Späte Hoffnung auf Sühne
Argentinien: Deutscher Autokonzern Mercedes als Kollaborateur der Militärdiktatur wegen Entführung von Gewerkschaftern angeklagt
Späte Hoffnung auf Sühne für die Morde an Gewerkschaftern im Jahr 1977 bei Mercedes-Benz in Argentinien: Nachdem die Staatsanwaltschaft in Nürnberg vor 20 Jahren ein Verfahren gegen den ehemaligen Produktionsleiter Juan Rolando Tasselkraut eingestellt hatte, wird dem früheren Manager des Konzerns in Argentinien nun doch noch der Prozeß gemacht. Am Mittwoch vergangener Woche wies der Oberste Gerichtshof in Buenos Aires eine Berufung der Anwälte des Deutschen ab.
Die Richter entschieden, daß das Verfahren gegen den heute über 70-Jährigen eröffnet wird. In Deutschland können die Angehörigen der Mercedes-Betriebsräte, die während der Diktatur (1976 bis 1983) nach dem Militärputsch ermordet wurden, auch 46 Jahre nach den Taten nicht auf Gerechtigkeit hoffen. In den USA wurden entsprechende Klagen ebenfalls abgelehnt.
Dank der Entscheidung des Gerichts in Buenos Aires werde auch Mercedes-Benz »zumindest symbolisch auf der Anklagebank sitzen«, kommentierte die Journalistin Gaby Weber im Internetmagazin »Overton«. Sie wirft dem deutschen Konzern vor, sich bis heute nicht für seine damalige Tatbeteiligung entschuldigt zu haben. Weber hatte den Fall bereits im Jahr 1999 aufgedeckt. In jahrelangen Recherchen fand sie Details über die Morde an 14 Gewerkschaftern des Mercedes-Werks in der Stadt González Catán nach dem Militärputsch heraus.
Die meisten von ihnen waren zunächst in das Folterzentrum Campo de Mayo verschleppt worden. Zeugen sagten aus, daß einige Opfer von Tasselkraut denunziert worden waren. Die Leitung des Werkes, in dem bis Ende der 50er Jahre auch der Nazi und Kriegsverbrecher Adolf Eichmann als Elektriker beschäftigt war, habe nicht nur die Verhaftung von Arbeitern an ihren Arbeitsplätzen zugelassen, sondern dem Militär Informationen über sie geliefert und die Repression aktiv unterstützt, stellte das Gericht in Buenos Aires aktuell fest.
In der Urteilsbegründung verwies Richter Alejandro Slokar darauf, daß die Verfolgung der Gewerkschafter und die Beseitigung von Arbeiterrechten darauf abzielten, »von einer neoliberalen Hegemonie aus die bedeutendste und dramatischste wirtschaftlich-soziale Umstrukturierung der jüngeren Geschichte durchzuführen«. Die Ermordung der kämpferischen Betriebsräte sei nach Einschätzung von Richter Slokar nicht willkürlich erfolgt, »sondern zielte eindeutig darauf ab, eine Struktur zu zerstückeln, die sich angesichts der wirtschaftlichen Ziele der Großkonzerne und des Wirtschaftsplans der Diktatur als erbitterter Gegner präsentierte«.
Die Regierung der Provinz Buenos Aires erinnerte auf ihrer Internetseite in einer Mitteilung über das Urteil daran, daß Tasselkraut vor mehr als zwei Jahrzehnten während der sogenannten Wahrheitsprozesse auf die Frage nach einem Zusammenhang zwischen der Verschleppung der Gewerkschafter und einem danach erfolgten Anstieg der Produktivität im Mercedes-Werk geantwortet hatte: »Wunder gibt es nicht.« Den Ausspruch hat Weber zum Titel ihres Dokumentarfilms über den Fall gemacht, von dem die Justiz in Deutschland nichts wissen will.
In Argentinien wird der Prozeß gegen den Mercedes-Kollaborateur dagegen – besonders vor den Ende Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen – mit Spannung verfolgt. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs fällt in eine Zeit, in der sich die politische Debatte im Land mit den Zielen des ultrarechten Kandidaten Javier Milei beschäftigt, der bei den Vorwahlen am 13. August mit über 30 Prozent die meisten Stimmen erhielt.
Es gehe darum, ob Milei durch einen Wahlsieg die Chance haben wird, die Arbeits- und Sozialrechte, wie angekündigt, »mit der Kettensäge« zu stutzen, schrieb die Tageszeitung »Página 12«. Sie erinnerte auch daran, daß die Vizepräsidentschaftskandidatin im Lager von Milei, Victoria Villarruel, eine Bewunderin der Militärdiktatur sei und sich wiederholt gegen die juristische Aufarbeitung von Fällen wie dem des ehemaligen Mercedes-Managers ausgesprochen hat. Der Mercedes-Prozeß gemahnt daran, was bei den Wahlen in acht Wochen auf dem Spiel steht.