Ausland30. Juli 2024

Das Doppelverbrechen an Zypern

Vor 50 Jahren wurde die Insel gewaltsam geteilt. Interview mit Vera Polycarpou (AKEL)

Die Insel Zypern hat aufgrund ihrer strategischen Lage seit tausenden Jahren die Begehrlichkeit fremder Mächte geweckt. Der Name verweist auf das Kupfer, das hier jahrhundertelang gefördert wurde.

Im Lauf der Geschichte herrschten Perser, Griechen, Römer und Türken über den mythologischen Geburtsort der griechischen Göttin Aphrodite. Die Bevölkerung blieb aber überwiegend griechisch geprägt. 1878 wurde Zypern vom Osmanischen Reich an das britische Empire verpachtet. Als die Osmanen 1914 an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg eintraten, annektierten die Briten die Insel und machten sie 1925 zu einer Kronkolonie.

Seit den 30er Jahren kam es immer wieder zu Aufständen und Unruhen gegen die Kolonialmacht, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch verstärkten. Um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, schürten die Briten Konflikte zwischen den griechischen und den türkischen Zyprioten.

1960 siegte die Unabhängigkeitsbewegung. Die Briten zwangen aber den neugeschaffenen Staat, ihnen große Flächen für zwei Militärstützpunkte zu überlassen.

Der führende Kopf der zyprischen Unabhängigkeitsbewegung war der griechisch-orthodoxe Erzbischof Makarios (1913 – 1977). 1960 wurde er der erste Präsident Zyperns und verfolgte einen Kurs der Blockfreiheit. In Washington und London wurde ein »Kuba im Mittelmeer« befürchtet. Es wurden Pläne zum Sturz der demokratisch gewählten Regierung ausgeheckt.

USA-Außenminister Henry Kissinger arrangierte ein Abkommen zwischen Griechenland und der Türkei über die Aufteilung Zyperns. Der Plan ging auf, als die von den USA gestützte Militärjunta in Griechenland am 15. Juli 1974 einen Staatsstreich gegen die Regierung Makarios durchführte und Zypern annektieren wollte. Die Türkei antwortete mit einer Invasion und hält bis heute 37 Prozent der Insel besetzt. Über 3.000 Menschen wurden getötet oder verschwanden. Die im Süden lebenden türkischen Zyprer wurden gezwungen, in das nördliche besetzte Gebiet umzuziehen, und die griechischen Zyprer wurden in den Süden vertrieben.

Vera Polycarpou, Verantwortliche für internationale Beziehungen der AKEL, der Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes, erläutert im Gespräch mit der Wochenzeitung der DKP »Unsere Zeit« die Situation. Mit Vera Polycarpou sprach Günter Pohl.

Zypern ist seit fünfzig Jahren geteilt. Welcher politische Hintergrund hat dazu geführt?

Ja, mein Land, Zypern, und das zypriotische Volk leben seit nunmehr 50 Jahren mit 37 Prozent seines Territoriums unter türkischer Besatzung. Um die Situation besser verstehen zu können, muß ich Folgendes sagen: Zypern ist die drittgrößte Insel im Mittelmeer, im östlichen Mittelmeer gelegen, an der Kreuzung von drei Kontinenten. Es ist der EU-Mitgliedstaat, der dem Nahen Osten am nächsten liegt. Aufgrund seiner vor allem geostrategischen Bedeutung hat Zypern seit Jahrhunderten unter zahlreichen ausländischen Invasoren, Siedlern und Eroberern gelitten. Zwischen 1571 und 1878 stand er unter osmanischer Herrschaft – daher leben auf Zypern zwei Hauptgemeinschaften: griechische Zyprioten und türkische Zyprioten. Von 1878 bis 1960 hatten die Briten die Kontrolle über Zypern, zwischen 1925 und 1960 war es eine britische Kolonie.

Die 1941 als Nachfolgerin der Kommunistischen Partei Zyperns (1926) gegründete AKEL strebte neben den intensiven Klassenkämpfen die Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft durch einen politischen Massenkampf der griechischen und türkischen Zyprioten an. Im Jahr 1955 nahm der antikoloniale Kampf die Form eines bewaffneten Kampfes an. Die AKEL befürwortet dagegen den politischen Massenkampf. Trotz der heldenhaften Selbstaufopferung vieler junger Zyprioten führte der bewaffnete Kampf das Zypernproblem in gefährliche Sackgassen, da er vom britischen Imperialismus ausgenutzt wurde, seine eigenen Interessen verfolgte.

