»Ein Revolutionär, der kämpfend gefallen ist«
Am 14. März 1972 fiel der Verleger Giangiacomo Feltrinelli einem faschistischen Mordanschlag zum Opfer
Am Morgen des 15. März 1972 wurde in Segrate bei Mailand unter einem Hochspannungsmast eine verstümmelte Leiche gefunden. Der Tote war der Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der als ein Anhänger der linksradikalen »Lotta Continua« und ihres Kampfes gegen die faschistische Gefahr bekannt war. Der für die CIA arbeitende Mailänder Polizeikommissar Luigi Calabresi begab sich persönlich nach Segrate und erklärte sofort, der Verleger sei am Vortag bei einem Sprengstoffanschlag, den er verüben wollte, ums Leben gekommen. Die Zeitung »Lotta Continua« enthüllte allerdings, daß Feltrinelli einem Mordanschlag der CIA zum Opfer gefallen war, an dem zwei Faschisten mitgewirkt hatten. Sie würdigte den Verleger als »einen Revolutionär, der kämpfend gefallen ist«. An seiner Beerdigung nahmen über 8.000 Menschen teil, darunter seine letzte Ehefrau und die drei, mit denen er vorher verheiratet war.
Spätere Ermittlungen des Staatsanwalts Guido Viola bestätigten »die Verwicklung von Geheimdiensten in den Tod Feltrinellis«. Ein Dokument der CIA hatte ihn als »ein Element« bezeichnet, das zu »eliminieren« sei. Bekannt wurde die Verwicklung der Anfang der 70er Jahre von der CIA gegründeten, 1982 verbotenen faschistischen Geheimloge »P2«, die 1978 das Mordkomplott gegen Aldo Moro, des Bündnispartners des PCI, inszeniert hatte. Die Untersuchungen am Tatort hatte ein Carabinieri-Offizier durchgeführt, der dem militärischen Geheimdienst SID angehörte. Ein medizinisches Gutachten hatte festgestellt, daß die Verletzungen am Kopf und am Körper des Toten durch einen »Angriff von hinten« mit einem stumpfen Gegenstand verursacht wurden und der Tote an den Händen gefesselt worden war. Das Gutachten war unterschlagen worden.
Feltrinelli war eine schillernde Persönlichkeit nicht nur der italienischen, sondern auch der europäischen und in die Dritte Welt reichenden Nachkriegsgeschichte. Am 9. Juni 1926 in Mailand geboren, stammte er aus einer der reichsten Unternehmerfamilien Italiens, u. a. mit Beteiligungen an mehreren europäischen Eisenbahngesellschaften und einer eigenen »Banco Feltrinelli«. Die luxuriöse »Villa Feltrinelli« in Gargnano am Gardasee nahm Mussolini, nachdem die Besitzer sie aufgegeben hatten, als eine seiner Residenzen. 1943 hatte der 17-Jährige Feltrinelli sich den Partisanen angeschlossen. Im März 1945 war er der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) beigetreten, die er 1957 verließ, nachdem sie die Herausgabe des Buches »Doktor Schiwago« des Dissidenten Boris Pasternak »gerügt« hatte, schrieb die »Süddeutsche Zeitung« am 8. Juni 2020. Für Behauptungen, er habe die Partei bereits 1956 nach dem Eingreifen der UdSSR in Ungarn verlassen, gibt es keinen Beleg.
Die Traditionen des Kampfes gegen das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht und ihre Mussolini-Vasallen blieben in Feltrinellis Schaffen sowohl als Verleger als auch an der Seite des Widerstandes der Antifaschisten gegen die von der Mussolini-Nachfolger-Partei des Movimento Sociale Italiano (MSI) ausgehende Gefahr und seiner internationalen Solidarität lebendig.
Er war persönlich mit Fidel Castro und Che Guevara, bei dem er sich für einige Zeit in Bolivien aufhielt, befreundet, übte Solidarität mit dem Befreiungskampf der Palästinenser und mit nationalen Bewegungen in der Dritten Welt, die er auch finanziell unterstützte. Besonders die kubanische Revolution war für Feltrinelli ein ihn außergewöhnlich beeindruckendes Ereignis. 1964 weilte er mit seiner dritten Frau, der Hamburger Fotografin und Buchverlegerin Inge Schönthal, einen Monat lang auf Einladung Fidel Castros in Kuba. »Er lud uns öfter zu sich nach Hause ein. Er lebte in einem schlichten, modernen Bungalow. Auf dem Dach gab es einen kleinen Hühnerstall und einen Basketballkorb«, schrieb sie in ihren Erinnerungen im April 2012. Giangiacomo habe keine Hemmungen gehabt, »Castro scharf zu attackieren, weil er die Homosexuellen in Kuba verfolgen ließ«. Er habe es »absurd« genannt, daß »ihr eine Revolution machen wollt, ohne eure konservativen katholischen Konventionen zu revolutionieren«. Für Fidel Castro sei das »eine ungeheuerliche Majestätsbeleidigung« gewesen, meint sie. »Aber Giangiacomo imponierte ihm, weil er sich nicht servil verhielt«, und es habe den guten Kontakten keinen Abbruch getan.
