskus.
Die syrische Vertretung bei der UNO hat gegen jeden einzelnen der nicht provozierten israelischen Angriffe protestiert – ohne Erfolg. Ebenso erging es dem Libanon, der gegen die anhaltende Verletzung seiner territorialen Integrität und Souveränität durch Israel bis heute vergeblich beim UNO-Sicherheitsrat protestiert.
Hunderte Angriffe auf Syrien
Die wiederholte Zerstörung von Unterwasserpipelines vor der Küste von Tartus – durch die Öl von Tankschiffen zur Raffinerie von Tartus gepumpt werden konnte – geht vermutlich auch auf Israel zurück. Da das Hafenbecken von Tartus keine Tankschiffe mit Tiefgang aufnehmen kann, wurde durch die Pipelines Öl von Tankschiffen abgepumpt, die außerhalb des Hafens von Tartus ankerten. Syrien war auf Öllieferungen befreundeter Staaten, vor allem des Iran angewiesen, da mit Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011 die syrischen Rohstoffe Ziel von Angriffen verschiedener Akteure wurden.
Die syrischen Öl- und Gasvorkommen im Nordosten und Osten des Landes – Rmeilan, Omari, Conoco – wurden seit 2012 von bewaffneten Regierungsgegnern der »Freien Syrischen Armee«, dann von Al Qaida im Irak, vom »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« (ISIS) besetzt, es kam zu wilden Bohrungen. Schließlich wurden die Ölfelder seit 2014 von USA-Truppen besetzt, die dort oder in unmittelbarer Nähe Militärbasen errichteten. Die USA-Truppen überließen schließlich die Kontrolle bewaffneten Verbänden der Kurden. Sowohl die USA-Armee als auch kurdisch geführte Verbände der »Syrischen Demokratischen Kräfte« (SDF) halten die Ölvorkommen bis heute besetzt.
Israel behauptet, sich im syrischen Krieg »neutral« verhalten zu haben. Die militärischen Operationen israelischer Truppen vor Ort zeigen allerdings, daß die israelische Luftwaffe wiederholt zugunsten des »Islamischen Staates« und anderer bewaffneter Dschihadisten eingriff. Vor allem führt Israel in Syrien einen Schattenkrieg gegen den Iran, der Syrien im Krieg unterstützt und beraten hat. Ziel israelischer Angriffe in Syrien ist – nach israelischen Angaben –, auch die libanesische Hisbollah zu treffen, die während des Krieges mit Rußland und dem Iran an der Seite der syrischen Armee kämpfte.
Gegen die UNO-Friedensmission
Auch die angebliche politische »Neutralität« Israel im Syrien Krieg hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Israeli finanzierte und unterstützte syrische »zivilgesellschaftliche Gruppen« im Gebiet der südwestlichen syrischen Provinz Deraa, die im Dreiländereck Syrien-Jordanien-Israel liegt. Israel unterstützte dschihadistische Kämpfer, die von Jordanien kommend durch die UNO-Pufferzone auf den syrischen Golan Höhen Richtung Qunaitra vorrückten. Die Islamisten griffen Verbände der UNO-Schutztruppe UNDOF an, stahlen deren Fahrzeuge und Ausrüstung und nahmen in einem Fall ein ganzes Kontingent von philippinischen UNO-Soldaten als Geiseln. UNDOF zog sich schließlich aus dem Gebiet zurück.
Israel versorgte verletzte dschihadistische Kämpfer vor Ort, aber auch auf den von Israel besetzten Golan Höhen. Bekannt wurde das einer internationalen Öffentlichkeit, als Ministerpräsident Benjamin Netanjahu 2014 in Anwesenheit israelischer Medien verletzte Kämpfer in einem Feldlazarett der israelischen Armee auf den besetzten Golan Höhen besuchte. Der Plan, den Israel mit seinem »sozialen Engagement« verfolgte, war, die syrische Regierung in Damaskus zu schwächen und zu isolieren. Geplant war eine von Israel kontrollierte »Pufferzone«, die den von der UNO kontrollierten Golan, den syrischen Golan und die Provinz Deraa umfassen sollte. Die syrischen Drusen in der Provinz Sweida mit der gleichnamigen Hauptstadt wurde seit Jahrzehnten direkt und indirekt von Israel kontaktiert, um sich an Israels Seite zu stellen.
Der Umbruch in Syrien
Der Vormarsch von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), einer Allianz aus 60 bewaffneten Verbänden, wurde von der Türkei, den USA und Britannien vorbereitet. Israel war – wie vermutlich auch der Iran, Rußland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Saudi-Arabien – mindestens informiert. Die Waffenruhe im Libanon war gleichzeitig das Startsignal für den HTS-Vormarsch. HTS wurde zudem von einer ukrainischen Fremdenlegion und ukrainischen Militärberatern unterstützt und war von der Ukraine mit Hunderten hochentwickelten Drohnen ausgerüstet worden.
Zeitgleich mit dem Einzug von HTS in den Präsidentenpalast in Damaskus, der Flucht von Präsident Bashar al-Assad und der Auflösung der syrischen Armee marschierten am 8. Dezember 2024 israelische Truppen durch die von UNDOF kontrollierte Pufferzone auf dem syrischen Golan, zerstörten Zäune und marschierten weit in die Provinzen Deraa und Qunaitra bis etwa 40 Kilometer vor Damaskus vor. Die israelische Armee nahm eine strategische Höhe auf dem Berg Hermon (Jbeil Sheikh) ein, der mit 2.800 Metern die ganze Region überragt. Die Höhe liegt in der von UNDOF kontrollierten Pufferzone auf syrischer Seite.
