Ausland18. August 2021

»Was wir alle irgendwann nötig haben, sollte auch uns allen gehören«

Interview mit dem Arzt Simon Becker, der für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) als Direktkandidat im Kreis Trier-Saarburg zur Bundestagswahl antritt

Was bringt einen jungen Arzt dazu, sich der Kommunistischen Partei anzuschließen – und auch noch für diese als Direktkandidat zur Bundestagswahl anzutreten?

Zunächst bin ich ja nicht schon immer Arzt gewesen, sondern als Jugendlicher bereits über antifaschistische Arbeit zur Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) gekommen und dort für die marxistischen Ideen begeistert worden. Ich komme aus einer Familie, in der beide Eltern und viele nähere Verwandte in der Krankenpflege tätig sind. Dadurch geprägt habe ich nach meinem Zivildienst im Rettungsdienst eine Ausbildung zum Krankenpfleger begonnen und diese dann zugunsten eines Medizinstudienplatzes abgebrochen. Aufgrund dieser Vorgeschichte waren mir schon immer die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen aufgrund der ständig wachsenden ökonomischen Zwänge im Gesundheitswesen bewußt.

Der wachsende Personalmangel, leidende Qualität durch Unterfinanzierung von öffentlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, das vom Patronat ausgenutzte »schlechte Gewissen« in der Patientenversorgung, oft kurzfristiges Einspringen in Nacht- und Wochenenddienste auf Grund von Krankheitsfällen, der furchtbare Umgang mit lobbyarmen Berufsgruppen (z.B. Outsourcing von Reinigungs- oder Küchenpersonal) oder die Einteilung in »klassische« Frauen- und Männerdomänen innerhalb des Krankenhausbetriebes waren oft Themen am Eßtisch in meinem Elternhaus und machten mich einfach wütend.

Dagegen wollte ich schon immer etwas tun, denn so muß es nicht sein: Gesundheit ist keine Ware und gehört in öffentliche Hand – denn was wir alle irgendwann nötig haben, sollte auch uns allen gehören. Mißstände wie die Schließung von Gesundheitsfürsorge im ländlichen Raum, Personalmangel oder die DRG-Fallpauschalen könnten längst Probleme sein, über die wir in der Vergangenheitsform sprechen. Eine Kandidatur zur Bundestagswahl, um den Versuch zu wagen, das Problem Kapitalismus anzupacken und ein Zeichen zu setzen, war somit ein logischer Schritt für mich.

Solidarität gegen »kaltes Parteiverbot«

Wie habt ihr den letztlich vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesenen Versuch, die DKP »kalt zu verbieten«, in Trier erlebt? Wie hat sich das Trierer Wahlamt bis zur Gerichtsentscheidung verhalten?

Der unerwartete Beschluß des Bundeswahlleiters, der DKP ihren Status als Partei abzuerkennen und sie somit nicht zur Bundestagswahl zuzulassen, war für uns zunächst ein harter, verunsichernder Schlag und hat für viele interne, aber auch externe Diskussionen mit Freundinnen, Freunden und Familie über eine eventuell politische Motivation hinter dieser Entscheidung geführt. Nach Aufarbeitung der Fakten und getragen durch die Welle der Solidarität, war uns eigentlich schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klar, daß es dem vollkommen widersprüchlichen und falsch begründeten Beschluß des Bundeswahlleiters widersprechen muß.

Auf Ebene des Kreiswahlamtes war interessant zu beobachten, wie ab dem Moment des Versuchs eines »kalten Parteiverbots« durch den Bundeswahlleiter, sich der bis dahin eigentlich sehr freundschaftliche Tonfall abrupt änderte. Es beschlich uns das Gefühl, daß plötzlich ein gewisser Druck auf den zuständigen Sachbearbeiter ausgeübt wurde, sich dem »Verbot« anzuschließen, Formalitäten erneut zu hinterfragen, immer weitere Nachweise zu verlangen und sogar einen Wahlantritt unabhängig von der DKP zu empfehlen – trotz bereits als fehlerfrei bestätigten Überprüfungen des Antrags auf Zulassung zur Direktkandidatur.

Wie schätzt ihr das Abstimmungsverhalten der Vertreterin der Partei Die Linke (PdL) im Bundeswahlausschuß ein? Fürchtet die Partei linke Konkurrenz auf dem Wahlzettel?

Daß die Vertreterin der PdL im Bundeswahlausschuß sich mit ihrer Stimme der Aberkennung des Parteienstatus der DKP angeschlossen hat, sorgte für Empörung, verwunderte uns jedoch in Anbetracht der zunehmenden Sozialdemokratisierung und Verbürgerlichung dieser Partei, insbesondere auf Bundesebene, nicht wirklich.

