Der Libanon hat eine neue Regierung
Ungewöhnlich schnell für libanesische Verhältnisse ist es dem designierten Ministerpräsidenten Hassan Diab gelungen, eine neue Regierung zu bilden. Anfang November 2019 war der bisherige Ministerpräsident Saad Hariri aufgrund massiver Proteste gegen Korruption und Finanzkrise zurückgetreten. Versuche, ihn zur Bildung einer neuen Regierung zu bewegen schlugen fehl. Zwei weitere Kandidaten fanden nicht die Zustimmung des Parlaments. Am 19. Dezember 2019 erhielt Hassan Diab den Auftrag zur Regierungsbildung und bereits einen Monat später steht die neue Ministerriege.
Mit 20 Ministerinnen und Ministern ist das neue Kabinett kleiner, der Hariri-Regierung gehörten 24 Minister an. Sechs Posten hat Diab an Frauen vergeben, darunter das Verteidigungsministerium, das Amt des stellvertretenden Regierungschefs sowie die Ministerien für Vertriebene und für Justiz. Finanzminister wird der Ökonom Ghazi Wasni, Außenminister wird der langjährige Diplomat und Vertreter bei der Arabischen Liga Nassif Hitti. Nahezu alle Ministerinnen und Minister haben eine akademische Laufbahn vorzuweisen, mit Abschlüssen an Universitäten in Frankreich, England, den USA und Kanada.
Hassan Diab ist Professor an der renommierten Amerikanischen Universität Beirut (AUB) und war Bildungsminister in der Regierung des früheren Ministerpräsidenten Najib Mikati. Nach der ersten Sitzung mit Präsident Michel Aoun am Mittwochmorgen sagte Diab seine Regierung bestehe aus »Technokraten«, wie es die Volksbewegung gefordert habe. »Wir werden gegen die Korruption kämpfen, die gestohlenen Gelder zurückholen und Stabilität herstellen«, so Diab.
Neue Spielregeln
»Die Spielregeln haben sich geändert«, sagt Mohammad Ballout, politischer Beobachter und langjähriger Korrespondent der Tageszeitung »As Safir«, die Ende 2016 nach 42 Jahren ihr Erscheinen einstellte. Das Bündnis um die Hisbollah habe sich durchgesetzt, die Bewegung des »14. März« werde die Opposition im Parlament sein. Das sei für diese und auch für ihre Unterstützer in der EU, den USA und in den Golfstaaten eine neue Erfahrung. Man müsse abwarten, ob sie sich damit abfinden.
Für die westliche Welt hat USA-Außenminister Mike Pompeo bereits die Richtung vorgegeben. Mit Verweis auf die anhaltenden, gewalttätigen Proteste in Beirut erklärte Pompeo: »Die Proteste im Libanon richten sich gegen die Hisbollah und sagen ‚Es reicht‘.« Die Menschen wollten eine Regierung, die nicht korrupt sei und den Willen des libanesischen Volkes erfülle, so Pompeo. Dem Libanon stehe in den nächsten Wochen eine »fürchterliche Finanzkrise« bevor, warnte Pompeo weiter. Die USA seien »bereit zu intervenieren und Unterstützung zu geben, aber ausschließlich an eine Regierung, die sich zu Reformen verpflichtet.“
Die »Reformen«, die Pompeo meint, wären vermutlich ein vom Internationalen Währungsfonds (IWF) eingeleitetes Restrukturierungs- und Kreditprogramm. An erster Stelle stünde die IWF-Kontrolle libanesischer Finanzposten und die Privatisierung der wenigen lukrativen staatlichen Unternehmen, allen voran die Privatisierung der Gasvorkommen vor der Küste des Landes. Finanzexperten gehen davon aus, daß der Libanon mindestens 5 Milliarden US-Dollar benötigt, um den Geldfluß im Land wieder anzukurbeln. Sollte die »Hilfe« des IWF abgelehnt werden, benötigt Libanon von anderen Staaten Finanzhilfen.
