Ausland02. Juni 2022

»Das Schlimmste kommt erst noch«

Lebensmittelpreise in Deutschland dürften 2022 um über 10 Prozent steigen

von dpa/ZLV

Die Menschen in Deutschland müssen für Lebensmittel in den kommenden Monaten wahrscheinlich noch einmal deutlich mehr bezahlen. »In Deutschland dürften die Preise im Lebensmitteleinzelhandel 2022 um mehr als 10 Prozent anziehen«, faßt der Handelsexperte Aurélien Duthoit vom Kreditversicherer Allianz Trade das Ergebnis einer Studie zusammen. Umgerechnet entspreche das durchschnittlich 250 Euro Mehrkosten im Jahr pro Kopf.

Trotz der jüngsten Steigerungen seien die Preise im Lebensmitteleinzelhandel weit davon entfernt, den tatsächlichen Preisanstieg bei Lebensmitteln in den vergangenen 18 Monaten widerzuspiegeln. »Das Schlimmste kommt auf die Haushalte also erst noch zu«, warnt Duthoit.

Die Hersteller von Lebensmitteln und Getränken haben ihre Preise in Deutschland der Studie zufolge seit Anfang 2021 um durchschnittlich 16,6 Prozent angehoben. Am stärksten waren die Aufschläge bei Produkten des täglichen Bedarfs, darunter Öle und Fette (53 Prozent), Mehl (28 Prozent) und Nudeln (19 Prozent) – als »Grund« dafür muß immer wieder der Krieg in der Ukraine herhalten. Tatsächlich jedoch hat der Preisauftrieb bereits im Sommer 2021 begonnen.

Die Inflationsrate insgesamt steigt in Deutschland bereits auf immer neue Höhen. Im April stiegen die Verbraucherpreise um 7,4 Prozent im Jahresvergleich und damit so schnell wie seit Anfang der 80er Jahre nicht mehr - unter anderem getrieben von Lebensmitteln. In dieser Woche gab das Statistische Bundesamt die ersten Mai-Daten bekannt – die Inflationsrate stieg auf 8,1Prozent.

Bei einer Umfrage des Ifo-Institus gaben neun von zehn Unternehmen im Einzelhandel mit Nahrungs- und Genußmitteln an, weitere Preiserhöhungen zu planen. Hauptursache für die steigenden Preise seien höhere Kosten von Energie, Rohstoffen, sonstigen Vorprodukten und Handelswaren, hieß es vom Ifo.

Auch aus der Landwirtschaft kamen zuletzt alles andere als beruhigende Signale. Der Deutsche Bauernverband warnte kürzlich, die angespannte Lage auf den Agrarmärkten – auch hier wird der Ukraine-Krieg als Grund angegeben – werde wohl monatelang anhalten. Es sei davon auszugehen, daß die kritische Versorgungssituation bis weit ins kommende Jahr und über die Ernte 2023 hinausreichen werde, sagte der stellvertretende Generalsekretär Udo Hemmerlin. Daher werde es auch zu weiteren Preiserhöhungen kommen.

Ein Beispiel: Milchprodukte. Sie könnten nach Angaben des zuständigen Branchenverbands bald deutlich teurer werden. »Bei Milchprodukten mit längeren Kontraktlaufzeiten sind die Preissteigerungen im Laden teils noch nicht wirklich angekommen. Das wird erst in den kommenden Wochen und Monaten geschehen«, sagte Björn Börgermann, Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, kürzlich der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Steigerungsraten von 20 Prozent könnten möglich sein.

Daß Kunden jetzt schon weniger Geld im Portemonnaie haben, bekommen etwa Spargelbauern zu spüren. Spargel sei ein »verzichtbares Gemüse«, das viele Menschen mit höheren Preisen in Verbindung brächten, sagt Claudio Gläßer von der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft. Die Folge: Obwohl Spargel so günstig wie lange nicht mehr ist, wird in dieser Saison deutlich weniger als vor einem Jahr gekauft.

Hinzu kommt, daß die Handelsketten lieber auf Importe zum Beispiel bei Spargel oder auch Erdbeeren zurückgreifen, bei deren Preisen einheimische Landwirte nicht mithalten können. In der letzten Zeit häufen sich die Meldungen, laut denen in Deutschland, Österreich und anderen Ländern unverkäufliche Erdbeeren oder Spargel und anderes Gemüse entweder vernichtet oder gar nicht erst geerntet werden.