Ausland19. März 2021

OPCW – Quo Vadis?

Anhaltende Kritik an der Untersuchung eines angeblichen Giftgasangriffs in Syrien

von Karin Leukefeld

Besorgt über die Entwicklung in der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW) haben sich Diplomaten, Politiker, ehemalige OPCW-Waffeninspekteure und Experten für chemische Waffen, Wissenschaftler und Künstler und Journalisten an die Öffentlichkeit gewandt. Anlaß ist der Streit um den Abschlußbericht der OPCW über einen angeblichen Angriffs mit chemischen Waffen in Douma, Syrien.

Im April 2018, als sich nach langwierigen Verhandlungen rund 10.000 Kämpfer verschiedener bewaffneter regierungsfeindlicher Gruppen aus den östlichen Vororten von Damaskus auf den Abzug vorbereiteten – Zivilisten waren dafür zuvor evakuiert worden – flammten trotz eines Waffenstillstands die Kämpfe seitens der in Douma sitzenden »Armee des Islam« plötzlich wieder auf. Bei einem »Angriff mit chemischen Waffen« sollen dabei 50 Zivilisten getötet worden sein. Oppositionelle und die »Weißhelme« machten unmittelbar die syrische Armee verantwortlich.

Die syrische Regierung wies das zurück und forderte die OPCW zu einer Untersuchung auf. Eine Woche später, noch bevor die entsandte OPCW-Untersuchungskommission, die »Fact-Finding-Mission« (FFM), in Damaskus eintraf, flogen die USA, Britannien und Frankreich massive Luftangriffe auf Syrien. Begründet wurde das mit der Bezeichnung »Vergeltungsmaßnahme«, weil die syrische Regierung für den angeblichen Chemiewaffenangriff verantwortlich gewesen sei.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte das Vorgehen von USA, Britanniens und Frankreichs und betonte in einer schriftlichen Erklärung: »Wir unterstützen es, daß unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten als ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats in dieser Weise Verantwortung übernommen haben.«

Nach Abschluß der Douma-Untersuchung wurde im Sommer 2018 von der OPCW ein erster Zwischenbericht veröffentlich, der Abschlußbericht folgte am 1. März 2019. Dieser Abschlußbericht kam zu dem Ergebnis, daß Chlor als Waffe eingesetzt worden sei.

Kurz darauf wurde eine interne technische Untersuchung der OPCW bekannt, die Zweifel an dem offiziellen OPCW-Abschlußbericht aufwarf. Autor der Untersuchung war der langjährige OPCW-Inspekteur Ian Henderson. Dieser war bei seinen Untersuchungen in Douma zu dem Ergebnis gekommen, daß »Beobachtungen der Situation an den zwei Orten, zusammen mit der anschließenden Analyse nahelegen, daß es eine höhere Wahrscheinlichkeit gibt, wonach beide Zylinder manuell an den beiden Orten platziert wurden, als daß sie von einem Fluggerät abgeworfen wurden.«

Henderson betonte, er habe seine Studie nicht an die Öffentlichkeit gegeben. Eine interne OPCW-Suche nach der Quelle, die die technische Untersuchung in die Öffentlichkeit gebracht hatte, blieb ergebnislos. Allerdings leitete die OPCW gegen Henderson eine Untersuchung wegen Verstoßes gegen die Geheimhaltungspflicht ein.

Im Oktober 2019 meldete sich ein ehemaliger OPCW-Mitarbeiter zu Wort, der in leitender Funktion der ursprünglichen Douma-Untersuchungsmission angehört hatte. Bei einem Forum in Brüssel, zu dem die Courage Foundation eingeladen hatte, die Whistleblower wie Julian Assange und Edward Snowden unterstützt, erläuterte der Mann, der sich »Alex« nannte, detailliert wichtige wissenschaftliche Abweichungen und verfahrenstechnische Unregelmäßigkeiten, mit denen sich der offizielle Douma-Abschlußbericht von den tatsächlichen Untersuchungsergebnissen der OPCW-Untersuchungsmission unterschied. Offensichtlich war der Abschlußbericht »redaktionell bearbeitet« worden, wobei erhebliche Beweise ausgelassen worden waren.

2020 wurden zahlreiche weitere Dokumente in der Angelegenheit bekannt, die von Wikileaks oder der US-amerikanischen Rechercheplattform The Grayzone veröffentlicht wurden. Die ehemaligen OPCW-Inspektoren, die an der Douma-Untersuchung teilgenommen und ihren Widerspruch gegen den offiziellen Abschlußbericht kundgetan hatten, wurden nicht nur von der OPCW öffentlich verunglimpft. Das US-amerikanische Medium Bellingcat, eine Online-Recherche-Webseite, diffamierte die beiden Wissenschaftler direkt, in einer Serie von BBC Radio 4 ließ die Redaktion es zu, daß eine anonyme Quelle die beiden Wissenschaftler und auch den ehemaligen OVCW-Generaldirektor José Bustani verleumdete.

Wiederholt wurde am Sitz des UNO-Sicherheitsrates in New York über den umstrittenen Douma-Abschlußbericht gesprochen, dabei tat sich eine tiefe Kluft zwischen den USA- und EU-Staaten auf der einen und Rußland und China auf der anderen Seite auf.

Die USA, Frankreich, Britannien und Deutschland gingen sogar soweit, die Teilnahme des ersten OPCW-Generaldirektors José Bustani an einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates, die sich mit dem Thema befaßte, zu verhindern.

Bustani ist einer von (bisher) 27 international bekannten Persönlichkeiten, die die OPCW zu Verantwortung und Transparenz auffordern. Fünf ehemalige OPCW-Inspektoren, ein ehemaliger UNSCOM-Inspektor (Irak) stellen sich hinter ihre Kollegen, die dem offiziellen Douma-Abschlußbericht der OPCW widersprochen haben. Auch die ehemalige USA-Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard, Professor Noam Chomsky, Professor Dr. Ulrich Gottstein (IPPNW), die Filmemacher John Pilger und Oliver Stone, der Musiker Roger Waters und die ehemaligen beigeordneten UNO-Generalsekretäre Dennis Halliday und Hans von Sponeck haben die »Erklärung der Besorgnis« unterschrieben.

In Deutschland werden die Unterzeichner von der »Berlin Gruppe 21« vertreten. Sie werden von dem ehemaligen OPCW-Generaldirektor José Bustani, von dem ehemaligen beigeordneten UNO-Generalsekretär Hans von Sponeck und von Richard Falk, Professor für internationales Recht repräsentiert.

Für ihr Engagement nennen sie vier Gründe: Protest gegen die »Bearbeitung von wissenschaftlichen Beweisen im Douma-Fall«; Sorge über absichtliche Tatsachenmanipulation, »um politisches und militärisches Handeln zu rechtfertigen«. Dabei erinnern die Unterzeichner an die »erfundene Geschichte von den Massenvernichtungswaffen im Irak, die einen Krieg rechtfertigte«. Man wolle »die Zivilgesellschaft in Syrien schützen und auch andernorts« und beharre »auf Transparenz und letztendlich auf der Verantwortung« der OPCW.

Die Erklärung wurde an den amtierenden OPCW-Generaldirektor Fernando Arrias sowie an die Delegationen aller 193 OPCW-Mitgliedstaaten verschickt. Darüber hinaus erhielten der UNO-Generalsekretär, die UNO-Generalversammlung, der UNO-Sicherheitsrat und andere UNO-Organisationen die Erklärung.