»Wächter des Wohlstands«
Ultimatum gegen Huthi-Milizen wegen deren Attacken auf Handelsschiffe. USA und Verbündete riskieren weiteren Kriegsschauplatz in der Region
Mehrere Staaten drohen ultimativ mit militärischen Maßnahmen gegen die Huthi-Milizen wegen deren Attacken auf Handelsschiffe im Roten Meer. Unter Führung der USA haben zwölf Staaten am Mittwoch angekündigt, sie würden »böswillige Akteure« für Angriffe auf »den freien Verkehr von Waren auf den zentralen Seewegen« in Nah- und Mittelost »zur Rechenschaft« ziehen, falls diese ihre Aktivitäten nicht »sofort« einstellten.
Britannien, das die Drohung unterstützt, bereitet Luftangriffe auf Stellungen der Ansar Allah, wie die Huthi-Milizen offiziell heißen, vor und zieht zudem Angriffe auf deren Boote in Betracht. Die deutsche Bundesregierung will Schiffe an der Seite der von den USA geführten Marinekoalition »Operation Prosperity Guardian« (»Wächter des Wohlstands«) ins Rote Meer entsenden, hat aber noch nicht geklärt, in welchem formalen Rahmen dies geschehen kann. Der Plan, das Mandat der EU-Operation »Atalanta« am Horn von Afrika auf das Rote Meer auszuweiten, ist vor kurzem gescheitert. Ansar Allah will die Angriffe auf Handelsschiffe fortsetzen, bis Israel den Krieg im Gazastreifen stoppt.
Milliardenschäden
Die Angriffe der Huthi-Milizen bzw. Ansar Allah bringen die westlichen Staaten und vor allem die USA in eine immer schwierigere Situation. Obwohl bislang nur relativ wenige Handelsschiffe auf dem Weg durch das Rote Meer wirklich von Huthi-Raketen getroffen bzw. von den Huthi geentert wurden, drohen mittel- bis langfristig erhebliche ökonomische Schäden. Bislang haben 18 Schifffahrtskonzerne angekündigt, das Rote Meer bis auf weiteres zu meiden und auf Fahrten zwischen Europa und Asien den langen Umweg um den afrikanischen Kontinent herum zu nehmen: gut 3.500 Seemeilen bzw. knapp 6.500 Kilometer. Die zusätzlichen Kosten werden pro Fahrt auf mehr als 1,8 Millionen Euro geschätzt.
Bereits bis Ende 2023 haben laut Experten über 300 Schiffe die längere Strecke zurückgelegt; damit beläuft sich der allein dadurch entstandene Schaden auf mehr als eine halbe Milliarde Euro. Hinzu kommen weitere Zusatzkosten durch rasant in die Höhe geschnellte Versicherungsgebühren für diejenigen Schiffe, die trotz aller Gefahren den Weg durch das Rote Meer auf sich nehmen. Laut indischen Medienberichten werden – zumindest bisher – russische Handelsschiffe von Ansar Allah nicht attackiert; demnach konzentrieren sich die Schäden vor allem auf den Westen.
Autoritätsverlust
Hinzu kommt vor allem für die USA ein empfindlicher Autoritätsverlust. Die Regierung in Washington ist seit Jahren bemüht, ihre militärischen Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten zu reduzieren, um sich voll und ganz auf den Machtkampf gegen China konzentrieren zu können. Sie hat daher keinerlei Interesse an einer Ausweitung des aktuellen Nahostkriegs, die nach Lage der Dinge erneut USA-Truppen in größerem Umfang in der Region bände. Zugleich gerieren sich die USA seit Jahrzehnten als »Garant der Freiheit der Schifffahrt«. Wollen sie diesen Anspruch aufrechterhalten, dann müssen sie eine ungehinderte Passage von Handelsschiffen durch das Rote Meer erzwingen.
Bisher sind alle Versuche, dies etwa durch politischen Druck auf Iran zu erreichen, mit dem Ansar Allah verbündet ist, vollständig gescheitert. Den Streitkräften der USA und Britanniens gelingt es zwar immer wieder, Huthi-Drohnen und -Raketen abzufangen; zudem versenkten am Sonntag US-amerikanische Militärshubschrauber drei Huthi-Boote samt Besatzung, als diese ein Frachtschiff attackierten.
Dennoch setzt Ansar Allah die Angriffe fort und stellt damit die Fähigkeit der USA, als »Garant freier Seewege« aufzutreten, offen in Frage. Washington bleibt die Wahl zwischen einer schmerzlichen Einbuße an Macht und dem Griff zu militärischer Gewalt.
