Luxemburg28. Januar 2025

Schmits Mindestlohnrichtlinie droht das Aus

Dänemark und Schweden verteidigen ihre auf Kollektivverträgen basierenden Lohnfindungsmodelle

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Im Sommer, spätestens im Herbst wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die EU-Richtlinie »über angemessene Mindestlöhne« erwartet. Als der EU-Rat der Staats- und Regierungschefs das mehr oder weniger einzige Vermächtnis des Luxemburger EU-Arbeitskommissars Nicolas Schmit vor zweieinhalb Jahren gegen die Stimmen Dänemarks und Schwedens und bei einer Enthaltung (Ungarns) annahm, führte das im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) zum größten Streit seiner fünfzigjährigen Geschichte. Landsorganisationen i Sverige (LO), der mit 1,2 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaftsdachverband in Schweden, boykottierte zeitweise sogar die EGB-Sitzungen in Brüssel und stellte seine Beitragszahlung ein. Von Torbjörn Johansson, dem damaligen Generalsekretär der LO, hieß es zur Begründung, seine Organisation könne niemanden bezahlen, »der uns tötet«.

Obwohl es weder in Dänemark noch in Schweden einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, fallen in den beiden Nordländern 82 beziehungsweise sogar 90 Prozent der Schaffenden unter einen Kollektivvertrag. Die werden in beiden Ländern ohne jegliche Mitwirkung der Regierung allein zwischen den Vertretern des Patronats und denen des Salariats ausgehandelt. Und dabei haben Letztere durchaus Erfolge vorzuweisen: In aller Regel liegen die in Dänemark und Schweden ausgehandelten Löhne sehr deutlich über den von der EU-Mindestlohnrichtlinie nahegelegten Werten.

Zwar setzt Schmits butterweiche EU-Direktive keine EU-weiten Mindestlöhne fest, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich, »klare und transparente Kriterien« für die Bemessung nationaler Mindestlöhne festzulegen und deren Höhe regelmäßig an die Lohnentwicklung anzupassen, doch schon als Dänemark 1973 und Schweden 1995 der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) beitraten, beziehungsweise dem »Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union« (AEUV) zustimmten, ließen sich die Skandinavier die Zusicherungen geben, ihr ausschließlich auf Kollektivverträgen basierendes Lohnfindungsmodell beibehalten zu können.

Trotzdem wurde die EU in den 90er Jahren verstärkt im Bereich Individualarbeitsrecht aktiv, verabschiedete diverse Richtlinien, zum Beispiel zu Arbeitszeit oder Elternurlaub und übte Druck auf Dänemark und Schweden aus, diese in nationales Recht umzusetzen. Es folgten mehrere EuGH-Urteile, die die Spielräume für Kollektivvertragsverhandlungen weiter begrenzten. Entsprechend groß sind heute das Mißtrauen und die Ablehnung der Mindestlohnrichtlinie, von der befürchtet wird, sie könne irgendwann auch in verbindlichen Vorgaben münden. Deshalb klagte Dänemark gegen Schmits Projekt vor dem EuGH und Schweden unterstützt die Klage. Dagegen treten sieben Mitgliedstaaten und die Kommission als Streithelfer des EU-»Gesetzgebers« auf.

Der Argumentation Dänemarks folgte Mitte Januar der Generalanwalt des EuGH, Nicholas Emiliou, in einem richterlichen Rechtsgutachten. Die EU-Richtlinie greife unmittelbar in das Arbeitsentgelt ein. Nach dem AEUV sei ein solcher Eingriff aber ausgeschlossen, »unabhängig davon, wie streng oder flexibel er ist«. Vielmehr sei in diesem Bereich jegliche EU-weite Harmonisierung unzulässig. Daher schlägt Generalanwalt Emiliou dem EuGH vor, die Richtlinie für nichtig zu erklären. Ob die zuständige Große Kammer des EuGH dem folgt, ist offen, wird aber mehrheitlich erwartet.