Wenn Bequemlichkeit zur Ausbeutung wird, sollte sich der Mensch hinterfragen
Scheinselbständigkeit: ein Gesellschaftsmodell?
Mit der EU-Richtlinie 2024/2831 des EU-Parlaments und des EU-Rates vom 23. Oktober 2024 zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit« möchte man in Brüssel der Scheinselbstständigkeit ein Riegel vorschieben. Bis diese Richtlinie allerdings in nationales Recht umgemünzt wird, sind der Ausbeutung kaum Grenzen gesetzt.
Scheinselbstständigkeit ist mittlerweile in fast allen Berufszweigen zu Hause, doch es gibt Sparten, die sich besonders hervortun. Im Kontext der hierzulande expandierenden Lieferdienste wird ersichtlich, dass der vermeintlich selbstständige Arbeiter zwar »Dienstleister« im Rahmen des Gesetzes ist, es aber von dieser Arbeit schlicht unmöglich ist, davon so etwas wie den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Immerhin muss der »Selbstständige« von seinen Einnahmen Sozialabgaben, wie Krankenkasse und Rentenbeitrag finanzieren. Urlaub oder Krankentage müssen hier auch erwirtschaftet werden.
Nun muss man sich bewusst werden, dass eine Tätigkeit als Dienstleister im Bereich der Essenszulieferung, eine sehr hohe Bereitschaft voraussetzt. Es wird vorwiegend auf Abruf »gearbeitet«, man muss sich – bis auf wenige Ausnahmen – um ein Transportmittel kümmern und oftmals sind die Dienstleister gezwungen, die »Uniformen« und Transportbehälter käuflich zu erwerben.
Ausbeutung von Menschen in meist prekärer Lage
Nun ist den meisten bekannt, dass hier vorwiegend Menschen in prekärer Lebenslage ausgebeutet werden, das das wird bedauerlicherweise vom Konsumenten sträflich außer Acht gelassen. Ist es uns als Gesellschaft quasi egal, dass die freundliche Person mit dem Essenbeutel keine Arbeits-, ja teils nicht mal eine Aufenthaltserlaubnis hat?. Besonders in der Hauptstadt und in den Südgemeinden ist das gängige Praxis.
Zu bedauern ist auch, dass Plattformbetreiber ihren Selbständigen dazu raten, selbst »Lieferwillige« anzuwerben. Die Betreiber entledigen sich so ganz legal aller Verantwortung, da sie die Selbständigkeit ihrer Dienstleister nicht hinterfragen müssen. Interessant aber auch, dass die Horesca-Betriebe durch ihre aktive Zusammenarbeit mit den Online-Lieferdiensten diese Ausbeutung unterstützen, ja sogar fördern. Im Umgang mit der Schwarzarbeit scheint man hier wohl geübt…
Ist doch alles legal, oder?
Wirft man einen Blick auf die luxemburgischen Marktführer (Wolt, Wedely oder Uber Eats), die bisher kaum oder nur wenig Gewinn trotz Ausbeutung erzielen, stellt sich unweigerlich die Frage, ob wir als Gesellschaft noch recht bei Trost sind?
Wer lohnabhängig ist, weiß wie kompliziert es hierzulande ist, mit einem halbwegs vernünftigen Einkommen über die Runden zu kommen. Man sollte folglich wissen, dass jede getätigte Bestellung auch die soziale Verantwortung jedes einzelnen in Frage stellt.
Seitens der Plattformbetreiber wird das Geschäftsmodell natürlich über den Klee gelobt, was nicht zuletzt am eigenen Profit ohne Arbeitsleistung gelegen sein dürfte. Immerhin streichen diese Unternehmen ein Drittel der meist recht geringen Zustellkosten ein.
Vollmundig erklärt der Geschäftsführer der Plattform »Wolt« in der Presse, wieso sein Laden so erfolgreich ist. So sei die gebotene Flexibilität für die »Geschäftspartner«, gemeint sind die Zusteller, sehr attraktiv. Siebzig Prozent der Partner würden es sehr zu schätzen wissen, selbst über ihre Arbeitszeit bestimmen zu können. Wie selbstbestimmt so ein 16-Stunden Tag gestaltet wird, bleibt allerdings fraglich.
»Die wahre Freiheit«
Dass ein Geschäftsführer und seine Gleichgesinnten auf anderen Plattformen nicht »selbstständig« sondern Festangestellte sind, hält sie nicht davon ab zu betonen, dass es die wahre Freiheit sei, sein eigener Chef zu sein. Nur dass der Dienstleister hier eben kein »Chef« sondern Sklave ist. Aufträge erhalten ohnehin nur die Besten und Unterwürfigen. Wer meckert oder seine Arbeitszeit nicht an die Wünsche der Plattformbetreiber ausrichtet, bekommt entweder keine oder nur die unangenehmen Aufträge.
Seitens der Gewerbeinspektion (ITM) geschieht wenig. Ja, die ITM kennt die Probleme, sollte wohl auch gegen diese illegalen Dienstleistungen vorgehen, muss sich aber den Weisungen aus dem Arbeitsministerium unterordnen.
In diesem Segment haben die Gewerkschaften kaum Einfluss. Es scheint leider auch die dem linken Spektrum zugeordneten Parteien kaum möglich, hier offensiv einzuschreiten. Diese verlassen sich offensichtlich auf die Umsetzung der Richtlinie, für die man zwei Jahre Zeit hat.
Erst dann sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, eine widerlegbare gesetzliche Beschäftigungsvermutung einzuführen. Das heißt im Klartext, dass die Plattformbetreiber dann den Beweis erbringen müssen, dass es zwischen Dienstleister und Plattform kein Arbeitsverhältnis gibt.
Zwei Jahre also, die den Juristen dieser nahezu weltweit agierenden Plattformen zugetan wird, für entsprechende Vertragsformen Sorge zu tragen, damit der Profit weiterhin all jenen vorenthalten werden kann, die diesen erschaffen.