Nun hat Israel dort einen Stützpunkt mit Überwachungsanlagen errichtet, die die Straße zwischen Beirut und Damaskus kontrollieren. Unterhalb des Berges hat die israelische Armee Container aufgestellt, militärische Stützpunkte und Kontrollpunkte errichtet und kündigte an, mindestens ein Jahr zu bleiben. Gleichzeitig begann die israelische Luftwaffe eine »historische Angriffswelle« auf Syrien, wie israelische Medien berichteten. Innerhalb von 48 Stunden wurden bei mehr als 300 Luftangriffen mindestens 80 Prozent der militärischen Anlagen der syrischen Armee zerstört. Auch die kleine Flotte der syrischen Marine in Latakia wurde zerbombt.
Von der Landbesetzung in Syrien, der Besiedlung des Landes und der Zerstörung sämtlicher Möglichkeiten Syriens, seine Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen, hat Israel seit langem geträumt. »Großisrael«, Eretz Israel, steht nach Meinung extremistischer, religiöser Siedler und Politiker den Juden als »Gelobtes Land« zu, wie es in der Bibel stehen soll, so die Siedler: »Vom Euphrat bis zum Nil« soll es reichen und die heutigen Länder Jordanien, Libanon, Syrien, Irak und Teile des Iran aber auch weite Teile Saudi-Arabiens, Ägyptens, die Sinai-Halbinsel und des Roten Meeres umfassen. Dieser Meinung sind die rechtsextremistischen Minister der Regierung von Benjamin Netanjahu und ihre Anhänger.
Aufforderungen von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sowie Rußland und China im UNO-Sicherheitsrat, die Angriffe sofort zu stoppen und sich vom syrischen Territorium zurückzuziehen, werden von Israel ignoriert. Ebensowenig reagierte Israel auf Aufforderungen des HTS-Machthabers Ahmed al-Sharra alias Abu Mohamed al Jolani, von der Türkei und Katar, Iran und arabischen Staaten, Syrien zu verlassen.
Front 5 – Irak
Im Irak bereitet sich die Regierung auf israelische Angriffe vor. Schon bei dem bisher letzten israelischen Luftangriff auf den Iran im Oktober 2024 wurde der irakische Luftraum von Israel verletzt, als die Kampfjets mit ihren Bomben das Gebiet überflogen. Seit den 1960er Jahren pflegt Israel enge Kontakte zu irakischen Kurden der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP). Unweit von Erbil unterhält Israel einen Stützpunkt verschiedener israelischer Geheimdienste, von wo Kontakte mit Kurden auch im Iran und mit der aus der Türkei stammenden Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) organisiert werden. Der Iran wirft Israel vor, mindestens die iranischen Kurden mit Waffen und Geld unterstützt zu haben und hat den israelischen Stützpunkt wiederholt angegriffen.
Über die Beziehungen zu den irakischen Kurden, aber sicherlich auch mit US-amerikanischer Unterstützung hat Israel seine Kontakte zu der Führung der kurdisch geführten »Syrischen Demokratischen Kräfte« (SDF) im Nordosten Syriens ausgebaut. Die israelische Tageszeitung »Haaretz« berichtete kürzlich, daß Ilham Ahmad von den SDF und der israelische Außenminister Israel Katz in einem Telefonat ein Treffen vereinbart hätten. Dabei solle über mögliche Zusammenarbeit in Syrien gesprochen werden.
Fronten 6 und 7 –
Jemen, Iran und die Expansionspläne des Westens
Der Jemen und der Iran sind die nächsten Ziele, die Israel unter seine Kontrolle bringen will. Beide Länder sind weit entfernt und verfügen jeweils über eine lange Geschichte, Kultur und Beziehungen. Israel wird bei seinen Expansionsplänen von den USA, Britannien und zudem in Europa vor allem von Deutschland unterstützt. Diese Staaten sind erklärte »strategische Partner« Israels, mit gleichen »Werten«, für die man gemeinsam eintreten werde, wie es einer Presseerklärung des deutschen Auswärtigen Amtes von Anfang Januar 2025 zu entnehmen ist.
Mit etwas mehr Abstand steht auch Frankreich an der Seite Israels und beansprucht – als ehemalige Mandatsmacht – in Syrien und im Libanon Mitspracherecht über jede geplante »Neuordnung« in der Region. Gemeinsam ist ihnen das Bekenntnis, die Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Persischen Golfregion unter ihre politische, militärische und wirtschaftliche Kontrolle zu bringen. Es geht in erster Linie um die Rohstoffe Öl und Gas, und es geht um zentrale Transportwege zu Land und zur See, die durch die Straße von Hormuz, Bab al Mandab, das Rote Meer und den Suez-Kanal Asien mit Europa verbinden. Israel ist »Wächter« und »Speerspitze« dieser geopolitischen Interessen.
Die Staaten der Region sind der militärischen Überlegenheit Israels – das vor allem von den USA und Deutschland bewaffnet und finanziert wird – nicht gewachsen. Ihre einzige Stärke ist die regionale Kooperation und das Bündnis mit Rußland und China im Rahmen der BRICS-Staaten.