100 Jahre PCI
Gramscis Weg zur Verwirklichung der Beschlüsse der von Lenin geschaffenen Kommunistischen Internationale in Italien
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 lief die übergroße Mehrheit der Führungen der Parteien der Sozialistischen (zweiten) Internationale auf die chauvinistischen Positionen der Vaterlandsverteidigung ihrer Imperialisten über. Die Organisation brach damit zusammen. Auf der Grundlage des Bruchs mit den Opportunisten trat Lenin für die Bildung einer neuen, kommunistischen Internationale ein. In seiner Schrift »Der Krieg und die russische Sozialdemokratie«, die der Schweizer »Sozialdemokrat« am 1. November 1914 veröffentlichte, schrieb er: »Die proletarische Internationale ist nicht untergegangenen und wird nicht untergehen. Die Arbeitermassen werden trotz aller Hindernisse eine neue Internationale schaffen.«
Entscheidende Voraussetzungen wurden dazu auf den Tagungen im September 1915 in Zimmerwald und im April 1916 Kienthal in der Schweiz geschaffen. Bereits auf der ersten Beratung bildete Lenin die berühmte Zimmerwalder Linke, die auf den weiteren Verlauf der revolutionären Antikriegsbewegung großen Einfluß nahm. Der Aufruf an die Arbeiter und Arbeiterinnen, sich gegen den Krieg zu erheben, endete mit den Worten: »Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!«
Am 2. März 1919 trafen sich in Moskau dann 52 Delegierte von 35 bis dahin in Europa, Amerika und Asien entstandenen kommunistischen Organisationen, die bis zum 6. März in Moskau die Gründung der III. Kommunistische Internationale berieten und verkündeten. In seinem Referat »Über die Aufgaben der III. Internationale« rechnete der Führer der Bolschewiki »mit dem Verrat der Arbeiterführer an der Sache der Arbeiter«, »an der Revolution«, »am Sozialismus« ab, entlarvte sie als »Agenten des internationalen Imperialismus, die innerhalb der Arbeiterbewegung tätig sind, die in ihr den bürgerlichen Einfluß, die bürgerlichen Ideen, die bürgerliche Lüge und die bürgerliche Demoralisation verbreiten«.
Gegen sie sei »ein unentwegter und unversöhnlicher Kampf notwendig«, um sie »aus der Arbeiterbewegung hinauszujagen«. Wir werden, so Lenin, »unsere sozialistischen Prinzipien wiederherstellen« und »eine wirkliche aktive Internationale« aufbauen.
Gramscis Weg
Gut zwei Jahre nach der Gründung der KPD in Deutschland bildeten die revolutionären Linken Italiens am 21. Januar 1921 relativ spät die Kommunistische Partei Italiens, obwohl sie dazu mit ihren starken Positionen bereits 1919 in der Periode der revolutionären Nachkriegskämpfe in der Lage gewesen wären. Das resultierte daraus, daß Antonio Gramsci zunächst versuchte, die Sozialistische Partei (PSI) in eine »revolutionäre Partei des Proletariats« zu verwandeln. Obwohl er dabei zunächst auf den Namen »Kommunistische Partei« verzichtete, ging es um den Bruch mit dem Opportunismus und um eine ihrem Charakter nach kommunistische Partei. Dafür gab es zunächst durchaus günstige Bedingungen.
Im Ergebnis der relativ spät einsetzenden kapitalistischen Entwicklung hatte sich die Arbeiterbewegung in Italien erst seit den 1860er Jahren formiert, was auch dazu führte, daß es dem italienischen Imperialismus auf Grund seines ökonomischen Rückstands nicht gelang, eine beispielsweise mit der in der deutschen Sozialdemokratie vergleichbare Arbeiteraristokratie hervorzubringen.
Aus der erst 1892 in Genua entstandenen einheitlichen Partei der italienischen Arbeiter (die 1893 in Sozialistische Partei Italiens, PSI, umbenannte) wurden 1912 die offenen Reformisten ausgeschlossen. Eine Gruppe gemäßigt auftretender Reformisten verblieb in der Partei, wurde aber nicht parteibeherrschend. Mit 250.000 Mitgliedern stieg der PSI 1906 zur drittstärksten Arbeiterpartei Europas auf. Bauernaufstände 1894 auf Sizilien und Barrikadenkämpfe in Mailand 1898 vermittelten lehrreiche Erfahrungen und stärkten die Kampfkraft.
