Macron provoziert den Aufstand
Frankreichs Lohnabhängige kämpfen um ihre Rechte
Dem französischen Präsidenten ist endlich einmal etwas gelungen: die Arbeiterklasse gegen seine Sozialpolitik zu vereinigen. Vordergründig geht es um Geld – aber der Streik ist natürlich politisch. Der ehemalige Rothschild-Banker Emmanuel Macron an der Staatsspitze will das Rentensystem »reformieren« – was seit Beginn des Siegeszugs des Neoliberalismus in den 80er Jahren eben nichts anderes heißt als Umverteilung von den Vielen zu den Wenigen. Macron spricht von der Herstellung von Gleichheit, weil einige Berufsgruppen in der Vergangenheit höhere Ansprüche als andere erstritten hatten – in seiner Sprache handelt es sich um »Privilegien«. Was er meint: Alle sollen Renten auf niedrigerem Niveau bekommen als mit den bisherigen Regelungen.
»Wir lassen nicht zu, daß höhere Renten nach unten angepaßt werden statt umgekehrt«, erklärt der Vorsitzende der CGT, Philippe Martinez, und rechnet vor, daß die Lehrerpensionen nach Macrons Plänen 300 bis 700 Euro sinken würden.
»Schützt unsere Renten« und »Soziale Unsicherheit tötet« steht auf Plakaten und Transparenten, die in 250 französischen Städten von den Demonstranten gezeigt werden. 1,5 Millionen Demonstranten zählte die Gewerkschaft CGT schon am Freitag vergangener Woche, 250.000 allein in den Straßen von Paris. »Warum sollten wir länger arbeiten, wenn in der Altersstufe wenige Jahre vor dem Renteneintritt nur noch einer von zweien in Beschäftigung ist?«, fragte ein Redner auf einer Pariser Kundgebung. Auch zahlreiche »Gelbwesten« hatten sich dem Massenprotest angeschlossen.
Und der Proteststurm ebbt nicht ab. Im ganzen Land wurden auch zahlreiche Autobahnen blockiert. Nach Angaben der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF sind weniger als ein Viertel der Lokführer zur Arbeit erschienen. Wer allerdings fleißig arbeitet, das sind die Prügelbullen von der Polizei-Spezialeinheit CRS. 6.000 Angehörige der uniformierten Schlägertruppe wüten allein in Paris.
Premierminister Édouard Philippe hat am Mittwoch gewisse »Zugeständnisse angekündigt. Das kann die »negative Stimmung in Frankreich« (Macron) kaum ändern. Umfragen belegen, daß die Streiks von 69 Prozent der Bevölkerung unterstützt werden. Die stärkste Zustimmung finden sie in der Altersgruppe zwischen 18 und 34.
Die Bilder vom Generalstreik sind für Frankreichs herrschende Klasse ein erschreckendes Dejá-vu-Erlebnis. Ebenfalls in einem Dezember, nämlich im Jahre 1995, legte ein Generalstreik das Land drei Wochen lang lahm. Damals hatte der konservative Premierminister Alain Juppé die öffentlichen Bediensteten provoziert, indem er ihre Renten an die der Beschäftigten im privaten Sektor angleichen wollte. Die Niederlage, die er sich einhandelte, überschattete seine weitere Amtszeit, bis er 1997 das Amt an Lionel Jospin abgeben mußte.
Manfred Idler
Marseille am 5. Dezember (Foto: Clement MAHOUDEAU/AFP)