Ausland28. Juli 2009

»Ziel ist nicht nur Sozialismus, sondern auch Unabhängigkeit«

Über die Bedeutung des 26. Juli 1953 für die jüngere Generation Kubas, Che Guevara, die Hilfe der sozialistischen Länder und die heutigen Aufgaben

Gerardo Peñalver Portal (geb. 1969) beendet in diesen Tagen seine vierjährige Tätigkeit als Botschafter Kubas in der Bundesrepublik Deutschland. Er arbeitet zukünftig als Generaldirektor im kubanischen Außenministerium. Mit ihm sprachen Gerd Schumann und Arnold Schölzel von der Tageszeitung »junge Welt«.

Am 26. Juli 1953 stürmten über 100 Gegner der Batista-Diktatur die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba. Sie scheiterten zwar, trotzdem gilt der Tag heute als der Beginn der kubanischen Revolution und ist Nationalfeiertag. Sie sind Jahrgang 1969, geboren in Havanna – können Sie sich erinnern, wann Sie erstmals den Moncada-Tag bewußt wahrgenommen haben?

Ich wurde geboren, als die Revolution schon zehn Jahre alt war. Meine Generation hat früh viel über dieses Ereignis gehört, und für uns war es ein Abenteuer. Die Widerstands-organisationen waren 1953 nicht reif und die Bedingungen waren nicht vorhanden, um die Diktatur zu besiegen. Aber – so ist die Dialektik der Geschichte – diese gescheiterte Erstürmung stärkte das Selbstvertrauen der Bevölkerung Kubas gegen die von den USA ausgehaltene Diktatur Batistas, schuf das Bewußtsein dafür, daß ein organisierter Widerstand nötig ist. Der Zorn über das kaltblütige Erschießen vieler Kämpfer, die Verteidigungsrede Fidel Castros vor Gericht »Die Geschichte wird mich freisprechen«, sein immer noch aktuelles politisches Programm, das alles hat dazu beigetragen, daß der Krieg gegen Batista abgekürzt wurde.

Und nicht zu vergessen: Der Sturm auf die Moncada geschah im Jahr des 100. Geburtstages von José Martí (1853–1895), unseres Nationalhelden. Deswegen bezeichneten sich die Teilnehmer des Sturms auch als die »Generation des Jahrhunderts«. Martí hatte nach dem ersten Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien von 1868 bis 1878 verstanden, daß für einen Sieg alle fortschrittlichen Kräfte Kubas vereint werden müssen.

Im zweiten, dem »kleinen« Krieg gegen die Kolonialmacht, in dem er 1895 fiel, sah er voraus, daß dem Zurück-weichen Spaniens die Ex- pansion der USA folgt. Er schlug daher vor, eine revolutionäre kubanische Partei zu gründen, um alle Kräfte für die Befreiung vom Kolonialismus zu bündeln. Dem folgte auch diese »Generation des Jahrhunderts« unter Führung Fidel Castros. Umgekehrt gilt: Für die USA steht immer im Vordergrund, die fortschrittliche Bewegung zu spalten.

Mein Traum war, einmal die Moncada-Kaserne, die nach der Revolution in eine Schule umgewandelt wurde, zu besuchen. Aber ich wohnte und wohne in Havanna, Santiago de Cuba ist 900 Kilometer entfernt, und ich konnte mir den Traum erst 2004 zusammen mit meiner Familie erfüllen.

1967 wurden Ernesto Che Guevara, Tamara Bunke und die anderen Guerilleros im bolivianischen Dschungel erschossen. Das Erbe Che Guevaras wird auf Kuba als ein Ideal vermittelt. »Sein wie der Che«, idealistisch, integer, ehrlich, als »neuer Mensch«, gilt heute als Erziehungsmaxime in den Schulen. Wie war das in Ihrer Kindheit?

Che Guevara hat im Kampf gegen die Batista-Diktatur und nach dem Sieg der Revolution eine Schlüsselrolle gespielt. Von Anfang an hatte er darum gebeten, nach einem Erfolg der Revolution nicht an Ämter gebunden zu werden. Er wollte für die Revolution in anderen Ländern Lateinamerikas und der Welt kämpfen und hat auf alles verzichtet, auch auf die Familie.

»Sein wie der Che« ist ein Motto, das wir seit der Kindheit in der Schule gelernt haben. Wir waren immer sehr neugierig, wer dieser Che war und warum wir so wie er sein sollten. Heute ist mein Sohn hier in der ersten Klasse einer deutschen Schule. Wir haben aus Kuba die Bücher der ersten Klasse mitgebracht und versuchen parallel zum deutschen Unterricht, daß er sich mit der kubanischen Geschichte und Kultur beschäftigt. Im Buch für die erste Klasse wird ganz einfach erklärt, warum Che Guevara ein Vorbild für die Revolution ist: Weil er bereit war, alles aufzugeben.

