Ausland08. August 2009

Besatzer in der Defensive

Mehr als ein Drittel Afghanistans für USA, NATO und Marionettenregierung faktisch nicht zu betreten

Mehr als ein Drittel Afghanistans gilt als unsicher, in den entsprechenden Gebieten muß jederzeit mit einem Angriff der Taliban oder anderer aufständischen Gruppen gerechnet werden. Einige Regionen sind sogar »fest in der Hand des Feindes«. Das geht aus einer geheimen Karte der afghanischen Regierung hervor, die in Kabul der britischen Nachrichtenagentur Reuters zugespielt wurde.

Auf der Karte ist die jeweilige Bedrohungslage der einzelnen Gegenden farblich abgestuft wiedergegeben. Das Dokument zeigt, daß 133 der 356 afghanischen Distrikte als Hochrisikogebiete eingestuft werden, wovon mindestens 13 »unter Kontrolle des Feindes« stehen. Faktisch gelten demnach der gesamte Süden des Landes, aber auch weite Teile im Westen und Osten für die Soldaten der westlichen Besatzer und der Marionettenregierung in Kabul als extrem gefährlich.

Die Karte trägt sowohl das Logo des Innenministeriums und der Armee Afghanistans als auch das der Abteilung der UNO, die für die Sicherheit verantwortlich ist. Sie datiert vom April 2009, also aus der Zeit vor der dramatischen Eskalation der Kämpfe durch die US- und NATO-Truppen. Die Attacken gegen Aufständische hatten im Juli von ihnen den bisher höchsten Blutzoll (75 Tote, davon 43 US-Amerikaner) in dem fast achtjährigen Krieg gefordert.

Schnauze voll vom Krieg

Geradezu symbolisch für die Lage der westlichen Truppen ist ein Gerichtsverfahren, das vor einigen Tagen in Großbritannien gegen den 27 Jahre alten britischen Lance Corporal Joe Glenton begann. Glenton steht vor dem Kriegsgericht, weil er sich geweigert hatte, mit seiner Einheit in das Feuer nach Afghanistan zurückzugehen. »Ich glaube nicht mehr daran, daß wir in Afghanistan für eine gerechte Sache kämpfen. Vielmehr hat der Krieg schwere Folgen, sowohl für das afghanische Volk als auch für die britischen Soldaten und ihre Familienangehörigen«, rechtfertigte sich der Desillusionierte. Für ihn sei die westliche Militärintervention »nicht Teil der Lösung, sondern selbst zum Problem geworden«.

Ähnlich wie der britische Obergefreite hatte sich auch der 24-jährige US-Soldat im Range eines Corporals Victor Agosto geweigert, als Kanonenfutter nach Afghanistan geschickt zu werden. Nach einem Kriegseinsatz im Irak verweigerte er den Befehl zur Verschiffung an den Hindukusch und wurde dafür in dieser Woche von einem Kriegsgericht zu 30 Tagen Haft und anschließender unehrenhafter Entlassung aus der Armee verurteilt.

Der US-Luftangriff am Mittwoch auf das Dörfchen Kohat in der Provinz Kandahar ist ein weiterer Beleg, daß die massenhafte Anwesenheit schießwütiger ausländischer Krieger das Hauptproblem für eine Beilegung des Konfliktes in Afghanistan geworden ist. Eine aufgebrachte Menge marschierte mit den Leichen von vier Zivilisten, darunter drei Kinder, in die Provinzhauptstadt, um gegen die mörderischen Überfälle zu protestieren, mit denen die US-Kriegsherren seit Jahren die Bevölkerung terrorisieren. Wie so oft in der Vergangenheit erklärte auch diesmal das US-Oberkommando die Opfer kurzum zu »Extremisten«.

Für die NATO ist der Vorfall diesmal jedoch äußerst unangenehm, da er mit dem Besuch ihres neuen Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen zusammenfiel. Vertreter des Militärpakts versprechen daher, den Vorfall zu untersuchen. Das läuft in solchen Fällen in der Regel darauf hinaus, daß den Überlebenden pro toten Familienangehörigen hundert Dollar gezahlt werden.

Wie schwierig die militärische Lage geworden ist, zeigt auch die Verschiebung einer seit langem und von den Medien zunehmend ungeduldig erwarteten Einschätzung des Pentagon zur Situation in Afghanistan. Sie sollte in der nächsten Woche vorgestellt werden. Der Termin wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Das deutet darauf hin, daß man sich auch im US-Kriegsministerium nach wie vor nicht über die richtige Strategie einig ist. So muß mit einem »Weiter wie bisher« gerechnet werden.

Rainer Rupp