Wahlkampf in Italien gewinnt an Brisanz
Giorgia Meloni hat das Programm der faschistischen Allianz veröffentlicht, das sich an Mussolini-Bewunderer Berlusconi orientiert
Mit der Veröffentlichung des Programms der faschistischen Allianz – dem Wahlbündnis der Brüder Italiens (Fratelli d’Italia, FdI) von Giorgia Meloni, der Lega unter Matteo Salvini und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi – am vergangenen Donnerstag nimmt der Wahlkampf zum Votum für ein neues Parlament am 25. September Tempo auf und gewinnt an Brisanz. Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen steht eine vorgesehene Verfassungsänderung, auf deren Grundlage der Staatspräsident direkt gewählt und ein Präsidialsystem nach französischem Vorbild eingeführt werden soll. Das habe bei linken Kräften »die Alarmstufe Rot« ausgelöst und die Sicherungen »seien durchgebrannt« schrieb das linke Magazin »Manifesto«.
Das Blatt verwies darauf, daß »der Präsidentialismus in der sogenannten rechten Mitte nichts Neues« sei und Giorgia Meloni eine Änderung des politischen Systems aufgreift, die schon 1994 von FI-Chef Silvio Berlusconi als Premier verfolgte, was dieser nun jubelnd begrüßte und gegenüber »Radio Capital« erklärte, »wenn die Reform durchgeht«, sei »der Rücktritt von Sergio Mattarella ein notwendigen Schritt«, wodurch die politische Stimmung noch mehr angeheizt wurde.
Unter dem Medientycoon Berlusconi konnte dessen Hauptverbündeter, der Chef der 1946 als Movimento Sociale Italiano (MSI) wieder gegründeten und später in Aleanza Nazionale (AN) umgetauften Partei des faschistischen Diktators Mussolini, der damalige Vizepremier Gianfranco Fini, den »Duce« als den »größten Staatsmann des Jahrhunderts« feiern und dessen Rehabilitierung fordern. Berlusconi sekundierte damals, seine Regierungspartner seien »keine Faschisten« und hätten eine »saubere Weste«. Das muß man im Blick haben, wenn Georgia Meloni, als sie am 23. Juli ankündigte, sie wolle Regierungschefin werden, sagte, »die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts sind bekannt, es geht darum, sie zu wiederholen«.
Daß unter Premierminister Berlusconi 2001 beim G8-Gipfel in Genua Protestierende zu Hunderten blutig zusammengeschlagen und nach dem Vorbild der chilenischen Faschisten in »Gefangenensammelstellen« zusammengepfercht wurden, hielt Giorgia Meloni, die 1992 mit 15 Jahren der Jugendfront des MSI beitrat, nicht davon ab, von Mai 2008 bis zu seinem Fall im November 2011 Berlusconi als Jugend- und Sportministerin zu dienen. 2012 formierte sie die AN zur Fratelli d‘Ìtalia (FdI) und im März 2014 übernahm sie die Führung der Partei als deren Vorsitzende.
Während der angesehene Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Antonio Tabucchi die mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011 amtierenden Regierungen Berlusconis eine »Herrschaft der Despotie« nannte, der weltbekannte Autor Umberto Eco urteilte, diese Regierungen verkörperten das »übelste Erbe des Faschismus« und weitere angesehene Schriftsteller von Luigi Malerba über Silvia Ballestra bis Stefano Benni die »grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens« bedroht sahen, hat Giorgia Meloni, wie sie offen bekannte, »ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus«.
Wenigstens in der Verurteilung ist die gespaltene »Linke Mitte« sich einig. Präsidentialismus »untergräbt die Verfassung«, prangert der Präsident des Partisanenverbandes ANPI, Gianfranco Pagliarulo, die in dem Abkommen fixierten Ziele an. Enrico Letta, der Sekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), erklärte laut Nachrichtenagentur ANSA, es zeige sich, »wie gefährlich die Rechte ist«, die »das politische System zerschlagen will«. »Mitte-Rechts läßt die Maske fallen«, sagte der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Ex-Premier Giuseppe Conte, und erklärte, er wolle »nicht zulassen, daß sich die politischen Institutionen der räuberischen Logik der rechten Kräfte beugen«.
Parlamentspräsident Roberto Fico (M5S) betonte, es gehe »um die parlamentarische Republik«, und die Institutionen dürften »nicht in den Wahlkampf hineingezogen« werden. ANSA veröffentlichte zudem eine Botschaft von Staatspräsident Sergio Mattarella, in der dieser daran erinnerte, daß am 12. August 1944 Mussolini-Faschisten mit einer Einheit der 16. Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« der Hitlerwehrmacht in Sant'Anna di Stazzema in der Toskana ein bestialisches Massaker an 560 Einwohnern verübt hatte. Auch ohne deren Namen zu nennen machte er deutlich, daß die Fdi-Führerin Meloni auch mit solchen Verbrechen offenbar »keine Probleme« hat.
Mit Blick auf die Verfolgung der Linken unter Berlusconi warnte »Manifesto«, es handele sich »um einen regelrechten Bruch der Verfassungsordnung«, und das sei »wahrscheinlich erst der Anfang«. Wenn dieser »starke und vereinte Feind« gewinne, werde er »zweifellos keine Gefangenen machen«.
Es bleibt bisher bei verbalen Protesten. Noch gibt es keine Anzeichen dafür, daß zur Verhinderung eines Wahlsieges der Faschisten eine Einheitsfront von »Mitte Links« entstehen könnte. Nachdem der PD sich gegenüber linken Sozialisten, einigen Kommunisten und den Grünen öffnete, hat Carlo Calenda mit seiner Zentrumspartei Azione das bereits verkündete Bündnis mit dem PD verlassen und mit der Partei Lebendiges Italien (IV) des früheren PD-Chefs und Ex-Premiers Matteo Renzi einen betont antikommunistischen »Dritten Pol« gebildet. Die Fünf-Sterne-Bewegung M5S wird, nachdem der sozialdemokratische PD ein weiteres Bündnis ausgeschlossen hat, offenbar allein zur Wahl antreten.