Manchmal wird in Europa absichtlich ein verzerrtes Bild von Che Guevara vermittelt. Wenn man jemanden zu einer Ikone macht, schafft man zu ihm eine unüberbrückbare Distanz. Das versuchen wir in Kuba zu bekämpfen. Wir wollen, daß der Che als ein Mensch dargestellt wird – mit seinen Fehlern, seinen Sorgen, mit seinem schwierigen Charakter. Er kam aus Argentinien, und für die Kubaner war der Umgang mit ihm zunächst nicht einfach: Er hatte vor allem eine ganz andere Disziplin und war sehr streng.

Wir glauben, »Sein wie Che« ist nicht ein leeres Motto, sondern ein Ziel, das wir vielleicht über kurz oder lang nicht erreichen werden. Aber 50 Jahre Revolution in Kuba haben gezeigt, daß ein unterentwickeltes Land Solidarität üben kann. Wir liefern nicht wie einige reiche Industriestaaten an »Dritte-Welt«-Länder das, was übrigbleibt, womöglich verbunden mit politischen Bedingungen. Wir teilen, was wir haben. Che Guevara hat dieses Prinzip von Internationalismus und Solidarität in unserer Revolution sehr geprägt.

Heute arbeiten 51.000 Kubaner im Gesundheits- und Bildungswesen, in Sport oder Technik in 98 Ländern der Welt. In den 70er und 80er Jahren halfen wir in vielen afrikanischen Ländern, unterstützten einige im Kampf gegen Kolonialismus und Apart-heid. 300.000 Kubaner haben innerhalb von 15 Jahren in Angola gearbeitet und gekämpft. Das alles hat Che Guevara stark beeinflußt.

Als Sie aufwuchsen, war der europäische Sozialismus wichtigster Bündnispartner Kubas – mit entsprechenden Arbeitsteilungen, aber auch Abhängigkeiten. Welche Erinnerungen haben Sie daran und speziell an die DDR?

Das hat eine große Bedeutung gehabt. Ich war vier Jahre in Moskau mit meinen Eltern, die Mitarbeiter unserer Botschaft in Moskau waren und besuchte dort die Grundschule. Ohne die Hilfe der Sow-jetunion und der anderen so-zialistischen Länder für Kuba, das habe ich sehr früh als Jugendlicher verstanden, hätte die Revolution möglicherweise nicht überlebt, hätten wir den 50. Jahrestag der Revolution in diesem Jahr nicht feiern können. 1959 war unser Land völlig von der US-Wirtschaft und der US-Regierung abhängig. Von einem Tag zum anderen brachen die USA alle Verbindungen mit Kuba ab – es wurde kein Zuckerrohr mehr gekauft, und wir erhielten keine Ersatzteile mehr. Kuba konnte in den 60er Jahren mit dem Aufbau nur beginnen, weil wir die solidarische Unterstützung des sozialistischen Lagers und besonders der Sowjetunion erhielten.

Ich habe mit meinen Eltern einige sozialistische Länder besucht und war 1978 auch in der DDR. Die großen Fortschritte im Gesundheitswesen Kubas, im Bildungswesen, bei der Industrialisierung des Landes hätten wir ohne Hilfe nicht erreicht. Deshalb war der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und der Sowjetunion ein umso größerer Schlag. Ich glaube heute, daß wir den überstanden haben.

Nach 1990 kam es zur ersten großen Wirtschaftskrise auf Kuba, als bis zu 90 Prozent der Außenhandelspartner die Beziehungen einstellten. Wie haben Sie diese Phase des Untergangs einerseits und der damit verbundenen »Spezialperiode« erlebt? Hat der Idealismus eines Che Guevara geholfen?

Che Guevara war auch ein Theoretiker. Fidel Castro hat selbst anerkannt, daß er von ihm geprägt wurde. Che Guevara war schon ein Marxist, als er Fidel in Mexiko 1955 kennenlernte und sehr objektiv, sehr realistisch. Er unternahm bereits zu Beginn der 60er Jahre mehrere Reisen in sozialistische Länder und reagierte zum Teil sehr kritisch auf das, was er zu sehen bekam. Er versuchte herauszufinden, welche Fehler begangen wurden, die sich in Kuba nicht wiederholen durften. Wir haben dennoch einige Fehler gemacht.

1990 mußten wir allein und völlig isoliert handeln. Wenn man mich fragt, was uns gerettet hat, antworte ich, daß das von mehreren Faktoren abhing. Zuerst die Spezifik der kubanischen Revolution: Sie war eine breite Volksbewegung, eine Revolution ohne ausländische Hilfe.

