Ausland20. Dezember 2022

Kofferweise Bargeld

Die EU-Abgeordnete Kaili kommt aus einer Partei mit Korruptionsgeschichte

von Hansgeorg Hermann

Die griechische EU-Abgeordnete Eva Kaili steht unter schwerem Verdacht. »Ein Golfstaat«, wie es im bisherigen Resümee der belgischen Ermittler heißt, habe ihr und ihren zahlreichen Helfern, Kumpanen oder Anstiftern aus Italien eine Summe von mehr als 1,5 Millionen Euro zukommen lassen. Einen Haufen Bargeld also, der – in Plastiksäcken und Koffern geliefert – in den Brüsseler Wohnungen der Politikerin und des ehemaligen Volksvertreters Pier Antonio Panzeri gefunden wurde. 600.000 bei ihm, »der Rest« bei ihr.

Ins EU-Parlament, wo sie bis zur Vizepräsidentin aufstieg, wurde Kaili von den griechischen Sozialdemokraten geschickt, der Panhellinischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), einer Partei, die auf eine beachtliche Korruptionsgeschichte zurückblickt.

Als die 44-jährige Politikerin aus Thessaloniki am 9. Dezember festgenommen wurde – »auf frischer Tat« ertappt und daher nicht von ihrer parlamentarischen Immunität geschützt – hatte sie den Höhepunkt einer Karriere erreicht, die ihr zu Hause zunächst niemand zugetraut hatte. Den Sprung ins griechische Parlament beispielsweise, in das sie 2007 als jüngste Abgeordnete einzog – der Ministerpräsident hieß ab 2009 Georgios Papandreou – Sohn des PASOK-Gründers und Regierungschefs in den achtziger Jahren, Andreas Papandreou, sowie Enkel des Georgios Papandreou senior, Premier in den sechziger Jahren.

Fünf Jahre hielt Kaili ihren Wahlkreis Thessaloniki A, bevor die Partei sie 2012 für die vorgezogenen Neuwahlen aussortierte. Bei Abstimmungen im Plenum hatten ihre Kollegen sie bisweilen im Lager der rechten Opposition geortet. Als ihr eigener Regierungschef Papandreou im November 2011 das Volk über das angebliche »Rettungspaket« aus Brüssel abstimmen lassen wollte, stellte sie sich gegen ihn – auf die Seite des Kapitals und des rechten Oppositionsführers und späteren Premierministers Antonis Samaras, die den Premier schließlich zum Rücktritt zwangen.

Ihren Wahlkreis übernahm Evangelos Venizelos, ein wendiger Sozialdemokrat, den die griechische Presse ein Jahr später zum »reichsten Politiker« des Landes kürte. Venizelos, Verfassungsrechtler der Universität Thessaloniki und inzwischen Chef der PASOK, verfügte demnach 2013 über ein persönliches Barvermögen von mehr als 1,6 Millionen Euro, 85.000 englischen Pfund und 130.000 US-Dollar. Dazu über elf Immobilien in seiner Heimatstadt und in Athen; nicht zu vergessen die seiner Frau Vasiliki Bakatselou – 16 Gebäude in Thessaloniki und der zentralgriechischen Stadt Karditsa.

Ein Reichtum, einerseits, nach dessen Herkunft höchstens das Finanzamt fragt in einem Land, dessen Bewohner bis heute fest davon überzeugt sind, daß der Weg ins Parlament immer noch der bequemste sei, um sich die Taschen zu füllen. Andererseits aber auch einer, zu dem es Venizelos’ Vorgänger nie gebracht hatten. Vor allem nicht der PASOK-Patriarch Andreas Papandreou, der sich seinen Wahlkampf im Jahr 1985 durch einen aus den USA ins Land geschneiten »Großbanker« finanzieren lassen mußte: Georgios Koskotas, ein Betrüger und Finanzjongleur, wie sich herausstellte. 20 Millionen US-Dollar – in 5.000-Drachmen-Scheinen zu einem Wechselkurs von damals rund 350 Drachmen pro US-Dollar – in 40 Reisekoffern, wechselten von Koskotas’ Bank of Crete ins Pasok-Parteibüro.

Papandreou blieb zwar unvermögend, überlebte den Skandal aber juristisch und politisch; seinen Förderer Koskotas bestrafte die Justiz mit 25 Jahren Gefängnis.

Arm und krank starb auch Papandreous alter Weggefährte Apostolos-Athanasios Tsochatzopoulos, Mitbegründer der Partei im Jahr 1974 und bis 2011 immer im Vorstand. Dem ehemalige Minister zahlreicher Ressorts – Inneres, Verteidigung, Entwicklung, Transport – wurden die nach abschließendem Urteil der griechischen Justiz erfolgreichen Bestechungsversuche des deutschen U-Boot-Fabrikanten Man-Ferrostahl, der im Jahr 2000 Kriegsgerät im Wert von 2,85 Milliarden Euro nach Athen verkauft hatte, zum Verhängnis. Von den mehr als zehn Millionen bei einer Schweizer Bank deponierten Franken blieb ihm nichts, sein Immobilienbesitz wurde konfisziert – 2013 zu 20 Jahren Knast verurteilt, beendete er seine Karriere im Athener Gefängnis Korydallos.