Ausland16. Juni 2021

Syrien nach den Präsidentschaftswahlen

Nach einem Krieg und unter Wirtschaftssanktionen muß sich das Land dem Klimawandel stellen

von Karin Leukefeld, Damaskus

Damaskus, Mitte Juni. Nach und nach werden die Plakate der Präsidentschaftskandidaten aus dem Stadtbild entfernt. Das ehrwürdige Tuma-Tor in der Altstadt ist wieder zu sehen, nachdem bis auf eines die zahlreichen Plakate des alten und neuen Präsidenten Baschar Al-Assad über Nacht abgehängt worden waren.

Es ist heiß geworden. Immer mehr Damaszener schalten ihre Klimaanlagen an, was sich unmittelbar auf die Stromversorgung der Zweimillionenstadt auswirkt. In den Kriegsjahren hat sich die Einwohnerzahl der syrischen Hauptstadt durch die Zuwanderung von Inlandsvertriebenen mindestens verdoppelt und der Strom wird rationiert. Nur dort, wo Regierungsmitglieder, Mitarbeiter internationaler Organisationen und Botschaften leben, sind kaum Stromausfälle zu verzeichnen. Krankenhäuser und große Hotels verfügen über eigene Generatoren und auch Verwaltung, Armee, Medien und Ministerien werden zumeist mit ausreichend Strom versorgt.

Strom wird rationiert

In den Wohnvierteln gibt es in guten Zeiten im Wechsel vier Stunden mit und zwei Stunden ohne Strom. Das reicht, um die Waschmaschine einzuschalten, elektrische Geräte und Batterien aufzuladen, Kühlschränke und Kühltruhen zu kühlen. Ähnlich wie in Damaskus haben die Menschen auch in anderen Städten des Landes gelernt, ihren Alltag dem Strommangel anzupassen.

Schwieriger ist das Leben in den stark zerstörten Ortschaften im Umland von Damaskus, den zerstörten Vierteln von Homs und Aleppo oder in Dörfern und Städten im wenig besiedelten Ostsyrien. Trotz der eigenen Probleme beliefert Syrien aber noch immer, wie schon vor dem Krieg, den Libanon mit Strom. Und Jordanien erhält, wie vor dem Krieg, noch immer Wasser aus dem südsyrischen Jarmuk-Tal.

Der schwierige Alltag

Abu Raschid wohnt mit seiner Familie hoch oben auf dem Dschebel Kassiun, dem Hausberg von Damaskus. Dort weht meist ein kühler Wind und besonders die Nächte bringen in den heißen Sommermonaten Erfrischung. Es sind arme Menschen, die sich im Laufe von Generationen am Kassiun angesiedelt haben. Viele sind, wie Abu Raschid, Kurden aus dem Norden des Landes. Sein Dorf gehört zu Afrin, nordwestlich von Aleppo.

Weil sein Sohn heiraten wird, baut er für ihn und dessen Frau eine Ein-Zimmer-Wohnung auf sein kleines Haus. Infolge von Inflation und Wirtschaftssanktionen ist es teuer, das Zimmer mit einem ordentlichen Dach und Fenstern auszustatten. Für das Badezimmer fehlt ihm noch die Tür.

Wasser sparen

Abu Raschid ernährt seine Familie mit Putzen. Eine feste Stelle hat er seit Jahrzehnten in einem kleinen Hotel in der Innenstadt. Ansonsten putzt er, wo immer man ihm Aufträge gibt. Einmal pro Woche putzt er fünf Stunden in einem Haus in der Altstadt von Damaskus. Die Hausbesitzerin ist froh, daß sie in ihm eine zuverlässige Hilfe hat. Nur wenn es ums Wasser geht, gerät sie regelmäßig in Rage. Als er wieder einmal das Wasser aus dem Schlauch über den Fliesenboden des Innenhofes laufen läßt, dreht sie das Wasser kurzerhand ab und greift selbst zum Schrubber. »So kann man mit wenig Wasser den Hof sauber machen!«, erklärt sie ihm nicht zum ersten Mal. »Wir müssen Wasser sparen! Im letzten Winter hat es wenig geregnet und kaum geschneit. Was werden wir tun, wenn eines Tages kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt?«

Türkische Besatzer in Afrin

Abu Raschid kann sich die Auswirkungen des Klimawandels nicht vorstellen. Aber er erinnert sich gut an die Wochen zum Jahreswechsel 2016/17, als bewaffneten Gruppen im Barada-Tal die Fidscha-Quelle besetzten, die Damaskus mit Wasser versorgt. Damals gab es in der ganzen Stadt, auch auf dem Kassiun, kein Wasser, Tankwagen kamen nur alle paar Tage, um die Menschen in den Stadtvierteln zu versorgen.

»Ich gehe zurück in mein Dorf«, sagt Abu Raschid und rechnet vor: »Wir haben Olivenbäume und können im Herbst mindestens fünf Teneke Olivenöl haben. Dafür bekomme ich eine Million Syrische Pfund, mehr als ich in Damaskus in einem Jahr verdiene.« Ein Teneke (Kanister) faßt 18 Liter und kostet heute rund 200.000 Syrische Pfund (ca. 75 Euro). Sein Monatslohn im Hotel beträgt umgerechnet etwa 25 Euro. »Wir haben Tiere, Gemüse, Wasser und Olivenbäume.« Er sei ein alter Mann, es sei Zeit sich zur Ruhe zu setzen. Da gebe es nur ein Problem, fügt er nach kurzem Zögern hinzu. Sein Dorf in Afrin ist seit 2018 von Dschihadisten besetzt, die von der Türkei beschützt werden. »Wir sind Kurden, sie wollen uns unsere Häuser und Olivenbäume nicht zurückgeben.«