Im August 1914 bezogen die italienischen Sozialisten als einzige westeuropäische Sektion der Zweiten Internationale Positionen gegen den Krieg. Bereits im Juni 1914 hatten die revolutionären Linken mit einem Generalstreik auf den drohenden Ausbruch eines Weltkriegs aufmerksam gemacht. In Rom, Turin, Mailand, Genau, Florenz und Ancona ging der Ausstand in bewaffnete Erhebungen der Arbeiter und Barrikadenkämpfe über, während der die Aufständischen in der Romagna und den Marken die Republik ausriefen. Bei der Niederschlagung der Aufstände durch über 100.000 Soldaten gab es zahlreiche Tote und Verletzte.
Ihre Antikriegsposition behaupteten die Sozialisten während des ganzen Krieges gegen die Versuche der Reformisten, sie zum Aufgeben zu bewegen. Ihre Haltung bildete, wie Lenin schrieb, »eine Ausnahme für die Epoche der II. Internationale«.
Die PSI-Führung, die noch von den Linken dominiert wurde, begrüßte mehrheitlich die Oktoberrevolution in Rußland und verkündete, der Kommunistischen Internationale beizutreten. Im August und September 1920 besetzten die Arbeiter alle großen Betriebe in Norditalien, wählten Fabrikräte, übernahmen die Leitung der Produktion (die sie trotz Sabotage des größten Teils des technischen Personals durchweg zu 70 Prozent aufrechterhielten) und bildeten bewaffnete Rote Garden zur Verteidigung der Betriebe. Im Süden nahm die Inbesitznahme von Ländereien der Latifundistas teilweise Massencharakter an. Die Regierung mußte durch ein Dekret das Vorgehen der Bauern legalisieren.
Die reaktionärsten Kreise erkannten die Gefahr und begannen, auf den ehemaligen Sozialisten Mussolini zu setzen. Im März 1919 gründete dieser zum Kampf gegen die erstarkende revolutionäre Arbeiterbewegung faschistische Kampfbünde, aus denen 1921 die faschistische Partei hervorging.
In den Arbeiterkämpfen wurde das Fehlen einer einheitlichen revolutionären Führungskraft immer deutlicher. Die Linken im PSI versuchten nun, den Reformismus zu überwinden und die Partei auf einer revolutionären Linie zu einigen. Gramsci formierte mit Palmiro Togliatti, Umberto Terracini und Angelo Tasca die revolutionären Linken zur »Ordine Nuovo« (Neue Ordnung), die ab 1. Mai 1919 die gleichnamige Zeitschrift herausgab.
Die Ordinuovisten definierten sich als Kommunisten und ihr Ziel einer sozialistischen Ordnung als kommunistische Gesellschaft. Sie bekannten sich zur Oktoberrevolution, zur Errichtung einer proletarischen Staatsmacht und forderten den Beitritt des PSI zur Kommunistischen Internationale. Die Fabrikräte mit der Arbeitermetropole Turin als Zentrum wollten sie zu Keimzellen revolutionärer Machtorgane entwickeln.
Lenins Warnung
Auf dem PSI-Parteitag im Oktober 1919 im roten Bologna konnten die Ordinuovisten ihre Forderungen weitgehend im Parteiprogramm durchsetzen. Lenin wertete das als »einen „glänzenden Sieg des Kommunismus«, wünschte viel Erfolg und hielt fest, »das Beispiel der italienischen Partei« werde »von größter Bedeutung für die ganze Welt sein«. Gleichzeitig warnte er vor Illusionen: »Die offenen und verkappten Opportunisten, die in der italienischen Partei unter den Parlamentariern so zahlreich sind, werden zweifellos die Beschlüsse des Parteitages von Bologna zu umgehen und zu durchkreuzen versuchen.«
Die Warnung bestätigte sich, als die Partei einen Monat später bei den ersten Nachkriegswahlen ihre Stimmen gegenüber 1913 verdreifachte und 156 der 508 Sitze in der Abgeordnetenkammer errang. Die Reformisten aber auch Zentristen, die die meisten Parlamentssitze errangen, traten nunmehr offen für einen Kompromiß mit dem Kapital ein. Die Arbeiterkontrolle der Fabrikräte definierten sie als »konstruktive Zusammenarbeit« mit den Unternehmern und wandten sich gegen »revolutionäre Aktionen«, was bewirkte, daß die Fabrikräte sich auflösten oder mit Hilfe der Polizei zerschlagen wurden. Von den Reformisten ging keine unmittelbare Gefahr mehr für die kapitalistische Herrschaft aus. Diese drohte von den sprunghaft zunehmenden revolutionären Arbeiteraktionen. Millionen streikten nicht mehr nur, um ihre materielle Lage zu verbessern, sondern für den Sturz der Ausbeuterordnung.
