Ausland21. Mai 2022

Alternativen zu Macrons Politik gestern und morgen

Gegen sozialen Kahlschlag. Linkes Bündnis legt Programm für Parlamentswahl vor

von Ralf Klingsieck, Paris

Das Wahlbündnis aus Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France insoumise und der Partei der Grünen, der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei sowie weiterer kleinerer Bewegungen hat am Donnerstag in Paris sein Programm für die Parlamentswahl vorgestellt, die am 12. und 19. Juni abgehalten wird. Wie Mélenchon dabei betonte, hat die Nouvelle Union Populaire Ecologique et Sociale (NUPES) ein Programm ausgearbeitet, mit dem sie im Falle eines greifbar nahen Wahlsieges und der sich daraus ergebenden Berufung eines linken Premiers künftig in »Cohabitation« mit dem rechten Präsidenten regieren will.

Macron habe die Präsidentschaftswahl nur gewonnen, weil die Mehrheit der Wähler den Rechtsextremen den Weg an die Macht versperren wollten, hob Mélenchon hervor. Das Regierungsprogramm der Linken stelle eine klare Alternative zu Macrons Politik von »Reformen« dar, die in den zurückliegenden fünf Jahren einen sozialen Kahlschlag hinterlassen haben, die der Präsident aber in der bevorstehenden Amtszeit ohne größere Änderungen fortsetzen will. 

Das gemeinsame Regierungsprogramm des Wahlbündnisses NUPES sei keine Fusion der Programme der beteiligten Bewegungen und Parteien, weil das nicht möglich gewesen wäre. Es faßt aber zusammen, was sie eint, und das sei die übergroße Mehrheit ihrer Ziele. Der Rest wurde bei der Ausarbeitung ausgeklammert. »Worüber wir uns beim besten Willen nicht einigen könnten, macht vielleicht fünf Prozent der aktuellen Themen aus«, sagte Mélenchon.

Das Programm gliedert sich in acht Kapitel mit insgesamt 650 geplanten Maßnahmen. Im Kapitel »Sozialer Fortschritt, Beschäftigung und Rente« wird vor allem die Anhebung des Mindestlohns auf 1.500 Euro netto gefordert, die Rückkehr zur Rente ab 60, die Blockierung der Preise für Grundnahrungsmittel und die Einberufung einer Konferenz der Regierung mit den Sozialpartnern über einheitliche Beschäftigungs- und Arbeitszeitregeln und gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Die von Macron abgeschaffte »Reichensteuer« RSI soll wieder eingeführt und um Klimaschutz-Kriterien ergänzt werden.

Um mehr Steuergerechtigkeit herzustellen, soll die von Macron eingeführte Flat Tax für höchste Einkommen abgeschafft und 14 stufenweise Besteuerungsstufen statt der heute nur vier eingeführt werden. Erbschaften sollen stärker besteuert werden, bei mehr als zwölf Millionen Euro zu 100 Prozent. Diese besonderen Steuereinnahmen sollen für die Förderung der Ausbildung, des Berufseinstiegs und der materiellen Autonomie der jungen Franzosen verwendet werden.

Im Kapitel »Ökologie, Biodiversität und Klima« visiert das linke Bündnis – nach eigenen Worten »extrem ambitiös« – eine Senkung der Klimagasemissionen um 65 Prozent bis 2030 an. Das umstrittene Thema Kernenergie taucht im Programm nicht auf. Zu den erneuerbaren Energien wird nur sehr allgemein festgestellt, daß sich ihr Anteil an der Energieproduktion »stark erhöhen« soll. Um das zu präzisieren, sind weitere Verhandlungen zwischen den Bündnispartnern nötig, hieß es bei der Vorstellung des Programms. Das treffe auf 33 der insgesamt 650 Maßnahmen im Programm vor.

Zu diesen von Mélenchon »Nuancen« genannten Meinungsverschiedenheiten gehört beispielsweise auch die Forderung der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), daß die Betriebsräte ein Vetorecht gegen Massenentlassungen bekommen sollten, was von den Sozialisten und den Grünen abgelehnt wird. »Bei anhaltenden Differenzen in derartigen Fragen wird das Parlament das letzte Wort haben«, sagte Mélenchon.

Im Kapitel »Sechste Republik und Demokratie« wird eine Ablösung des Präsidialsystems zugunsten größerer Rechte des Parlaments und vor allem durch Volksentscheide und weitere Instrumentarien direkter Demokratie angestrebt. In diesem Zusammenhang kritisierte Mélenchon scharf Macrons »selbstherrlichen« Regierungsstil und seine »Sucht, alles selbst entscheiden zu wollen«. Das sei bis zur »Umfunktionierung« der Verteidigungsräte gegangen, die eigentlich für akute Situationen militärischer oder terroristischer Bedrohungen gedacht sind, und die Macron für die Bekämpfung des Covid-Virus »zweckentfremdet« hat. Zum Thema EU war »die Einigung sehr einfach, weil keiner der Bündnispartner den anderen seine Position aufdrängen wollte«, versicherte Mélenchon in Anspielung auf seine ursprüngliche Absicht, zu »staatsbürgerlichem Ungehorsam« aufzurufen, wenn Direktiven oder Maßnahmen der Europäischen Union dem eigenen Regierungsprogramm zuwiderlaufen. Dazu wird im Programm festgestellt daß EU-Regeln »umorientiert« werden können, indem sie »nicht befolgt oder ihre Umsetzung zeitweise ausgesetzt« werden kann. Für die Sozialisten stellte hierzu die PS-Nationalsekretärin Corinne Narassiguin klar: »Frankreich als eines der Gründungsländer der Europäischen Union darf keine Politik verfolgen, die auf einen Austritt, eine Aufgabe des Euro oder auf eine schrittweise Zersetzung der EU hinausliefe.«

Zur NATO sagte Mélenchon: »Jedermann weiß, daß ich für einen Austritt Frankreichs plädiere, aber das steht nicht im Programm, denn ich wollte das auf keinen Fall den Partnern aufzwingen und dadurch das Zustandekommen der Union gefährden. Das wäre ein Geschenk für unsere Gegner gewesen.«

Im Programm wird festgehalten, daß »die UNO das einzige legitime Organ für die Gewährleistung der kollektiven Sicherheit im Weltmaßstab« ist. 

Die Partner des Wahlbündnisses haben sich scharf gegen ein Rundschreiben des Innenministeriums an die Präfekte der Departements gewandt, bei der Zuordnung der Kandidaten der Parlamentswahl die Wählerstimmen von Macrons Bewegung En marche und der mit ihr verbündeten Zentrumsparteien unter ihrem Wahlbündnisnamen »Ensemble« zu addieren, dagegen die des linken Wahlbündnisses separat den einzelnen  Parteien oder Bewegungen zuzurechnen. Gegen diese Ungleichbehandlung, die ein »Manöver« mit dem Ziel einer »Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung« der Union der Linken darstelle, wird das Bündnis NUPES umgehend beim Staatsrat, dem obersten Verwaltungsgericht, klagen.