Ausland10. Juni 2023

Es geht um Öl und Macht

von Karin Leukefeld

Die USA-Administration will Saudi-Arabien wieder an die Leine legen. Doch das Land nutzt sein Öl, um mit Ost und West Geschäfte zu machen

Der Außenminister der USA, Anthony Blinken, will die angespannten Beziehungen mit Saudi-Arabien wieder stabilisieren. Dafür reiste er in dieser Woche nach Riad und Jeddah. Laut einer Voraberklärung des Außenministeriums sollte es bei der Reise um die »strategische Kooperation in regionalen und globalen Themen« gehen. Auch die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen sollten erörtert werden. Blinken traf »führende Frauen« und feierte mit Personal der Botschaft Khartoum und dem Generalkonsulat Jeddah die erfolgreiche Evakuierung von USA-Bürgern aus dem Sudan.

Gespräch mit dem Kronprinzen

Gleich nach seiner Ankunft am Dienstag war Blinken mit dem saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman, allgemein als »MBS« bekannt, zu einem ausführlichen Gespräch zusammengetroffen. Offen hätten die beiden Politiker über Differenzen und Gemeinsamkeiten gesprochen, erklärte anschließend Blinkens Sprecher Matthew Miller den mitreisenden Journalisten. Beide Seiten hätten sich verpflichtet »Stabilität, Sicherheit und Wohlstand im gesamten Mittleren Osten und darüber hinaus zu fördern«. Das betreffe auch die Entwicklung im Jemen.

Fortschritte in Fragen der Menschenrechte würden darüber hinaus die bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Riad stärken, zitierte Miller den Außenminister. Blinken habe sich für die Unterstützung bei der Evakuierung von USA-Bürgern aus dem Sudan bedankt. Auch die saudischen diplomatischen Bemühungen, die Machtkämpfe im Sudan zu stoppen, habe Blinken lobend hervorgehoben.

In Riad traf Blinken am Mittwoch seinen saudischen Amtskollegen Prinz Faisal Bin Farhan, mit dem er an einem Treffen der Außenminister der Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates teilnahm. Mit Vertretern der Außenministerien von Staaten, die der von den USA geführten »Allianz gegen den IS« angehören, fand am Abend ein Arbeitsessen statt.

Washington wirbt für die Fortsetzung der »Allianz«, an der offiziell 85 Staaten beteiligt sind. Erst kürzlich hatte sich Dänemark aus der »Allianz« verabschiedet mit der Begründung, der »IS« sei wesentlich geschwächt und die dänische Armee müsse sich Aufgaben an ihren Grenzen widmen.

Blinken kündigte eine Aufstockung der »Stabilisierungshilfe« für Irak und Syrien an, womit allerdings nur der Nordosten Syriens gemeint ist, wo die USA unter Bruch des Völkerrechts bewaffnete Regierungsgegner unterstützen und eigene Truppen stationiert haben. Ziel der Spendensammlung seien 601 Millionen US-Dollar, die USA würden davon 148,7 Millionen übernehmen. Zudem müsse die Rückkehr ausländischer Kämpfer und ihrer Familien in ihre Heimatländer vorangetrieben werden. Die USA-Armee hat nicht die Absicht, ihre illegalen Militärbasen im Nordosten und Süden Syriens aufzugeben.

Die »Anti-IS-Koalition« müsse laut Blinken ihren Fokus weiterhin auf die Sahel-Zone und Westafrika richten. Auch in Afghanistan und Zentralasien müsse der »Kampf gegen den Islamischen Staat« ausgeweitet und finanziell unterstützt werden.

Unerfüllte Wünsche

Der Blinken-Besuch in Saudi-Arabien hatte vor allem drei Ziele. Riad solle die Ölförderung erhöhen und damit den Preis drücken. Washington will den Einfluß von China und Rußland zurückdrängen und die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel vorantreiben.

2020 hatte die Trump-Administration eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Golfemiraten Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko und Sudan erreicht. Auch wenn Saudi-Arabien und Israel zumindest gelegentlich geheimdienstlich kooperieren, ist Riad weit entfernt davon, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen.

Am Tag vor seiner Abreise hatte Blinken beim AIPAC, der einflußreichen Lobbyorganisation »Amerikanisch-Israelisches Komitee für öffentliche Angelegenheiten« erklärt, eine Normalisierung diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien sei »im nationalen Sicherheitsinteresse« der USA.