Unter der Androhung einer Teilung oder gar vollständigen Besetzung Zyperns durch die Türkei setzten die Briten die Abkommen von Zürich und London durch. Abkommen, die ausländische Truppen und britische Militärstützpunkte auf der Insel beließen und eine Verfassung vorschrieben, die das normale Zusammenleben der beiden Gemeinschaften untergrub. Der ethnisch spaltende Charakter der Verfassung – eine Anwendung des Prinzips »Teile und herrsche« – erleichterte die Kultivierung ethnischer Konflikte in Zypern zum Nutzen ausländischer Interessen. Die Abkommen wurden durch den anachronistischen »Garantievertrag besiegelt, der die Republik Zypern unter die hegemoniale Kontrolle dreier Garantiemächte stellte: Großbritannien, Türkei und Griechenland.

Die Kultivierung des ethnischen Konflikts in Zypern zwischen griechischen und türkischen Zyprioten durch die imperialistischen Mächte und ihre lokalen Kollaborateure, die einerseits die Vereinigung mit Griechenland und andererseits die Taksim-Doktrin der Teilung Zyperns verkündeten, ebnete den Weg für die türkische Militärintervention im Jahr 1974. Britannien, die USA und die NATO sahen in Zypern damals wie heute einen »unsinkbaren Flugzeugträger« im Mittelmeer, der ihren Plänen zur Kontrolle der strategischen Region des Nahen Ostens und darüber hinaus sowie der Energiequellen und Transportwege dienen konnte. Aber auch die Türkei hatte in Zypern Expansionsbestrebungen.

Ein Hindernis für die Pläne zur Kontrolle Zyperns durch die NATO-Kräfte waren AKEL und die patriotischen demokratischen Kräfte um den Präsidenten Makarios. Daher mußten sowohl Makarios als auch diese Kräfte neutralisiert werden. Sowohl Griechenland als auch die Türkei, die zusammen mit Britannien die drei Garantiemächte sind, sind Mitglieder der NATO. So wurde 1971 auf dem NATO-Frühjahrsgipfel in Lissabon das Doppelverbrechen gegen Zypern geplant – der faschistische Putsch und die türkische Invasion. 50 Jahre später sind die Auswirkungen und Folgen dieses Doppelverbrechens immer noch spürbar.

Und dann ein Staatsstreich mit seinen Folgen: Terror, Unterdrückung, Morde. Und nach fünf Tagen die türkische Invasion …

Das oben Gesagte prägte die Bedingungen für die Ereignisse im Sommer 1974. Ein wichtiger Teil der internen Destabilisierung und Vorbereitung war die Gründung der terroristischen Organisation EOKA B (Nationale Organisation Zypriotischer Kämpfer B) durch rechtsextreme und faschistische Akteure. Ihr Anführer war Georgios Grivas, Mitglied der griechischen antikommunistischen Organisation »X«, der mit den deutschen Nazis bei der Besetzung Griechenlands kollaborierte und Kommunisten und Kämpfer verriet. Mit Mordversuchen an Präsident Makarios, Ermordung demokratischer Bürger, Sprengungen von Polizeistationen und AKEL-Parteihäusern, Einschüchterungen und einem Klima des Terrors wurde die verfassungsmäßige Ordnung unter Beschuß genommen.

Am 15. Juli 1974 setzten sich auf Befehl der griechischen Junta und der transatlantischen Entscheidungszentren die von griechischen Offizieren kommandierten Panzer der Nationalgarde unter Beteiligung der EOKA B in Bewegung. Das Ziel war der Sturz und die Ermordung von Präsident Makarios. Trotz des heldenhaften Widerstands der demokratischen Kräfte gelang es nicht, den Putsch zu verhindern. Makarios entkam der Gefahr eines Attentats und konnte über die britischen Stützpunkte zum Sitz der UNO in New York gelangen.


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