Die Rechnung geht an uns
Sanktionen gegen Rußland führen zu Massenarmut
Die Lage ist ernst. Die Wirtschaftssanktionen haben Wirkung erzielt. Dies ist allerdings nicht der verzweifelte Hilfeschrei aus Moskau, sondern beschreibt die angespannte Situation für die Menschen im »Werte-Westen«. »Die Preise für Gas sind jetzt schon hoch und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefaßt machen«, mußte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag voriger Woche zugeben, als er die »Alarmstufe« als zweite von drei Eskalationsstufen des »Notfallplans Gas« ausrief.
Die damit verbundenen verschärften Energiesparmaßnahmen begründete der Bundeswirtschaftsminister ausgerechnet mit der Verringerung der Gaslieferungen aus Rußland durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Der russische Konzern Gasprom hatte angekündigt, wegen der aufgrund westlicher Sanktionen stockenden Wartungsarbeiten an einer Gasturbine täglich nur noch 40 Prozent der üblichen Menge durch die Leitung liefern zu können. »Aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen ist es für Siemens Energy derzeit nicht möglich, überholte Gasturbinen an den Kunden zu liefern«, teilte auch der Energieanlagenhersteller Siemens Energy mit.
Die Drosselung der Lieferungen bezeichnete der grüne Minister und Vizekanzler Habeck in völliger Verdrehung von Ursache und Wirkung als »ökonomischen Angriff Putins«. Sollte die Liefermenge »weiterhin auf dem niedrigen Niveau« bleiben, sei das durch das Ende März verabschiedete Gasspeichergesetz angestrebte Ziel von 90 Prozent Füllmenge bis Dezember »kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar«, erklärte der Minister und appellierte an Industrie und Privathaushalte, den Gasverbrauch weiter zu reduzieren.
Für den Fall, daß sich die Lage weiter zuspitze, ließ Habeck durchblicken, müsse eventuell der Paragraf 24 im gerade novellierten Energiesicherungsgesetz zur Anwendung kommen. Dieser ermöglicht einen »Preisanpassungsmechanismus«. Versorger können dann mit sofortiger Wirkung die Konditionen für die Gaslieferung aussetzen und höhere Preise direkt an ihre Kunden weiterreichen. Gaskunden würden so von einem Tag auf den anderen mit massiven Aufschlägen konfrontiert. Dies gilt auch für Kunden, die eigentlich Preisgarantien über Laufzeitverträge haben.
»Jede Kilowattstunde zählt«
Auch ohne diesen »Preisanpassungsmechanismus« sind seit Ankündigung der Drosselung der Gaslieferungen die Großhandelspreise weiter massiv angestiegen. Am niederländischen Handelsplatz TTF kostete Erdgas am Donnerstag vergangener Woche rund 135 Euro pro Megawattstunde. Am Vortag waren es noch 127 Euro und eine Woche zuvor hatte der Preis noch bei gut 83 Euro gelegen. Zur Erinnerung: Vor dem Krieg lagen die Gaspreise bei Langfristverträgen pro Megawattstunde zwischen 20 bis 30 Euro. Kein Wunder, daß selbst die großbürgerliche »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) vor diesem Hintergrund davor warnt, daß die explodierenden Energiepreise nicht nur Geringverdiener, sondern auch Teile der Mittelschicht in die Armut treiben werden.
Der großen Mehrheit der Bevölkerung wird so »Frieren gegen Putin« verordnet. Gleichzeitig erhalten die Pläne des Bundeswirtschaftsministers aus den Reihen der Industrie breite Zustimmung. Stellvertretend für seine Klasse sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: »Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt.« Auch der Verband der Chemischen Industrie unterstützt die geplanten Maßnahmen. Insbesondere das vom Wirtschaftsministerium angekündigte Gasauktionsmodell zur Einsparung von Industriegas begrüßte deren Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup als »marktwirtschaftliches Instrument«. Für den Maschinenbauverband VDMA erklärte dessen Präsident Karl Haeusgen, man unterstütze Habecks Vorhaben, Anreize für eine Reduzierung des Gasverbrauchs in der Industrie zu schaffen.
Die Aussicht auf Extraprofite nach dem erhofften »Sieg gegen Putin« und dem Zurückstutzen Rußlands als Absatzmarkt und Lieferant billiger Rohstoffe scheint diesen Kapitalfraktionen – wie schon einmal 1941 – den Blick auf die Realitäten zu verstellen. Die Zeche hierfür werden wieder die arbeitenden Menschen zahlen. Die deutsche Bundesregierung hat bereits angekündigt, daß man nicht alle Belastungen ausgleichen könne.