Ausland17. November 2021

»Haß und Gewalt sind keine Meinungen«

Manöver mit Gesetz über Geschlechtsidentität. Warum die Faschisten im italienischen Senat das Zan-Gesetz zu Fall brachten

von Gerhard Feldbauer

Ende Oktober wurde im italienischen Senat auf Betreiben der Mitglieder der faschistischen Allianz – der Lega von Matteo Salvini, der Brüder Italiens (FdI) von Georgia Meloni und Forza Italia (FI) von Silvio Berlusconi – der Entwurf des sogenannten Zan-Gesetzes zu Fall gebracht. Durch das Gesetz sollten die strafrechtlichen Bestimmungen bei Verletzung der Gleichstellung der Geschlechter, die bisher auf rassistisch, ethnisch, nationalistisch oder religiös motivierte Verstöße begrenzt sind, um die Tatbestände »Diskriminierung und Gewalt, die sich auf Geschlecht, Genus, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Behinderung beziehen«, erweitert werden. Wie in Italien nicht selten, ist das Gesetz nach dem PD-Abgeordneten Alessandro Zan benannt, der es in der Abgeordnetenkammer einbrachte, wo es mit 265 Ja- und 193 Nein-Stimmen in erster Lesung angenommen wurde.

Für den betroffenen Personenkreis sieht der Entwurf besondere Schutzmaßnahmen vor, neben Schwulen und Lesben auch für binäre und transsexuelle Menschen. Im Rahmen der Prävention soll ein landesweiter jährlicher »Tag gegen Homo-, Lesbo-, Bi- und Transphobie« eingeführt werden, mit Aktivitäten an Schulen, um Schülerinnen und Schüler für das Thema zu sensibilisieren.

Lega und FdI behaupteten, der Entwurf schränke die »freie Meinungsäußerung« ein, was die Befürworter in der Debatte zurückgewiesen haben: »Haß und Gewalt sind keine Meinungen«.

Im faktischen Schulterschluß mit den Faschisten argumentierte der Vatikan, das Gesetz schränke »die freie Kultausübung« ein. Außerdem verletze es das 1929 zwischen dem faschistischen Italien mit dem Kirchenstaat geschlossene Konkordat, womit wieder einmal publik wurde, daß das Konkordat, mit dem Papst Pius XI. den »Duce« einst vor seinem Sturz bewahrte, noch heute grundsätzlich gültig ist. Besonders die Aufklärung an den Schulen und der Begriff »Geschlechtsidentität« werden als »ideologische Indoktrinierung von Minderjährigen« attackiert.

Auch einige feministische Gruppen lehnten das Zan-Gesetz ab, weil es die Geschlechtsidentität nur als »soziales Konstrukt« definiere und zudem angeblich Frauen »als Minderheit« betrachte und sie auf gleiche Ebene mit Homosexuellen, Trans und Binären gestellt werden.

Ein Großteil der feministischen Bewegung und der Organisationen, die Schwulen, Lesben, Trans und Binäre vertreten, sind jedoch mit den Befürwortern – dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) und der Mehrheit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) – der Meinung, daß abweichende Geschlechtsidentitäten eine Realität sind, und daß der Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung uneingeschränkt für alle gelten müsse. Was zur Zeit oft nicht der Fall ist, wie die Berichte vieler, meist junger Menschen über traumatische Diskriminierungs- und auch Gewalterfahrungen im Alltag belegen.

Da die Senatoren der faschistischen Allianz befürchteten, mit einer offenen Ablehnung nicht durchzukommen, brachten sie einen Beschlußentwurf ein, auf dessen Grundlage »die Behandlung auf unbestimmte Zeit auszusetzen« sei. Das in der italienischen Justiz »Tagliola« (Guillotine) genannte Verfahren bedeutet das faktische Aus des Gesetzes, weil mit Blick auf die gängige Praxis kaum mit einer Wiederaufnahme gerechnet wird.

Nun verfügte die faschistische Allianz auch dazu nicht über eine Mehrheit im Senat. Nach Analysen kann davon ausgegangen werden, daß ihr die zwölf Senatoren von Matteo Renzis Partei Italia Viva (IV) und weitere Heckenschützen, vermutlich von den Fünf Sternen, zu Hilfe kamen, und möglicherweise auch einige PD-Senatoren, die Renzi noch nahestehen (seine sogenannte »fünfte Kolonne« im PD). Renzis Partei ist in Umfragen schon lange unter 2 Prozent gesunken und er muß befürchten, bei der nächsten Wahl unter die 3-Prozent-Sperrklausel zu fallen und aus dem Parlament zu verschwinden. Er sucht einen Schulterschluß mit Salvini und will in Sizilien mit Berlusconis FI zur nächsten Wahl auf einer gemeinsamen Liste »Forza Italia Viva« antreten.

Unter diesem Gesichtspunkt sehen Beobachter die Kollaboration bei der Abstimmung über das Zan-Gesetz im Senat als Manöver, um zu erproben, wie man zur anstehenden Neuwahl des Staatspräsidenten im Februar Bündnisse bilden kann. Der 80-jährige Sergio Mattarella hat einem Ersuchen des PD, nochmals zur Wahl anzutreten, nicht entsprochen. Durch Renzis Zusammengehen mit Berlusconi erhalten Spekulationen über dessen mögliche Kandidatur Auftrieb. Andererseits wird Druck auf PD-Chef Enrico Letta ausgeübt, einer Kandidatur von Premierminister Draghi zuzustimmen, für die Salvini und Meloni mit einem gleichzeitigen Verbleiben Draghis als Premierminister im Palazzo eine Semi-Präsidialherrschaft fordern.