»Das Bündnis ist wieder da«
Biden und Merkel werben für »transatlantische Partnerschaft«. Differenzen zu Rußland, China und Strafzöllen bestehen dennoch fort
Fortdauernde transatlantische Differenzen überschatten die auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« zelebrierte vorgebliche Einigkeit zwischen den USA und Westeuropa. USA-Präsident Joe Biden sagte auf der Konferenz: »Das transatlantische Bündnis ist wieder da.« Kanzlerin Angela Merkel erklärte, Deutschland stehe »für ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft bereit«. Während beide Seiten sich darauf vorbereiten, den Druck auf Rußland und China zu intensivieren, hielt Merkel am Freitag fest, die Bundesrepublik wünsche auch weiterhin »kooperative Angebote« an Rußland; gemeint ist unter anderem die Erdgaspipeline »Nord Stream 2«, die die USA auch unter ihrem neuen Präsidenten ablehnen. Ähnliche Differenzen zeichnen sich in der Chinapolitik ab: Das Chinageschäft gilt als unverzichtbar für zahlreiche deutsche Konzerne. Trotz Drängens der EU hat Washington nicht einmal die Trump'schen Strafzölle zurückgenommen und verschärft zum Unmut der Union sogar den »Buy American Act«.
»Beyond Westlessness«
Die Organisatoren der Münchner »Sicherheitskonferenz« um den langjährigen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger hatten die diesjährige Veranstaltung thematisch als Kontrapunkt zur letztjährigen Tagung konzipiert. Jene hatten sie unter das Motto »Westlessness« gestellt – ein Kunstwort, das den Blick auf den geringer werdenden Einfluß des Westens auf die internationale Politik richten sollte. In einem Begleitheft zur »Sicherheitskonferenz« 2020 wurde entsprechend der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem Urteil zitiert: »Wir waren an eine internationale Ordnung gewöhnt, die auf der westlichen Hegemonie seit dem 18. Jahrhundert beruht hatte. Die Dinge ändern sich.«
Ischinger hatte damals für entschlossene Einflußmaßnahmen plädiert, um das Ruder herumzureißen oder zumindest den Abstieg des Westens zu bremsen. Die am Freitag abgehaltene Online-Kurzversion der Konferenz stand nun unter dem Motto »Beyond Westlessness« (»Jenseits der Westlessness«) und diente vor allem dazu, nach den Zerwürfnissen in der Ära Trump einen neuen transatlantischen Schulterschluß zu zelebrieren.
Erstmals waren außer UNA-Generalsekretär António Guterres und WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus lediglich führende Politiker des alten Westens eingeladen, darunter neben USA-Präsident Joe Biden Bundeskanzlerin Angela Merkel und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
»Ein Signal an die Welt«
Tatsächlich nahmen demonstrative Bekenntnisse zu einer Erneuerung des transatlantischen Pakts auf der Videokonferenz breiten Raum ein. USA-Präsident Biden sagte in seiner Rede: »Amerika ist wieder da. Das transatlantische Bündnis ist wieder da. Und wir blicken nicht zurück, wir blicken nach vorn, gemeinsam.« Kanzlerin Merkel erklärte, Deutschland stehe »für ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft bereit«. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekundete: »Es liegt an uns, an den Vereinigten Staaten und Europa, unsere Kooperation wieder zu stärken. ... Schulter an Schulter. Denn wenn wir vorangehen, geht es nicht nur darum, sich zu verbünden. Das ist ein Signal an die Welt.«
EU-Ratspräsident Charles Michel wiederum drang darauf, EU und USA müßten »sich zusammentun«, um »größeren Wohlstand für unsere Bürger« zu schaffen: »Laßt uns unsere Partnerschaft zu einem Kraftzentrum für eine bessere Welt machen«. Die EU wolle ihrerseits »ein starker und verläßlicher Partner sein«. Die Veranstalter der Tagung teilten anschließend mit, man habe miteinander »über den Wiederaufbau und die Erneuerung des transatlantischen Bündnisses« diskutiert. Der Videozusammenkunft vom Freitag werden noch in diesem Jahr weitere Veranstaltungen und nach Möglichkeit eine große Konferenz im gewohnten Präsenzformat folgen.
