Ausland05. Dezember 2019

Türkei beharrt auf Besetzung

Syrien-Verhandlungen werden von außen gestört

Wieder einmal Syrien-Verhandlungen in Genf. Verhandlungen? Nach einer ersten – eher positiv verlaufenen – Verhandlungsrunde kam es in der aktuellen Runde zu einem Stillstand – sie fand nicht statt. Die beiden Ko-Vorsitzenden – ein Vertreter der Regierung und einer der Opposition – einigten sich nicht auf eine Tagesordnung. Es gab nur getrennte Gespräche zwischen Geir Pederson, dem UNO-Sondergesandten für Syrien, und den jeweiligen Delegationen.

Initiiert wurden die Verhandlungen um eine mögliche neue Verfassung für Syrien vor zwei Jahren, auf einem Kongreß in Sotschi. Die Gestaltung einer neuen Verfassung soll allein »in syrischer Hand« liegen, und neben Vertretern der Regierungs- und Oppositionsseite gibt es auch Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft. Doch gehören diese faktisch einer der beiden Seiten an.

Die Verhandlungen finden unter dem Schirm der UNO statt und darüber können all die internationalen Akteure von USA über EU bis zu den Golfstaaten Einfluß nehmen. Die wesentlich bestimmenden Kräfte sind der Iran, die Türkei und Rußland. Diese drei Staaten haben den Astana-Prozeß und die Verfassungskommission auf den Weg gebracht und ohne ihre Einigung wird es kein Ergebnis geben. Es ist das Kräfteverhältnis dieser drei Staaten in Syrien, das die Verhandlungen bestimmt.

Nach wie vor kontrolliert die Türkei – über ihre Militärstützpunkte und die mit ihr Verbündeten Dschihadisten – weite Teile der syrischen Provinz Idlib. Diese Kontrolle ist langfristig nicht gesichert. Nicht in einer großen Offensive und dem Kampf um die gesamte Provinz, aber Schritt für Schritt versucht die syrische Armee, die Dschihadisten aus einzelnen Gebieten von Idlib zu vertreiben und türkische Militärposten zu isolieren.

Im Nordosten Syriens mußte die Türkei ihre geplante Offensive beschränken, um nicht die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation aufs Spiel zu setzen. Dennoch droht Erdogan mit erneuten Aktivitäten – womöglich als Gegengewicht gegen ein weiteres Vordringen der syrischen Armee in Idlib.

Der Tagesordnungsvorschlag der regierungsnahen Delegation (es sind keine Mitarbeiter der Regierung selbst) für die Verfassungskommission stieß mitten in dieses Geflecht politischer und militärischer Beziehungen. Ihr Vorschlag umfaßte die Ablehnung der türkischen Besetzung, das Verbot der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht und den Kampf gegen den Terrorismus – also genau die weiterhin existierenden Brennpunkte des Krieges. Über diesen Vorschlag wollte die Delegation der Opposition nicht einmal diskutieren. Das USA-Außenministerium, das offiziell keinerlei Befugnisse in diesen Verhandlungen hat, nannte den Vorschlag eine unzulässige Vorbedingung.

Für die Türkei, die die Oppositionsdelegation unterstützt, ist die Kontrolle über Idlib und weite Teile des Nordens von Syrien eine Tatsache, die nicht zur Disposition steht. Übrigens entgegen allen UNO-Beschlüssen, die immer wieder die territoriale Integrität Syriens fordern.

Die Verfassungskommission ist nur pro forma »in syrischer Hand«. Bei ihrer Zusammensetzung wurden die traditionellen Parteien und politischen Kräfte in Syrien komplett ignoriert Ob sie dennoch etwas zur Neugestaltung Syriens beitragen kann, wird von den weiteren Beziehungen zwischen Rußland, Türkei und Iran abhängen und von den militärischen Entwicklungen in Idlib und im Norden Syriens.

Manfred Ziegler

Der UNO-Sonderbeauftragte Geir O. Pedersen (M.) und die Vertreter der Regierungs- (l.) und der Oppositionsseite vor Beginn der geplanten Gespräche am 30. Oktober in Genf
(Foto: EPA-EFE/MARTIAL TREZZINI)