Dank der von China vermittelten Wiederannäherung mit dem Iran im März konnte sich Saudi-Arabien beim jüngsten Gipfeltreffen der Arabischen Liga als regionale Ordnungsmacht präsentieren. Die Rückkehr Syriens in das arabische Staatenbündnis war in den letzten Monaten offen von Riad unterstützt und mit vorangetrieben worden. Der Empfang des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durch Kronprinz Bin Salman war in den USA auf Ablehnung gestoßen. Washington warnte unverhohlen, daß eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien nicht unterstützt werde. Staaten und Unternehmen, die sich an diesen »Rat« nicht hielten, müßten mit Sanktionen rechnen.

Ende Mai hat die Biden-Regierung zwei syrische Geldtransferunternehmen auf die Sanktionsliste gesetzt. Weil die Syrische Zentralbank von der EU und den USA unter Sanktionen steht und deren Vermögen eingefroren wurde, können Unternehmen und Einzelpersonen kein Geld nach Syrien überweisen oder umgekehrt. Private Geldtransferunternehmen füllen diese Lücke, indem sie – gegen entsprechende Gebühr – Geldtransfer zwischen Empfängern in Syrien und dem Ausland ermöglichen.

Saudi-Arabien als
regionale
Ordnungsmacht

Washington, das in den letzten Jahren seinen »strategischen Partner« Saudi-Arabien eher vernachlässigt hatte, präsentierte den mitreisenden Journalisten in der Blinken-Delegation eine beeindruckende Liste über »Acht Jahrzehnte Partnerschaft«. Danach ist der saudische Rüstungsapparat mit Einzelanschaffungen von mehr als 140 Milliarden US-Dollar der größte Einkäufer von Rüstungsgütern der USA. In Planung ist ein integrierter und vernetzter Raketenabwehrschirm. Saudi-Arabien finanziert Unterstützung für die Ukraine, beteiligt sich aber nicht an den von der EU verhängten Sanktionen gegen Rußland.

Die Beziehungen Saudi-Arabiens mit den USA verlieren ihr Alleinstellungsmerkmal, Riad weitet seine Beziehungen aus. Das geschieht im Rahmen der OPEC Plus, einer Plattform, auf der sich die 13 OPEC-Mitgliedstaaten mit weiteren zehn Ländern, die Erdöl exportieren, aber nicht der OPEC angehören (darunter auch Rußland) koordinieren.

Saudi-Arabien hat die Beziehungen mit China und Rußland durch Kooperation und Verträge ausgebaut. Im Dezember 2022 unterzeichneten China und Saudi-Arabien eine Vereinbarung für umfassende strategische Partnerschaft, mit der die gegenseitigen Interessen, Souveränität und territoriale Integrität unterstützt und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten verteidigt werden.

SCO und BRICS

Seit März 2023 ist Saudi-Arabien Dialogpartner der eurasischen Shanghai Organisation für Kooperation (SCO) und plant den Beitritt zur BRICS-Entwicklungsbank als auch zum BRICS-Bündnis selbst.

Nur wenige Tage bevor USA-Außenminister Blinken in Saudi-Arabien eintraf, begrüßte der saudische Kronprinz Mohamed bin Salman dort Nicolás Maduro, den Präsidenten Venezuelas. Man sprach über die Zusammenarbeit beider Staaten im Bereich von Öl und Gas, sowie den Aus- und Wiederaufbau von Petrochemie-Anlagen. Das erdölreiche Venezuela steht seit mehr als 15 Jahren unter umfassenden Sanktionen der USA und auch der EU und benötigt wirtschaftliche und technische Unterstützung bei der Restaurierung seiner Ölindustrie. Eine mögliche Kooperation Saudi-Arabiens mit Venezuela wird als deutliches Zeichen dafür gewertet, daß Riad selbst über seine eigene Außenpolitik entscheidet und Vorgaben der USA nicht länger bedingungslos hinnimmt.

Saudi-Arabien und Venezuela haben die Aufnahme bei BRICS beantragt, wie auch der Iran. Der Iran wiederum hatte bereits vor einem Jahr mit Venezuela ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, das auch militärische Zusammenarbeit beinhaltet. Am Tag des Blinken-Treffens mit dem saudischen Kronprinzen tauschte dieser sich auch per Telefon mit dem russischen Präsidenten Putin aus. Der Iran eröffnete am gleichen Tag seine Botschaft und zwei Konsulate im saudischen Königreich.