Tatsächlich sei aktuell das Wichtigste für die Diab-Regierung, die Finanzkrise in den Griff zu bekommen, ohne sich an den Internationalen Währungsfonds zu wenden, sagt Mohammad Ballout. Da es sich um eine »strukturelle Krise« im libanesischen Finanzsystem handele, dürfe der Libanon keine neuen Schulden machen. Das würde den endgültigen wirtschaftlichen Kollaps nach sich ziehen und das Land in die vollständige Abhängigkeit des Währungsfonds und der diesen kontrollierenden Staaten bringen.
Premier Diab erklärte, er werde sehr bald die arabischen Staaten besuchen. Von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird Diab kaum Unterstützung erwarten können. Das Emirat Katar will bis zu 5 Milliarden US-Dollar auf Konten im Libanon deponieren. Das Geld ist kein Kredit und kann von der Regierung nicht verwendet werden. Es könnte aber die finanzielle Lage beruhigen. Rußland hat die Überweisung von 2 Milliarden und China die Überweisung von 1 Milliarden US-Dollar zur Stabilisierung der libanesischen Währung in Aussicht gestellt.
Proteste halten an
Die neue Regierung von Hassan Diab wird von den Abgeordneten der »Allianz des 8. März« unterstützt, einem Bündnis um die Hisbollah. Die Parteien der »Allianz des 14. März« um den ehemaligen Ministerpräsidenten Saad Hariri lehnen sowohl Hassan Diab als auch seine Regierung als »einfarbig« oder »einseitig« ab, eben weil sie von der »8. März«-Allianz unterstützt werden. Seit dem Rücktritt von Hariri haben die »14. März«-Parteien sich vor allem darin geübt, Vorschläge der anderen Parteien und von Präsident Michel Aoun abzulehnen und damit den Druck auf die Hisbollah und die Parteien des »8. März« zu erhöhen. Dabei geht es den »14. März«-Politikern und ihren Unterstützern in der EU, den USA und den Golfstaaten nicht um die Stabilisierung des Libanon, sondern darum, die Hisbollah zu stürzen.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Regierungsbildung kam es am Dienstagabend wieder zu gewaltsamen Protesten im Zentrum von Beirut und in der Stadt Tripoli. »Hassan verschwinde« riefen Demonstranten, Straßen wurden erneut mit brennenden Reifen blockiert. Für USA-Außenminister Mike Pompeo waren die Proteste der Beweis dafür, daß die Libanesen nicht nur die neue Regierung, sondern auch die Hisbollah nicht wollen.
Kommunisten wollen Kampf fortsetzen
Auch die Libanesische Kommunistische Partei rief dazu auf, die Proteste fortzuführen. Marie Debs, ehemalige Beauftragte für internationale Beziehungen im Politbüro der KP Libanon erklärte auf Anfrage der Autorin, die neue Regierung sei nicht mehr als »eine Kopie der Regierung von Saad Hariri«. Die »Bewegung des 8. März« sei »der Pate« dieser Regierung, die kaum in der Lage sein dürfte, die ökonomische und finanzielle Krise zu lösen. Ihr einziges Interesse sei »die Intifada« im Libanon zu stoppen.
Das Politbüro der Partei erklärte am Mittwoch, die Regierung sei von dem »herrschenden System« gebildet worden und benutze »in einer provokativen Art und Weise und unter dem Deckmantel einer Regierung von ‚Technokraten und Unabhängigen’ den gleichen Mechanismus wie die vorherige Regierungen«. Das »einzige Mittel«, um die Krise zu überwinden müsse »von außerhalb des herrschenden Systems« kommen. Eine komplette Änderung der Struktur des politischen Systems sei dringend. Nur ein »lang anhaltender Kampf mit einer klaren politischen Vision kann den radikalen Wandel erreichen« und den Libanon »von einem konfessionellen Staat in einen säkularen, demokratischen Staat« verändern.
Karin Leukefeld