Ausland24. Februar 2020

Die EU, die Banken und die Freiheit des Kapitalverkehrs

Als im Sommer 2016 die Abstimmung der Briten zum EU-Austritt gerade erst gelaufen war, gab es bei einigen Bankern noch etwas Aufregung. USA-Banker wie JP-Morgan-Chef James »Jamie« Dimon erwarteten Schwierigkeiten für ihre von London aus betriebenen Geschäfte in der EU. Sie forderten, daß die »Brexit«-Abstimmung wiederholt oder mittels eines politischen Deals ausgehebelt werden sollte. Britische Banker selber waren leiser. Nur wenige äußerten öffentlich Bedenken, daß sie ihre führende Position im Finanzmarkt der EU verlieren könnten, weil die pauschale Niederlassungs- und Verkehrsfreiheit für sie nach dem »Brexit« nicht mehr gelten würde.

Umgekehrt kalkulierten hessische Lokalpolitiker und der französische Präsident Emmanuel Macron mit gewaltigen Vorteilen für »ihre« Finanzplätze Frankfurt und Paris, weil massenhaft Banken aus London auf den Kontinent ziehen würden, um weiter innerhalb der EU ihre Finanzgeschäfte machen zu können.

Als die glücklose Premierministerin Theresa May einen »Brexit«-Deal mit der EU aushandelte, kam die britische Seite der EU weit entgegen, nahm aber den Finanzsektor ganz aus den gemeinsam angestrebten Regelungen aus. Das geschah mit Billigung, um nicht zu sagen: gemäß den Wünschen der »Londoner City«, worunter die mächtigen Finanzinstitutionen Britanniens zu verstehen sind. Es machte dem britischen Finanzkapital offensichtlich rein gar nichts aus, vom EU-Finanzmarkt ausgeschlossen zu werden. Über den Umzug einiger kleiner Bankabteilungen und Fondsverwaltungen von London nach Paris, Frankfurt, Dublin oder Amsterdam machte man sich augenscheinlich wenig Sorgen und auch nicht, daß Macron den Umzug der EU-Bankenaufsicht EBA von London in die französische Hauptstadt erreichte. Sorgen macht man sich dagegen auf dem Kontinent, vom in London organisierten großen Finanzmarkt abgehängt zu werden.

Dazu Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, am 25. Januar gegenüber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: »EU-Binnenfinanzierungen sollten auch an Kapitalmärkten innerhalb des Kontinents abgewickelt werden. Heute wird aber zum Beispiel ein Drittel der EU-Kapitalmarktaktivitäten in London abgewickelt. Der Handel mit Zinsswaps läuft zu 85 Prozent in London, der Devisenhandel weltweit wird zu 37 Prozent in London abgewickelt und nur zu elf Prozent in der EU. Selbst die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank werden zur Hälfte in London getätigt. Das zeigt, wie bedeutend der Finanzplatz für uns auch nach dem 31. Januar 2020 sein wird. Die EU sollte ihre eigene Finanzindustrie als Schlüsselindustrie begreifen. Vor dem Brexit erfüllte London diese Schlüsselfunktion, das ändert sich nun.«

Tatsächlich hätte Brüssel die Macht, große Finanzgeschäfte im eigenen Hoheitsgebiet stattfinden zu lassen, ebenso wie die EU Zölle auf die Einfuhr von Waren aus Britannien erheben kann. Aber das hieße, die Freiheit des Kapitalverkehrs anzutasten und ihn eigener Regulierung zu unterwerfen. Das aber hieße auch, gegen die Interessen des heimischen Industriekapitals zu verstoßen.

Dergleichen wird nicht einmal gedacht. Wäre ja noch schöner, wenn man Gewinne nicht jederzeit zu günstigen Bedingungen in alle Welt transferieren könnte! Es war also offensichtlich ein Scherz, als die Eurokraten am Dienstag vergangener Woche die britische Kolonie Cayman Islands auf ihre »schwarze Liste der Steueroasen« setzten, um London mit dem gefürchteten Stirnrunzeln der Brüsseler Kommissare zu erschrecken.

Lucas Zeise

Die Londoner City, der Finanzdistrikt der britischen Hauptstadt (6. Februar 2020)
(Foto: EPA-EFE/NEIL HALL)