Ausland08. November 2024

Regierungsampel in Deutschland zerbrochen

Kanzler Scholz feuert Finanzminister Lindner und will im Januar Vertrauensfrage stellen. FDP-Mann Wissing bleibt Verkehrsminister

von dpa/ZLV

Am Ende ging es schnell. Am späten Mittwochabend ist die Ampel-Koalition in Deutschland zerbrochen. Nach einem erbittert geführten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Budgetpolitik kündigte SPD-Kanzler Olaf Scholz an, Finanzminister Christian Lindner von der FDP aus seinem Kabinett zu entlassen. Die Wählerinnen und Wähler können sich nun im März auf vorgezogene Neuwahlen einstellen. Der Bruch der Koalition kommt kurz nach dem Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen in den USA.

Am Donnerstagmorgen hieß es dann, der SPD-Mann und enge Scholz-Vertraute Jörg Kukies, bisher Staatssekretär im Kanzleramt, werde Lindners Nachfolger. Der Bundestag solle am 15. Januar über eine Vertrauensfrage abstimmen, sagte Scholz am Mittwochabend vor der Presse in Berlin (Foto). Erwartet wird, daß er diese verliert. In diesem Fall kann der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, das Parlament aufzulösen. Scholz sagte, der Bundestag könne »den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen«. Diese könnten spätestens Ende März stattfinden.

Scholz machte Lindner schwere Vorwürfe. Dem FDP-Mann gehe es nur um die eigene Klientel und das kurzfristige Überleben seiner Partei. Die Unternehmen im Land bräuchten »Unterstützung«, sagte er mit Blick auf die hohen Energiepreise und die allgemein schwache Konjunktur. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine. »Wer sich in einer solchen Lage, einer Lösung, einem Kompromißangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden!«

Kanzler Scholz wollte im Hinblick auch auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA und dem nun erwarteten Rückfahren US-amerikanischer Waffenlieferungen an die Ukraine ein Aussetzen der »Schuldenbremse«. Das lehnte die FDP ab. Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. »Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.« Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. »So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.«

Der entlassene Finanzminister Lindner warf dagegen Scholz vor, den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt zu haben. SPD und Grüne hätten seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert. Schließlich habe Scholz ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. »Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.«

Später teilte die FDP mit, sie werde alle Minister aus der Regierung zurückziehen – neben Linder Justizminister Marco Buschmann, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Verkehrsminister Volker Wissing. Damit beendeten die Liberalen das Dreierbündnis endgültig.

Dann wurde am Donnerstagmorgen bekannt, daß Wissing im Amt bleibt und die FDP verläßt. Der Kanzler habe ihn am Mittwochabend gefragt, ob er bereit sei, sein Ministeramt »unter den neuen Bedingungen fortzuführen«, erklärte Wissing am Donnerstagmorgen in Berlin. »Ich habe darüber nachgedacht und dies gegenüber Herrn Bundeskanzler Scholz bejaht.« Mit dieser Entscheidung wolle er aber »keine Belastung für meine Partei sein«, fügte Wissing hinzu – daher habe er Parteipräsident Lindner »meinen Austritt aus der FDP mitgeteilt«. Er wolle in keine andere Partei eintreten und sich auch nicht von den »Grundwerten« der FDP distanzieren.

In mehreren Runden hatte Scholz in den vergangenen Tagen mit Lindner und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Auswegen aus der Regierungskrise gesucht. Lindner hatte in einem Papier vor dem Hintergrund der Konjunkturflaute eine zum Teil völlige Neuausrichtung der Ampel-Politik gefordert. Darin wird zum Beispiel als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Spitzenverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimaschutzpolitik. Dagegen gab es großen Widerstand bei SPD und Grünen. Weiter ging es darum, wie ein Milliardenloch im Staatsbudget für 2025 gestopft werden könne.

Lindner hatte schon vor einiger Zeit den »Herbst der Entscheidungen« für die Koalition ausgerufen, die seit Ende 2021 amtiert. Er meinte damit vor allem das Budget für das nächste Jahr, der Ende November im Parlament verabschiedet werden soll. Daneben ging es ihm um eine Strategie, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise geführt werden soll.

Vizekanzler Habeck bedauerte den Bruch der Ampel-Koalition. Er betonte am Mittwochabend vor dem Kanzleramt, »daß sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt«. Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch gelegen hätten, habe man die Lücke im Staatsbudget nicht schließen können. »Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen«, sagte Habeck. Die Entlassung von Lindner sei letztlich so folgerichtig wie unnötig gewesen.

Nun will Kanzler Scholz dem Präsidenten der konservativen Bundestagsfraktion, Friedrich Merz von der CDU, anbieten, »rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen«. »Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen«, sagte er. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, »die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung«, sagte der Sozialdemokrat.

»Die Wirtschaft« könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: »Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.« Auch mit dem Blick auf die Wahlen in den USA sei das »vielleicht dringender denn je«.