Rußland: »Auch kooperative Angebote«
Dabei zeichnet sich ungeachtet aller Bündnislyrik längst klar ab, daß bisherige transatlantische Differenzen in erheblichem Maß fortbestehen. Dies gilt zum Beispiel für die Rußlandpolitik. Zwar hat Kanzlerin Merkel auf der Videokonferenz konstatiert, man sei weder im Streit um die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation noch im »Minsker Prozeß« in nennenswertem Ausmaß vorangekommen: »Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir eine gemeinsame transatlantische Rußland-Agenda entwickeln«.
In der Tat haben Berlin und Brüssel mit Blick auf das bisherige Scheitern ihres Anspruchs, mit dem »Minsker Prozes« als Ordnungsmacht in der Ostukraine aufzutreten, ihre Rußlandpolitik – recht ähnlich wie Washington – im Herbst mit neuen Sanktionen verschärft; am Montag einigten sich die EU-Außenminister zudem über die Verhängung weiterer Zwangsmaßnahmen. Allerdings hat Merkel am Freitag zugleich betont, die gemeinsame Rußlandpolitik von EU und USA müsse auch »kooperative Angebote beinhalten«. Dies trifft beispielsweise auf die Erdgaspipeline »Nord Stream 2« zu, an der die deutsche Bundesregierung festhalten will – nicht zuletzt, um ihre Eigenständigkeit gegenüber den USA zu demonstrieren. In Washington macht hingegen der Kongreß Druck, die USA-Sanktionen gegen den Bau der Pipeline auszuweiten.
China: »Vielleicht noch komplizierter«
Anhaltende Differenzen zeichnen sich außerdem in der Chinapolitik ab. Biden forderte auf der Münchner Videokonferenz, die transatlantischen Mächte müßten sich »gemeinsam auf einen langfristigen strategischen Wettbewerb mit China vorbereiten«: »Der Wettbewerb mit China wird heftig sein«; doch werde man letzten Endes »das Rennen um die Zukunft gewinnen können«.
Merkel hingegen sagte voraus, »eine gemeinsame Agenda gegenüber China« zu entwickeln werde »vielleicht noch komplizierter« sein als die Einigung auf eine gemeinsame Rußlandpolitik. Ursache ist, daß Berlin trotz einer verschärften machtpolitischen Konfrontation auch eine fortdauernde wirtschaftliche Kooperation mit Peking anstrebt. Dem dient unter anderem das neue Investitionsabkommen zwischen der EU und der Volksrepublik China, auf das sich beide Seiten Ende 2020 im Grundsatz geeinigt haben.
Im Gegensatz dazu hat die Biden-Administration, die erst kürzlich eine Pentagon-Task Force zur Überarbeitung der militärischen Strategien gegen China eingesetzt hat, weiterhin aggressive ökonomische Maßnahmen gegen China im Visier. Dies laufe »dem europäischen Wunsch, die wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen zu China aufrechtzuerhalten, diametral entgegen«, urteilt beispielsweise der Europa-Direktor des Washingtoner Think-Tanks Carnegie Endowment, Erik Brattberg.
Strafzölle und »Buy American«
Transatlantische Streitigkeiten dauern nicht zuletzt in den Handelsbeziehungen an. So drängt die EU die Biden-Administration bislang vergeblich, die Strafzölle aufzuheben, die die Trump-Administration gegen Einfuhren aus der Union verhängt hat: Diese sind unverändert in Kraft. Es kommt hinzu, daß USA-Präsident Biden in einer seiner ersten Amtshandlungen eine Verordnung erlassen hat, die den Grundsatz, daß USA-Regierungsbehörden nur im eigenen Land produzierte Waren und nur US-amerikanische Dienstleistungen erwerben sollen, noch strikter faßt als zuvor: Der bisher zulässige Anteil im Ausland produzierter Bauteile an den entsprechenden Waren wird reduziert; Ausnahmegenehmigungen sollen ebenfalls noch seltener erteilt werden als bereits zuvor.
Bidens Verschärfung des »Buy American Act« stößt in Berlin und Brüssel auf schweren Unmut – nicht zuletzt, da das betroffene Auftragsvolumen auf stolze 600 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Vergangenen Donnerstag bekräftigte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, Brüssel werde genau »prüfen«, ob Bidens »Buy American«-Praktiken den Regeln der WTO entsprächen. Am Freitag hat nun darüber hinaus der Berliner Regierungskoordinator für die transatlantischen Beziehungen, Peter Beyer, gefordert, »die Zeit der Strafzölle« müsse »ein Ende haben«: »Ich erwarte, daß hier bald richtig Tempo gemacht wird.« Die gewünschte Entspannung ist freilich noch nicht in Sicht.