Marinekoalition
Um ihre Militäroperationen im Roten Meer – von rein defensiven Schutzmaßnahmen für Handelsschiffe bis hin zu möglichen Angriffen auf Stellungen der Ansar Allah – auf breitere Füße zu stellen, ist die USA-Regierung schon seit Dezember um den Aufbau einer multinationalen Marinekoalition bemüht. Bislang wird sie vor allem von Britannien unterstützt.
Um den Druck auf die Huthi-Milizen in die Höhe zu schrauben, haben Londoner Regierungskreise am Montag Informationen durchgestochen, laut denen die britischen Streitkräfte bereits konkrete Luftangriffe auf die Ansar Allah vorbereiten. Am Dienstag hieß es zudem, alternativ oder auch ergänzend könnten britische Spezialkräfte Huthi-Boote bereits in ihren Häfen fahruntüchtig machen oder sogar komplett versenken.
Bereits am 18. Dezember hatte USA-Kriegsminister Lloyd Austin bekanntgegeben, Washington habe gerade die Marineoperation »Prosperity Guardian« (»Wächter des Wohlstands«) etabliert, die den Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer gewährleisten solle; vorerst seien an der Koalition zehn Staaten beteiligt: die USA, Bahrain, Frankreich, Britannien, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen, die Seychellen und Spanien. Spanien teilte kurz darauf mit, sich nicht an der Operation zu beteiligen. Kurz darauf war von 19 Staaten die Rede. Nicht alle wollten öffentlich genannt werden, hieß es; dies gelte besonders für arabische Staaten: Sie wollten sich nicht wahrnehmbar gegen Ansar Allah positionieren, solange diese bekräftige, für palästinensische Interessen zu kämpfen.
Die deutsche Bundesregierung hat grundsätzlich eine deutsche Beteiligung an der von den USA geführten Marinekoalition gegen Ansar Allah in Aussicht gestellt, steckt allerdings bislang in zweierlei Hinsicht fest. Vor allem müssen Bundeswehreinsätze laut Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines sogenannten Systems kollektiver Sicherheit stattfinden, praktisch also im UNO-, NATO- oder EU-Rahmen. Die ersten beiden sind nach Lage der Dinge nicht in Sicht. Der Plan, den bestehenden EU-Einsatz am Horn von Afrika (»Operation Atalanta«) auf das Rote Meer auszudehnen, scheitert bislang an Spanien. Bislang sind sämtliche Versuche von Außenministerin Annalena Baerbock und Kriegsminister Boris Pistorius, Madrid umzustimmen, gescheitert. Ein eigener EU-Einsatz im Roten Meer gilt als denkbar, ist aber offenbar noch nicht spruchreif.
»Letzte Warnung«
Auf Initiative der USA haben am Mittwoch zwölf Staaten den Huthi-Milizen ein Ultimatum gestellt. Sie fordern »das sofortige Ende« der Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer und »die sofortige Freigabe der unrechtmäßig festgehaltenen Schiffe« sowie die »Freilassung der Besatzungen«. »Sollten die Huthi weiterhin Menschenleben, die Weltwirtschaft und den freien Verkehr von Waren auf den zentralen Seewegen der Region bedrohen«, heißt es weiter in der gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Vereinigten Staaten, Australiens, Bahrains, Belgiens, Kanadas, Dänemarks, Deutschlands, Italiens, Japans, der Niederlande, Neuseelands und des Vereinigten Königreichs, »werden sie die Verantwortung für die Folgen tragen.«
Man sei definitiv »entschlossen, böswillige Akteure für widerrechtliche Inbesitznahmen und Angriffe zur Rechenschaft zu ziehen«. Ein Regierungsmitarbeiter der USA wird mit der Äußerung zitiert, er rechne nicht »mit einer weiteren Warnung«. Das »Wall Street Journal« schrieb von einem Ultimatum: Stoppt die Angriffe, oder ihr tragt die Konsequenzen.
Geben die Huthi-Milizen nicht nach, dann stehen Angriffe zumindest der USA, zudem wohl auch Vritanniens und womöglich weiterer Staaten auf Stellungen der Ansar Allah bevor. Damit eskalierten die Kämpfe an einem weiteren Kriegsschauplatz im jüngsten Nahostkrieg, der das Zeug hat, sich zum umfassenden Flächenbrand im gesamten Nahen und Mittleren Osten auszuweiten.