Gramsci gab deshalb nicht auf. Mit einem am 8. Mai 1920 in der »Ordine Nuovo« veröffentlichten »Programm für die Erneuerung der Sozialistischen Partei« unternahm er einen weiteren Versuch, den PSI in eine Partei des revolutionären Proletariats, die für »die Zukunft einer kommunistischen Gesellschaft eintritt«, umzugestalten. Es war eine Kompromißformel, mit der er auf den von den Zentristen abgelehnten Namen »Kommunistische Partei« verzichtete. Der Kern der Forderungen blieb jedoch der Bruch mit dem Opportunismus.
Lenin billigte das Vorgehen Gramscis. In seiner »Rede über den Kampf innerhalb der Italienischen Sozialistischen Partei« ging er davon aus, daß in Italien der Sturz des bürgerlichen Kabinetts und die Bildung einer linken Regierung eine reale Möglichkeit bildeten. Für diesen »Sieg der Revolution in Italien« sei, wie er hervorhob, unbedingt notwendig, daß »die Vorhut des revolutionären Proletariats in Italien eine wahrhaft kommunistische Partei wird«.
Mit dem Programm setzte Gramsci die 21 Aufnahmebedingungen der KI auf die Tagesordnung, in deren Punkt sieben es hieß: »Die Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören wollen, müssen die Notwendigkeit des vollständigen und absoluten Bruchs mit dem Reformismus und mit der Politik der ‚Zentristen’ anerkennen und diesen Bruch in den weitesten Kreisen der Parteimitgliedschaft propagieren.«
Gemäß diesem Programm verlangten die Ordinuovisten auf dem XVII. PSI-Parteitag, der am 15. Januar 1921 in Livorno zusammentrat, die Zentristen auf, mit ihnen für den Ausschluß der Reformisten zu stimmen. Die Zentristen vertraten 98.028 Mitglieder, »Ordine Nuovo« 58.783 und die Reformisten 14.695. Die Zentristen, deren Führer, Giacinto Menotti Serrati, sich vor dem Parteitag wiederholt von den Reformisten distanziert hatte, lehnten mit dem Argument, die Einheit der Partei zu wahren, den Ausschluß der Reformisten jedoch ab.
Daraufhin verließen die Ordinuovisten am 21. Januar geschlossen das Tagungsgebäude im Goldoni-Theater und gründeten im Sankt-Markus-Theater die Kommunistische Partei. Sie nannte sich Kommunistische Partei Italiens (KPI), Sektion der KI. Nach Auflösung der Komintern führte sie ab 1943 den Namen Italienische Kommunistische Partei (PCI). Serrati korrigierte später seine Haltung, wurde Führer der Terzinternationalisten, welche den PSI an die KI annähern wollten, brach 1924 mit den Reformisten und trat der KPI bei, die ihn in ihr Zentralkomitee aufnahm.
Herausragendes Ereignis
Das Entstehen einer kommunistischen Partei in Italien, einem Land, das auf Jahrzehnte revolutionärer Arbeiterkämpfe zurückblickte, war nach Bildung der KPD das herausragende Ereignis in der westeuropäischen Arbeiterbewegung. Gramsci ist oft nachgesagt worden, er habe die Trennung von den Reformisten als einen großen Fehler gesehen. Das entstellt seine Haltung. Tatsächlich sah er im Mißlingen der Umwandlung des PSI in eine revolutionäre Partei des Proletariats »den größten Triumph der Reaktion« (Togliatti).
Gramsci schätzte grundsätzlich ein, »daß unsere Partei mit ihrem Entstehen endgültig das historische Problem der Bildung der Partei des italienischen Proletariats gelöst hat.« In dieser Auffassung bestärkten ihn die Erfahrungen der Räterevolution in Ungarn, wo er im Zusammenschluß der Kommunisten und Sozialdemokraten einen Faktor sah, der zur Niederlage beitrug. Darüber hinaus wäre es ohne die Gründung der IKP nicht möglich gewesen, eine revolutionäre Strategie der Arbeiterklasse als entscheidende Grundlage des Kampfes, der zum Sturz Mussolinis und zur Niederlage des Faschismus führte, zu erarbeiten.
Gerhard Feldbauer