Zweitens ist es uns gelungen ist, eine Partei nach den Vorstellungen von José Martí zu gründen, deren Ziel nicht nur der Sozialismus in Kuba war, sondern auch die Bewahrung der Unabhängigkeit. Wir wußten, eine zweite Partei auf Kuba unter den Bedingungen von Blockade und Aggressionen der USA wäre die Partei der US-Amerikaner, die Partei der Kapitalisten. Wichtig war, daß diese Partei immer sehr enge Verbindungen mit der Basis hatte. Die Führer der Revolution waren immer, auch in sehr schwierigen Zeiten, nah an der Bevölkerung, räumten selbstkritisch Fehler ein und gingen gegen sie an. Deswegen waren wir Anfang der 90er Jahre ausreichend flexibel, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Einige waren bitter und hatten gravierende soziale Konsequenzen. Ein dritter Faktor war die Fähigkeit der kubanischen Revolution, sich an die neue Situation anzupassen. Ein Beispiel ist die Umstrukturierung der kubanischen Wirtschaft. Wir waren bis 1990 ein Land der Monokulturen. Unsere Wirtschaftszweige waren die Produktion von Zuckerrohr, Zitrusfrüchten, Zigarren und Fisch. Heute garantiert unsere Wirtschaftsstruktur eine nachhaltige und unabhängige Entwicklung. Führend ist jetzt der Tourismus, es folgen die Produktion und der Export von Nickel und Kobalt, Erdgas- und Erdölförderung, Biotechnologie, pharmazeutische Industrie, Informatik und Dienstleistungen, z.B. im Bildungs- und Gesundheitswesen. Von den erwähnten 51.000 Kubanern im Ausland arbeitet ein Teil auf rein solidarischer Basis zur Stärkung ärmerer Länder. Ein anderer Teil arbeitet auf Kompensationsbasis. Insgesamt: Obwohl wir immer noch große Schwierigkeiten haben – wir sind von der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auch betroffen –, ist die sogenannte Spezialperiode überwunden. Wir können nach vorn in eine bessere Zukunft schauen.

Mit der Zulassung des US-Dollar als Zweitwährung Anfang der 90er Jahre begann die rapide Entwicklung von einer egalitären Gesellschaft zu mehr Ungleichheit. Wie soll sie wieder verringert werden?

Wir müssen unseren eigenen Weg finden, um die sozialen Errungenschaften der Revolution nicht nur zu bewahren, sondern auch zu entwickeln und um zugleich Kuba mehr in die Weltwirtschaft zu integrieren. Auf dem Gebiet, das Sie ansprechen, stellen wir uns manches anders vor. Die Doppelwährung haben wir nun länger, als wir dachten. Die politische Entscheidung, sie abzuschaffen, wurde bereits gefällt, jetzt müssen wir sie umsetzen.

Das schließt eine Steuerreform ein. Das Finanzsystem, das wir Anfang der 90er Jahre eingeführt haben, entspricht nicht mehr den heutigen Bedingungen. Ähnliches gilt für die Subventionen, darunter die sogenannten Lebensmittelkarten. Zukünftig sollen die Solidaritätsbewegung mit Kuba?

Hier ist die Zusammenarbeit weiter erfolgreich vorangegangen. In den 90er Jahren sahen die Solidaritätsorganisationen ihre Hauptaufgabe darin, materielle Hilfe für die kubanische Revolution zu leisten. Die ist immer noch wichtig, aber es gibt Neues – sei es im kulturellen, im politischen Bereich oder bei den Medien. Aber es geht auch um die Organisation von Konzerten, die Präsentation von Büchern. Ich bin zufrieden, aber es gibt immer noch viel zu tun.

Was bedeutet Obama für Kuba?

Ich glaube, die neue Administration bedeutet eine Hoffnung, daß sich der hegemoniale, aggressiv-imperialistische Kurs der US-Politik ändert, nicht nur gegenüber Kuba, sondern gegenüber der ganzen Welt. Ob sich diese Hoffnung verwirklicht – da ist ein Fragezeichen. Präsident Obama hat gegenüber Kuba eine positive, aber minimale Maßnahme getroffen, die noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde – die Erleichterung von Reisen für in den USA lebende Kubaner nach Kuba. Einige meinen: Viel Lärm um nichts.

Ich meine, daß ein Präsident, der als Person eine gewisse Moral hat, fortschrittlich und liberal ist, nicht den Kurs der Außen- oder Innenpolitik allein bestimmt. Es gibt viele Interessen, an die er gebunden ist. Unsere Regierung und Präsident Raul Castro haben klar und deutlich gesagt, daß wir bereit sind, direkte Gespräche zu führen – über alle Themen und ohne Vorbedingungen. Wir werden aber nichts akzeptieren, was unsere Souveränität und Selbstbestimmung beeinträchtigen.

Wir hatten am 14. Juli in New York die ersten offiziellen Gespräche zur Migrationsfrage mit der Obama-Administration. Sie wurden von beiden Seiten positiv bewertet. Im Dezember wird die zweite Runde in Havanna stattfinden. Das ist ein konkreter Schritt. Die USA haben die Einwanderungspolitik als Waffe gegen die kubanische Revolution eingesetzt. Kubaner, die illegal in die USA einreisen, erhalten sofort Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsgenehmigung. Das ist illegal. Es gibt also viel zu besprechen.