Leitartikel30. Mai 2024

Recht auf Gesundheit – oder auf Konzernprofite?

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Auf der 77. Weltgesundheitsversammlung, dem noch bis Samstag an ihrem Hauptsitz in Genf tagenden Jahrestreffen der Weltgesundheitsorganisation WHO, konnten sich ihre 194 Mitgliedstaaten vorerst nicht auf ein Internationales Pandemieabkommen einigen, mit dem die weltweite Ausbreitung gefährlicher Krankheiten in Zukunft besser verhütet und bekämpft werden soll.

Die Ausarbeitung eines Pandemieabkommens wurde Ende 2021, als die Schrecken der Coronakrise noch allgegenwärtig waren, beschlossen, und es wurde ein Internationales Verhandlungsgremium (INB) ins Leben gerufen, das die Details bis Mitte 2024 klären sollte. Die Fehler in der Coronakrise, als in den meisten Ländern zu spät auf die Ausbreitung des neuen Erregers reagiert wurde, und viele Regierungen aus purer Not nicht an lebensrettende Medizinprodukte kamen, sollten sich nicht wiederholen.

Doch der anfängliche Elan ist verpufft, COVID-19 ist heute nur noch eine Infektionskrankheit unter vielen. Daß das Pandemieabkommen wohl noch Jahre auf sich warten läßt, liegt der renommierten britischen Medizinzeitschrift »The Lancet« zufolge an »einer Handvoll mächtiger Länder, die die beste Chance sabotieren, die Lehren aus der COVID-19-Pandemie in verbindliche Verpflichtungen umzusetzen, die uns alle schützen«.

Denn gegen eine Pandemie, also eine weltweite Seuche, kann sich die Menschheit nur gemeinsam wehren. Dazu müssen Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika zum Erregernachweis dorthin geliefert werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden – und nicht an den jeweils Meistbietenden.

Nach den grottenschlechten Erfahrungen in der Coronakrise fordern bislang 29 Entwicklungs- und Schwellenländer mit China, Brasilien und Südafrika an der Spitze, die sich in der »Group for Equity« (Gruppe für Gerechtigkeit) zusammengeschlossen haben, den ungehinderten Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika, effektive Regeln für den globalen Technologietransfer und einen weltweit verbindlichen Finanzierungsmechanismus.

Doch die westlichen Pharmakonzerne, die »ihre« Regierungen – und damit auch die von diesen ausgewählten Verhandlungsdelegationen im INB – hinter sich wissen, sehen ihre in der Coronakrise erzielten Traumprofite gefährdet und fordern ihrerseits Patentschutz, freie Hand bei der Preisfestlegung auch bei »pandemiebezogenen Produkten« sowie Zugang zu allen Informationen über Erregerproben und Genomsequenzdaten.

Zuletzt verhandelte das INB über einen Vorschlag, nach dem die Pharmakonzerne als »Gegenleistung« für den vollumfänglichen Zugang zu Erregerproben zehn Prozent der auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelten Impfstoffe und Medikamente der WHO kostenlos und weitere zehn Prozent anderen Unterorganisationen der UNO zum »reduzierten Preis« zur Verfügung stellen sollten. Kein Wunder, daß dieser Vorschlag mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde. Denn sonst, schreibt »The Lancet«, würden die anderen 80 Prozent der Impfstoffe, Medikamente und Diagnosemittel weiter »dem internationalen Gerangel zum Opfer fallen, das bei COVID-19 zu beobachten war, als lebenswichtige Gesundheitstechnologien an den Meistbietenden verkauft wurden«. Das sei »beschämend, ungerecht und diskriminierend«.