Kampf um Marktanteile
Deutschland und Frankreich wollen europäische Cloud »Gaia-X« schaffen. Beim Aufbau sind sie allerdings auf Hilfe chinesischer und US-amerikanischer Konzerne angewiesen
Für deutsche Verhältnisse schreitet er geradezu mit höchster Geschwindigkeit voran: der Aufbau von »Gaia-X«, der »europäischen Cloud«, die eine Alternative zu den marktbeherrschenden Cloudanbietern aus den USA und China schaffen soll. Im Oktober vergangenen Jahres hatte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Pläne für das Projekt öffentlich vorgestellt; und nur ein Jahr später, pünktlich zum zweitägigen, online abgehaltenen »Gaia-X Summit«, am Donnerstag vergangener Woche, ist die formale Gründung der Trägerorganisation unter Dach und Fach.
Möglichst früh im kommenden Jahr sollen die ersten praktischen Schritte erfolgen. Die Zeit drängt in der Tat: Immer mehr Unternehmen nutzen eine Cloud, in der Software und Rechenleistung zeit- und kostensparend zentral angeboten und gewartet werden und auf die man von überall, auch aus dem Homeoffice, bequem zugreifen kann. Um so fataler aus Sicht der deutschen Bundesregierung, daß man, abgesehen von einigen europäischen Nischenprodukten, völlig auf die Clouddienste der Internetriesen der großen Rivalen im Westen und im Osten angewiesen ist.
»Gaia-X« soll Abhilfe schaffen. Formell ist das Projekt, das auf Initiative Berlins von Deutschland und Frankreich gemeinsam vorangetrieben wurde, als eine internationale Non-Profit-Organisation nach belgischem Recht aufgestellt worden und heißt nun »Gaia-X AISBL« (Association internationale sans but lucratif); wie berichtet wird, fehlt nur noch die Unterschrift des belgischen Königs. Gründer sind elf deutsche und elf französische Unternehmen, darunter die Deutsche Telekom, SAP und BMW sowie auf französischer Seite Atos, der Telekomkonzern Orange und der Internetdienstleister OVH.
Interimschef Hubert Tardieu wirkt ansonsten als Vorstandsberater beim französischen IT-Dienstleister Atos, dessen langjähriger Vorsitzender Thierry Breton im vergangenen Jahr auf den Posten des EU-Binnenmarktkommissars wechselte und nun aus Brüssel den Aufbau von »Gaia-X« unterstützt. »Gaia-X« soll – anders als etwa »Amazon Web Services«, »Microsoft Azure« oder »Alibaba Cloud« – als dezentrales Netzwerk konstruiert werden, als »europäische Dateninfrastruktur«, wie es das Berliner Bundeswirtschaftsministerium formuliert. Beteiligt sind außer den 22 Gründungsmitgliedern mittlerweile rund 160 Unternehmen.
Dabei zeigt sich: Ganz ohne die US-amerikanische und die chinesische Konkurrenz kann das alte Europa den Aufbau einer eigenen Cloud gar nicht bewältigen. An »Gaia-X« beteiligen sich – wenn auch ohne Mitwirkung in Entscheidungsgremien – US-amerikanische Konzerne wie Amazon und Microsoft, die man eigentlich nicht dabeihaben wollte: Der Cloud-Act« der USA aus dem Jahr 2018 verpflichtet sie, Daten, die sie in ihrer Cloud gespeichert haben, bei Bedarf an die USA-Behörden zu übergeben. An »Gaia-X« beteiligt ist sogar das skandalumwitterte CIA-nahe Unternehmen Palantir.
Allerdings nehmen am Aufbau der »europäischen Cloud« auch chinesische Konzerne teil, Alibaba Cloud und Huawei beispielsweise – ein deutlicher Hinweis, daß Berlin und die EU nicht bereit sind, der USA-Forderung nach Entkopplung von der Volksrepublik nachzugeben.
Ein Argument, mit dem die Einbindung nichteuropäischer Konzerne begründet wird: Sie sollen im Rahmen von »Gaia-X« auf EU-Standards verpflichtet werden, die etwa die Speicherung sowie die Verarbeitung von Daten in der EU vorsehen. Daß dies wirklich Schutz bietet, ist zweifelhaft; der »Cloud Act« verlangt von USA-Firmen auch die Preisgabe von Daten, die außerhalb der Vereinigten Staaten gespeichert sind.
Das Entscheidende ist aber, so hat es Bundeswirtschaftsminister Altmaier formuliert: Die »Gaia-X«-Standards sollen »zu einem Goldstandard bei Clouddiensten auf der ganzen Welt« werden. Das hat weniger mit Datenschutz als vielmehr mit dem Kampf um Marktanteile zu tun: Müssen Firmen aus China oder aus den USA ungewohnte EU-Datennormen einhalten, dann sind sie im Nachteil gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz – wer die Standards setzt, hat bessere Chancen auf Profit. Gelingt es sogar, EU-Datennormen zur globalen Richtschnur zu machen, dann steigt der Gewinn in Deutschland und Europa vermutlich noch mehr.
Jörg Kronauer
Peter Altmaier, beim virtuellen »Gaia-X« Fachforum im Juni 2020 (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)