Sollte das Abstimmungsverhalten dem Zweck, sich eine mögliche kleine Chance auf eine Beteiligung an der nächsten Bundesregierung offenzuhalten gedient haben, dann ist es einem Verrat an allen progressiven, linken Kräften gleichzusetzen. Die anschließende Entschuldigung von Teilen des PdL-Vorstands und öffentliche Solidaritätsbekundungen vieler PdL-Mitglieder zeigten uns jedoch, daß es sich beim Abstimmungsverhalten wahrscheinlich um ein Fehlverhalten oder einen Alleingang gehandelt hat.

Bezeichnend ist allerdings, daß es keine Entschuldigung oder ähnliches des gesamten Parteivorstands der PdL gab – es herrscht offensichtlich Uneinigkeit in der Partei darüber, ob es legitim ist, die Kommunistische Partei zu verbieten.

»Die Menschen beginnen, ihre Situation zu begreifen«

Bleibt dir angesichts wieder steigender Infektionszahlen in der Coronapandemie eigentlich noch Zeit für den Wahlkampf? Wie ist die derzeitige Lage im Saarburger Kreiskrankenhaus? Wie war die Lage auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise?

Ich muß schon zugeben, daß die ganze Arbeit, die diese Kandidatur mit sich bringt schon sehr meine Freizeit neben der Arbeit und den Bereitschaftsdiensten im Krankenhaus und Rettungsdienst ausfüllt. Ist ja nicht so, als wären die personellen Knappheiten, Nachtdienste und Wochenendschichten vorher nicht schon ausreichend belastend gewesen. Da schaut man schon manchmal genervt auf den durchgetakteten Wahlkampf der Konkurrenz, die mit Angestellten in einem Wahlkampfbüro natürlich auch ganz andere Möglichkeiten haben. Die Gespräche an Infoständen, in der Pause auf der Arbeit oder in den sogenannten sozialen Medien, in denen man merkt, daß Menschen beginnen, ihre Situation zu begreifen, ein Klassenbewußtsein zu entwickeln und bestehende Verhältnisse anzweifeln, sind es jedoch immer wieder wert.

Die aktuelle Lage ist in Bezug auf Corona aktuell entspannt zu werten, wir bemerken, daß ein großer Teil der älteren und gefährdeten Menschen in unserer Region geimpft, genesen oder auch leider an SARS-CoV-2 verstorben ist. Das reduziert die vielen und langen Krankenhausaufenthalte schon, da es vergleichsweise weniger junge Mensche häufig so hart trifft. Mir graut es jedoch, wenn ich an den Herbst denke und eine eventuelle neue Welle bevorsteht.

Der Höhepunkt, an dem wir naßgeschwitzt von Isolationszimmer zu Isolationszimmer eilten, an dem es ernsthafte Diskussionen über Rationierung der Schutzausrüstung gab, an dem man übermäßig viele Menschen an Atemnot versterben sah, diesen Höhepunkt will ich wirklich nicht wieder erleben. Dramatische Situationen und Unerwartetes begegnen einem immer wieder im Notfall- und Krankenhausalltag, aber die Geballtheit war schon kraß während der ersten und zweiten Welle. Das wäre mit einem anderen »Krisenmanagement« besser gegangen.

Präsent – nicht nur im Wahlkampf

Welche Themen wollen die Trierer Kommunistinnen und Kommunisten im Bundestagswahlkampf in den Vordergrund rücken?

Wir haben uns schon vor der Coronapandemie die Krankenhäuser der Region und im speziellen das Kreiskrankenhaus in Saarburg zum Schwerpunktbetrieb gemacht, um – z.B. durch unsere Kleinzeitung »Rote Spritze« – stellvertretend für den gesamten Gesundheitssektor auf Mißstände aufmerksam zu machen. Die kapitalistische Krise, die durch COVID-19 ausgelöst wurde, hat uns darin bestärkt, an dieser Schwerpunktsetzung festzuhalten. So zeigen und diskutieren wir am 15. September den Film »Der marktgerechte Patient« im Komplex Infoladen in Trier.

Aber wir wollen auch klar zeigen, daß die DKP in der Frage um Krieg und Frieden eine Position vertritt, die von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Wenn es um den Abzug aller Truppen aus dem Ausland geht oder darum, internationale Konflikte friedlich zu lösen, statt diese Länder mit Krieg zu überziehen.

Außerdem wollen wir uns weiterhin für benachteiligte Menschen wie Hartz-IV-Empfänger, Minijobber, Asylsuchende und aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder ähnlichem Ausgegrenzte einsetzen und dies auch deutlich machen. Was uns als DKP auszeichnet ist, daß wir nicht nur in den sogenannten sozialen Medien, auf unserer Homepage, an Infoständen und in Gesprächen in Betrieben, Schule und Uni präsent sind, wenn Wahlen anstehen, sondern jeden Tag, jedes Jahr. Das unterscheidet uns grundsätzlich von den anderen Parteien.

Interview: Oliver Wagner