Aus der Chamber:
Hearing statt Interpellation zum Migrationspakt
Ein inhaltlicher Tagesordnungspunkt hätte der öffentlichen Sitzung der Chamber am Nachmittag gut getan, doch das wollten die Regierungsparteien nicht. So wurde aus der beantragten Interpellation der adr ein Hearing zum UNO-Migrationspakt, der am 11. Dezember in Marrakesch (was »Land Gottes« bedeutet) im autoritären Königreich Marokko feierlich mit Akklamation angenommen wird. Dabei werden neun EU-Staaten fehlen, obwohl dem Papier keinerlei Rechtsverbindlichkeit zukommt. Bis auf das aktuelle Vorsitzland Österreich sind das neben Dänemark und Italien alles Länder des Billiglohngürtels in Osteuropa.
Der Nachmittag erschöpfte sich somit in Bürokratie: Angelobung von 17 weiteren Abgeordneten, Wahl von Fernand Etgen (DP) als Chamber-Präsident und dem Bestimmen der Delegierten in internationalen parlamentarischen Versammlungen (sozusagen das Reisebüro der Chamber) und der Kommissionen, die nun 15 statt zuletzt 14 Mitglieder zählen.
So durfte Gaston Gibéryen als Alterspräsident um kurz nach 9 Uhr dem Außenminister Jean Asselborn für 20 Minuten das Wort erteilen. Der bat gleich, ihm zu verzeihen, wenn es etwas länger dauere.
Der Migrationspakt solle dazu dienen, alles transparenter zu machen. In der Abschlußsitzung nach den Verhandlungen zum Text, die ohne Polemik vonstatten gingen, haben alle 28 EU-Länder zugestimmt, die USA haben sich im letzten Augenblick zurückgezogen und dagegen gestimmt. 176 Ja-Stimmen wurden gezählt.
Der Mensch solle im Mittelpunkt stehen, trotz internationaler Zusammenarbeit soll die nationale Souveränität gewahrt bleiben. Bessere Integration und Regulierung der legalen Einwanderung, aber auch verbesserter Grenzschutz und Bekämpfung von Schlepperbanden werden angestrebt. Die Leute sollen regulär ausgestellte Papiere mit sich führen.
Die irreguläre Migration solle eingedämmt werden mit einer Verbesserung der regulären. Migration soll rationalisiert werden, erklärt Asselborn. »Ein Flüchtling ist immer ein Migrant, nicht jeder Migrant ein Flüchtling«.
Es ist der nationalen Praxis überlassen, wie die Ziele umgesetzt werden. Es ist kein Vertrag, und folglich wird kein Gesetzesprojekt in die Chamber kommen. Es wird zu keinen Änderungen in Luxemburg kommen. Die Internationale Organisation für Migration der UNO ist mit der Ausführung des Pakts beauftragt.
Ungarn ist als erstes mit dem Thema »Migration ist kein Menschenrecht« aus der EU-Einigkeit ausgeschert. Als zweites stieg Österreich aus, was eine Welle Nachahmer fand. Außerhalb Europas machen neben den USA Israel und Australien nicht mit. Die belgische Regierung fliegt womöglich auseinander, da der Premier Michel nach Marrakesch fliegt, die NVA das aber nicht will. Asselborn sieht darin eine »illiberale Polemik«, um das »multikulturelle Zusammenleben« anzugreifen.
Kritisiert wird der Pakt aber auch von der anderen Seite. Er gehe nicht weit genug, da alle weitermachen könnten wie bisher. Der Austausch von bester Praxis sei aber positiv zu werten. Mehr als diese »Geschirrkiste« sei eben zur Zeit nicht möglich auf UNO-Ebene. Luxemburg wird dem jedenfalls in Marrakesch zustimmen in der Tradition der internationalen Zusammenarbeit.
Gaston Gibéryen eröffnet die Diskussion mit der wohltuenden Meldung, bei der Redezeit nicht kleinlich zu sein. Damit hat er Fernand Etgen die Latte hochgelegt und den Vorgängern Mars Di Bartolomeo und Laurent Mosar eine Lektion erteilt.
Claude Wiseler (CSV) bedauert, daß ein Hearing dem Parlament die Möglichkeit nimmt, Motionen zur Abstimmung zu bringen. Es sei auch nicht richtig gewesen, während der Vorbereitungszeit nie am Krautmarkt darüber zu reden. Der Begriff Pakt sei irreführend, denn es ist nur eine Übereinkunft mit Konsens-Charakter im klassischen UNO-Stil, was der englische Titel auch aussagt.
Hatte Wiseler trotz der Erklärung, die CSV stehe zum Migrationspakt, noch schwammige Formulierungen bedauert, so steht Marc Angel für die LSAP ohne Wenn und Aber hinterm Papier, dem Außenminister und der Regierung.
Andrè Bauler (DP) steht dem in nichts nach. Moralisch wird er, als er fragt, was denn die EU und Luxemburg machen könnten bei der Handelspolitik, damit weniger Leute ihre Heimat verlassen, aber er läßt die Frage unbeantwortet.
Josée Lorschée (Gréng) erklärt den Text zum »kleinsten gemeinsamen Nenner« gegen den Widerstand, der von rechts komme. Dem solle Vernunft, Menschlichkeit und Solidarität entgegengestellt werden. Im Abgang fragt sie den Außenminister, ob nicht daran gearbeitet werden müßte, den Pakt verbindlich zu machen.
Für Fernand Kartheiser (adr) ist eine Detaildiskussion nötig. Es dürfe keine Konfusion zwischen Flüchtlingen und Migranten geben. Der Pakt sei eine lahme Ente; es werde schwierig, ihn wirksam werden zu lassen. Es ist traurig, daß es die adr braucht, um auf negative Seiten der Migration wie den »brain drain« aufmerksam zu machen. Der Mann hat das Buch von Hannes Hofbauer »Kritik der Migration – Wer profitiert und wer verliert« aus dem Wiener Promedia-Verlag gelesen, aber die antikapitalistische Stoßrichtung davon nicht verstanden. Wegen der vielen Unklarheiten will die adr den Migrationspakt nicht.
David Wagner (Lénk) polemisiert eifrig herum. Rechtspopulisten seien Rechtsextreme und Rechtsfaschisten. Es sind 70.000 Wirtschaftsflüchtlinge im 19. Jahrhundert aus Luxemburg nach Nord- und Südamerika gegangen, um dem Hunger zu entgehen. Er erinnert an die Kolonien, die ausgeblutet wurden und werden. Er spricht von der Tragik des Krieges im Kongo, aber das Wort »Kapitalismus« kommt ihm nicht über die Lippen.
Marc Goergen (Piraten) bedauert zu wenig Redezeit und erklärt, der Pakt sei ein Anfang, um sich auf weitere Migrationswellen vorzubereiten. Das dürfe nicht zu Angst führen.
Alle vier Jahre wird eine Konferenz zur Umsetzung des Pakts stattfinden, teilt Jean Asselborn im Anschluß mit. Dort gehe es dann um die Weiterentwicklung. Wer einen verbindlichen Pakt gewollt hätte, hätte gar nichts bekommen, erklärt er den Gréng. Mit einer Ablehnung von Orban und Salvini werde der Pakt nicht zur lahmen Ente. Er freut sich über die Zustimmung von 6 der 7 Redner, wobei der siebte nicht alles falsch gesagt habe. »Unser Wohlstand war nicht möglich ohne Migration«, schließt Asselborn.
jmj