Feltrinelli, der gut Deutsch sprach, war auch mit der Studentenbewegung in der BRD eng verbunden und mit Rudi Dutschke befreundet. Er finanzierte den Internationalen Vietnamkongreß im Februar 1968 in Westberlin, auf dem er die Eröffnungsrede hielt. Wie Dutschke beschäftigte ihn die Frage, ob und wie eine Übertragung der Guerillamethoden aus der Dritten Welt in die europäischen Metropolen möglich sei. Als Dutschke im April 1968 bei dem Attentat am Westberliner Kurfürstendamm von drei Kugeln an Kopf und Schulter getroffen wurde, nahm Feltrinelli den Schwerverletzten in seinem Mailänder Haus zur Genesung auf. Einige Partisanen aus seiner früheren Einheit sorgten für Dutschkes Sicherheit.
Das faschistische Attentat auf die Mailänder Landwirtschaftsbank mit 16 Toten und fast 100 Verletzten am 12. Dezember 1969 war der bis dahin schwerste Terroranschlag der von der CIA organisierten Spannungsstrategie, in der die Linken für den Terror verantwortlich gemacht wurden. 300 radikale Linke wurden verhaftet, unter ihnen der Eisenbahner und bekannte Anarchist Guiseppe Pinelli. Um ein Geständnis zu erpressen wurde er gefoltert und aus dem Fenster in den Tod gestürzt. Feltrinelli zog eine Parallele zum Reichstagsbrand der deutschen Faschisten 1933, sah darin das Signal zu einem faschistischen Staatsstreich, wie er dann im Dezember 1970 auch versucht wurde. Er gründete eine klandestine Organisation, die sich in Anlehnung an die Gruppi di Azione Patriotica der Resistenza Gruppo di Azione Partigiana (GAP) nannte. »Die frontale Auseinandersetzung« sah er »als einzigen Ausweg, um Faschismus und Imperialismus zu schlagen«, schreibt Inge Feltrinelli in ihren Erinnerungen. Er selbst nahm den Kampfnamen »Osvaldo« an. Seit dieser Zeit agierte er faktisch in der Illegalität.
1954 gründete Feltrinelli den nach ihm benannten Verlag mit Sitz in Mailand. 1957 erschien Boris Pasternaks »Doktor Schiwago« und 1958, ein Jahr nach dem Tod des Autors, die Erstauflage von Giuseppe di Lampedusas »Leopard«, nach Che Guevaras Ermordung im Oktober 1967 dessen »Bolivianisches Tagebuch«, die Feltrinellis Weltruf als Verleger begründeten. Unter zahlreichen Werken der Weltliteratur kamen Henry Millers »Wendekreis des Krebses« und »Wendekreis des Steinbock« heraus. Seit 1962 gehörte Feltrinellis Kampfgefährte aus »Lotta Continua« Nanni Balestrini (»Die goldene Horde«) zum Verlagsteam.
Bevor Feltrinelli 1970 in den Untergrund ging, übergab er seiner dritten Frau Inge, von der er 1969 geschieden wurde, die Leitung des Verlages. Nach seinem Tod wurde sie Präsidentin, sein Sohn Carlo Besitzer. Zur Verwaltung des Verlages und seiner Bibliothek wurde die »Fondazione Giangiacomo Feltrinelli« gegründet, die sich laut Satzung mit sozialen und politischen Themensetzungen dem ideellen Erbe Feltrinellis verpflichtet fühlt. Mit rund 1,5 Millionen Archivblättern, 250.000 Bänden, 17.000 Zeitschriften und 14.000 politischen Plakaten verfügt die Stiftung heute europaweit über einen der reichsten Bestände zur Geschichte der Arbeiter-Bewegungen. In Mailand entstand 2017 ein fast 200 Meter langer und 32 Meter hoher gläserner Neubau als Sitz der Stiftung und des Verlages. Landesweit unterhält der Verlag über 110 Buchläden.