Wechselvolle
Beziehungen

Am 14. Februar 1945 trafen sich der saudische König Abdul Aziz Bin Abdul Rahman Al Saud und USA-Präsident Franklin D. Roosevelt, um über die zukünftigen Beziehungen beider Staaten zu sprechen. Das Treffen fand an Bord des US-amerikanischen Kriegsschiffs »USS Quincy« auf den Bitterseen im Suez-Kanal statt. Das Foto, das die beiden Politiker im entspannten Gespräch mit einem Dolmetscher zeigte, ging in die Geschichte ein.

Ziel des Treffens war für die USA, sich die reichen Ölvorkommen Saudi-Arabiens zu sichern. Im Gegenzug bot Washington dem saudischen Königshaus militärischen Schutz an. Mit Blick auf die Pläne, in Palästina einen jüdischen Staat zu errichten, wurde auch das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge angesprochen. Der saudische König sagte, diejenigen, die sie verfolgt und unterdrückt hätten, seien verantwortlich dafür, ihnen in den Ländern, aus denen sie kämen, eine neue Heimat zu geben. »Seine Majestät« habe erklärt, »die Araber würden eher sterben, als ihr Land den Juden zu überlassen«, ist in dem offiziellen Gesprächsmemorandum zu lesen.

Der eigentliche Kern der Beziehungen war und ist bis heute das Öl. Saudi-Arabien stimmte zu, daß Öl weltweit in US-Dollar gehandelt werden solle. Die USA sicherten dem saudischen Königshaus militärischen Beistand zu, um im Gegenzug mit Öl versorgt zu werden. Öl brauchten die USA, um ihre Kriege zu führen und die eigene Wirtschaft preisgünstig wieder aufzubauen. Saudi-Arabien kaufte Waffen aus den USA, die später in Syrien seit 2011 und im Jemen seit 2015 gegen andere arabische Staaten eingesetzt wurden.

Als bekannt wurde, daß die Attentäter, die am 11. September 2001 in das Pentagon und in das Welthandelszentrum geflogen waren, saudische Staatsbürger waren, verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen. 2017 entmachtete Mohamed Bin Salman (MBS), Sohn des saudischen Königs Salman, den Cousin seines Vaters, Prinz Mohammed bin Nayef als Kronprinz und brachte Sicherheitsapparat, Wirtschaft und das Öl unter seine Kontrolle. Das Verhältnis zu Washington kühlte weiter ab.

Eine neue Phase von »Eiszeit« trat ein, als bekannt wurde, daß Jamal Khashoggi, der für die »Washington Post« geschrieben hatte, im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet und der Leichnam zerstückelt worden war. Khashoggi hatte Saudi-Arabien wegen seiner Sympathien zur Muslim-Bruderschaft verlassen. Auftraggeber des Mordes sei MBS gewesen, fand eine UNO-Untersuchung heraus. Doch nach einem offiziellen Besuch von USA-Präsident Biden in Saudi-Arabien gewährte das Weiße Haus dem saudischen Kronprinzen Immunität gegenüber US-amerikanischen Ermittlungen.

Die Sprache gegenüber den Saudis veränderte sich. USA-Präsident Donald Trump bezeichnete Saudi-Arabien als »Kuh, die gemolken wird«, so lange sie Milch gibt. Und sein Nachfolger Joe Biden sprach von Saudi-Arabien als »Paria-Staat«. Besonders unter den Ideologen der Demokratischen Partei der USA und in Think Tanks wurde für eine Abkehr von Saudi-Arabien geworben und Kronprinz MBS als »toxisch« bezeichnet. Man brauche das saudische Öl nicht mehr, weil man selber genug Fracking-Öl habe, hieß es in einem Meinungsstück des Brookings Instituts. Der Deal, der 1945 auf der »USS Quincy« abgeschlossen worden war, sei »veraltet«.

Das Weiße Haus blieb unentschieden. Erst als China im März 2023 Saudi-Arabien und den Iran an einen Tisch brachte und die beiden langjährigen Konkurrenten ihre diplomatischen Beziehungen wiederaufnahmen, wachte Washington wieder auf. Hochrangige Militärs tourten durch den arabischen Golf, Geheimdienstdelegationen suchten das Gespräch, die »Normalisierung« zwischen Israel und Saudi-Arabien, das so genannte »Abraham Abkommen«, wurde wieder aus der Schublade gezogen.

Nun hat USA-Außenminister Blinken gleich drei Tage in Saudi-Arabien verbracht, um die Saudis daran zu erinnern, daß die USA ihr »bester Freund« seien und nicht China oder gar Rußland. In Saudi-Arabien könnte man das inzwischen anders sehen.