100 Tage Biden
Weiterführung der imperialen Hegemoniepolitik
Reformansätze im Inneren, jedoch Konfrontation nach Außen
»Überraschend«, »erfrischend«, »eine angenehme Überraschung« – so beurteilen progressive und linke Gruppierungen und Prominente in den USA in weiten Teilen die ersten 100 Tage der Biden-Regierung. Weder das Ausmaß wie die Geschwindigkeit, mit denen die neue Regierung nach Trump ihre innenpolitischen Reformvorschläge vorträgt, waren zu erwarten gewesen. So manche Linke attestieren Biden und seinem Regierungsteam sogar allzu enthusiastisch, Washington habe sich von der neoliberalen Doktrin der Vorgängerregierungen abgewendet.
Ganz anders sieht es bei der Bewertung der Außen- und Militärpolitik der Biden-Administration aus. Die linksfeministische Aktionsgruppe »Code Pink« erklärte beispielsweise in ihrem jüngsten Mitgliederrundbrief, von der Pandemiebekämpfung über Infrastrukturpläne bis hin zur Klimapolitik seien die Bidenschen Initiativen »vielversprechend«. Aber jenseits davon, in der Außenpolitik, sei der Regierung die Note »mangelhaft« auszustellen. Denn wenig habe sich geändert.
Zwar gebe es mit der Abkehr von einigen der schlimmsten Maßnahmen der Trump-Regierung ein paar Lichtblicke, etwa die Ankündigung, die USA-Truppen aus Afghanistan abzuziehen, die Verlängerung des START-Abkommens mit Rußland, den Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen, die Rücknahme der Sanktionen gegen den Internationalen Gerichtshof und die Wiederaufnahme von Hilfeleistungen an Palästinenser. Aber sie würden sich eben auf nur wenig Punkte beschränken und seien für sich genommen schon dürftig. Der große Rest bestehe aus Unterlassungsleistungen, gekoppelt mit der Fortführung der alten imperialen Hegemoniepolitik.
Nicht nur »Code Pink«, sondern viele weitere progressive Initiativen weisen dabei auf den Militärhaushalt, der seit Jahrzehnten wächst. So hat Joe Biden Anfang April neben der Erhöhung nicht-militärischer Ausgaben auf 769 Milliarden Dollar für das Fiskaljahr 2022, das im Oktober beginnt, auch 753 Milliarden Dollar für das Kriegsministerium vorgeschlagen. Falls der Kongreß zustimmt, wären das 12,3 Milliarden Dollar mehr fürs Militär als im laufenden Jahr und ein neuer Rekord. Der demokratische Sozialist Bernie Sanders, der den Haushaltsausschuß des Senats leitet, äußerte dazu »schwere Bedenken«. Die USA gäben bereits mehr für das Militär aus als die im Ranking folgenden zwölf Staaten zusammengenommen. Es sei mehr als fällig, sich die »massiven Kostenüberschreitungen, Verschwendung und Betrug vorzunehmen, die im Pentagon herrschen«, sagte er.
Sanders bezog sich dabei auf die jüngste Studie des Internationalen Instituts für Strategische Studien (SIPRI). Danach gaben die USA im Jahr 2020 fast drei Mal so viel Geld für das Militär aus als China und Rußland zusammen. Das USA-Budget ist etwa dreieinhalb Mal höher als das von China (193,3 Mrd. Dollar) und mehr als zwölf Mal höher als das von Rußland (60,6 Mrd.). Zum Vergleich: NATO-Spitzenreiter in Europa waren Britannien mit Militärausgaben in Höhe von 61,5 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Frankreich und Deutschland.
Die Finanzierung des Militär-Industrie-Komplexes durch den Kongreß erfolgt seit 75 Jahren nach dem Schema einer »aufsteigenden Treppe«, erläuterte die Haushalts- und Rüstungsexpertin Lindsay Koshgarian gegenüber dem Korrespondenten der »Zeitung«. Bei jedem militärischen Konflikt werde das Budget weiter erhöht. In »Friedensphasen« gehe es wieder leicht zurück, »aber es fällt nie wieder auf das Niveau zurück, auf dem es vor dem Konflikt war«. Es stößt dabei – unabhängig von der jeweiligen Regierung – auf die überwältigende Unterstützung in beiden Parteien und sei »geradezu sakrosankt«.
Die Art und Weise, wie die Haushaltsgesetze Jahr für Jahr zustandekommen, ist dabei den Interessen des Militärs und der Rüstungsindustrie angepaßt. So befinden sich Ausgabenerhöhungen für das Militär meist im selben Entwurf wie innenpolitische Ausgabenerhöhungen, was militärkritische Abgeordnete und Senatoren bei Abstimmungen vor ein Dilemma stellt.
Die globale Militärmacht der USA stützt sich auf rund 800 Stützpunkte in mehr als 70 Ländern rund um den Globus. Spezialeinheiten der USA operierten 2016 in 138 Ländern. Der Außenpolitikexperte John Feffer warnt davor, hinter dem geplanten Abzug aus Afghanistan den Anfang vom Ende »immerwährender USA-Kriege« zu sehen. Der »institutionelle Apparat«, so Feffer, bleibe unangetastet. Die Biden-Regierung sei innenpolitisch reformorientiert und setze auf wirtschaftliche Expansion. Gleichzeitig richte sie ihre militärischen Kapazitäten auf die »Herausforderung« aus, die sie bei China sieht, und in einem geringeren Ausmaß bei Rußland.
Außen- und militärpolitisch haben progressiv orientierte Kräfte in der Biden-Regierung nicht mitzureden. Mit freundlichen Gesten gegenüber Verbündeten und einer erklärten Konfrontationsbereitschaft gegenüber China und Rußland herrscht ein anderer Ton als unter Trump. Aber in der Substanz handelt es sich um die Weiterführung der altgewohnten internationalen Politik, einzuordnen »zwischen Obama und Trump«, wie es jüngst in der »Washington Post« hieß.
Neben dem Militärhaushalt und der Konfrontationsstellung mit China und Rußland nannte »Code Pink« Überbleibsel aus der Trump-Ära, die Biden wohl nicht rückgängig machen werde: Sanktionen gegen Länder wie Iran, Venezuela, Nicaragua, Nordkorea und Syrien, massive Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die bedingungslose Unterstützung Israels. Und schließlich sehe die Biden-Regierung keinen Gewinn darin, die Sanktionsverschärfungen und die Blockade gegen Kuba aufzuheben.