Ausland31. Januar 2009

Neue Karten im zentralasiatischen »Großen Spiel«

Fast 80 Prozent des für die US-Besatzer in Afghanistan bestimmten Nachschubs gehen durch Pakistan. Laut einer Einschätzung des russischen Nachrichtendienstes kommt die Hälfte nie dort an, sondern landet in den Händen der Taliban oder auf den Basaren Pakistans.
Die von zivilen Transportunternehmen betriebenen US-Nachschub-Konvois werden oft am hellichten Tag geplündert, sowohl von Taliban als auch von pakistanischen Diebesbanden. Auf dem Basar der Grenzstadt Peschawar florieren die Geschäfte mit gestohlenen US-Militärwaren, wie in den 1980er Jahren während des von den USA finanzierten Dschihad gegen die Sowjetarmee. Und ein neuer Boom steht bevor, denn Präsident Obama will die US-Truppen in Afghanistan auf 60.000 Mann verdoppeln, was zur Freude der Händler auch die Verdoppelung des Nachschubs bedeutet.

General David Petraeus, Chef des US-Central Command, in dessen Zuständigkeitsbereich auch Afghanistan und Pakistan fällt, versuchte am Dienstag vergangener Woche, dem Tag der Amtseinführung Obamas, bei seinem Besuch in Pakistan, die Regierung und die widerstrebende Militärführung unter Druck zu setzen und zu einem schärferen Vorgehen gegen die Paschtunenstämme in den halbautonomen Gebieten entlang der Grenze zu Afghanistan zu bewegen.

Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, betonte er, dass die USA nun eine alternative Nachschubroute über den Norden hätten. Washington habe »mit Russland und mit mehreren Ländern in Zentralasien Transit-Abkommen abgeschlossen«, sagte der US-General, wahrscheinlich um die pakistanischen »Partner« zu beeindrucken, aber ohne die Fakten zu kennen.

Umgehend dementierte der stellvertretende russische Außenminister Alexej Maslow gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass und sagte, zu diesem Thema habe die NATO »keine offiziellen Dokumente vorgelegt«. Einen Tag später präzisierte Rußlands Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin, in Brüssel: »Wir wissen nichts von einem angeblichen militärischen Transit-Abkommen zwischen Rußland und den USA oder der NATO«. Vorschläge dieser Art habe es zwar gegeben, »aber sie wurden nicht formalisiert«.

Mit einem Hauch von Ironie wünschte Rogosin zugleich der NATO in Afghanistan Erfolg. Dies sei auch im Sinne Moskaus, »denn im Falle einer Niederlage des Bündnisses« würden »die Fundamentalisten durch ihren Sieg inspiriert« und sie würden sich als nächstes gegen Norden wenden. »Zuerst werden sie Tadschikistan angreifen, dann werden sie versuchen, in Usbekistan Fuß zu fassen. … Wenn die Dinge schlecht laufen, werden in zehn Jahren unsere Jungs gut bewaffnete und gut organisierte Islamisten irgendwo in Kasachstan bekämpfen müssen«, sagte Rogosin.

Hinter dem Versprecher von Generals Petraeus verbirgt sich jedoch eine den Kreml beunruhigende Entwick-lung, nämlich die jüngsten Versuche der USA, unter Ausschluß von Russland eine Transit-Route nach Nord-Afghanistan zusammenzustellen. Mit Georgien, Aserbaidschan, und Kasachstan hat Washington solche Abkommen bereits abgeschlossen. Als letztes Glied der Kette fehlt der Korridor durch usbekisches Territorium nach Amu Darja und von dort nach Nord-Afghanistan.

Zugleich befürchtet Moskau, dass diese Route auch für den Export von zentralasiatischem Öl und Gas über Pipelines gen Westen unter Umgehung Russlands benutzt werden könnte. Um einen derartigen strategischen Rück-schlag zu vermeiden, hat der russische Präsident Dimitri Medwedjew anläßlich seines Besuchs in Taschkent letzte Woche die russischen Beziehungen zu Usbekistan auf das Niveau einer »strategischen Partnerschaft und Allianz« gehoben.

Rainer Rupp