Reich geworden durch Sklavenhandel
Französische Unternehmen verdrängen ihre Vergangenheit. Das Gründerkapital kam nur zu oft aus dunkler Quelle
Die Spirituosen der Traditionsmarke Marie Brizard gehören zum Standardangebot jedes französischen Supermarks und auch im Export haben sie großen Erfolg. Doch wer weiß schon, daß das Mitte des 18. Jahrhunderts in Bordeaux gegründete Unternehmen seinerzeit am Sklavenhandel beteiligt war?
Bordeaux gehörte neben Nantes und Le Havre zu den Häfen, von denen mit französischer Ware beladene Schiffe nach Afrika aufbrachen, um sie dort gegen Sklaven einzutauschen und diese dann nach Nordamerika zu bringen. Dort wurden sie auf dem Sklavenmarkt verkauft, soweit man sie nicht gleich auf den firmeneigenen Zuckerrohrplantagen einsetzte, die die Brennereien von Marie Brizard mit Zucker versorgten. Das wird heute in der offiziellen Firmengeschichte ausgeblendet, aber Historiker finden in den Archiven durchaus noch Spuren davon.
Ähnlich lagen die Dinge bei der Brennerei Hennessy, die seit ihrer Gründung 1765 in der Küstenstadt Cognac ihren Brandwein fässerweise über Bordeaux nach Afrika schickte und dort Sklaven für Amerika einkaufte. Heute gehört die noble Cognac- und Champagner Marke Hennessy längst zum hochprofitablen Luxusartikelkonzern LVMH des Milliardärs Bernard Arnault.
Hinweise auf Sklavenhandel gebe es im Unternehmensarchiv nicht, läßt man hartnäckige Journalisten wissen und dabei verbirgt man nicht die Empörung, damit überhaupt in Verbindung gebracht zu werden.
Bei anderen Unternehmen sind die dunklen Quellen des Startkapitals schwerer zu erkennen, weil sich die Spuren durch vielfache Firmenverkäufe oder Zukäufe, Fusionen oder Umbenennungen verloren haben. Während sich beispielsweise in Britannien unter dem Eindruck der weltweiten Bewegung Black Lives Matter die Royal Bank of Scotland, die Lloyds Bank, die Bank of England oder die Bierbrauereigruppe Greene King in den vergangenen Wochen zu ihrer Sklavenhandelsvergangenheit bekannt und sich dafür in aller Form entschuldigt haben, ist in Frankreich bisher keine Bank und kein Unternehmen in dieser Weise in Erscheinung getreten.
»Die denken wohl, sie kommen durch Verdrängen davon«, meint der Historiker Eric Saugera. »Dabei sind von Frankreich aus im Verlaufe von 200 Jahren insgesamt 4.000 Schiffe nach Afrika zum Sklavenhandel aufgebrochen.« Das seien allerdings weniger als die Sklavenhandelsschiffe, die in England allein vom Hafen Liverpool aus in See stachen. »Im Gegensatz zu England, das im Sklavenhandel mit Abstand führend war, handelte es sich in Frankreich oft nur um ein Gelegenheitsgeschäft, und die meisten Reeder und Händler ließen es bei dem vergleichsweise großen Gewinn aus einer oder zwei Rotationen bewenden«, präzisiert Saugera. »Auf längere Sicht scheuten sie die damit verbundenen Risiken, denn nur zu oft gab es Meutereien der Sklaven an Bord oder Überfälle durch Piraten.«
Immer wieder können Historiker Spuren in diese belastete Vergangenheit freilegen. So ist 1804, als auf Haiti die Unabhängigkeit der Insel proklamiert wurde, nachdem bereits unter dem Eindruck der Französischen Revolution die Sklaven ihre Freiheit erkämpft hatten, der Großgrundbesitzer Jacob du Pan von dort nach Frankreich geflüchtet und hat sein Vermögen mitgebracht, das aus der Ausbeutung von Sklaven auf seinen Zuckerrohrplantagen stammte. Mit diesem Geld gründete er 1816 zunächst in Rouen und dann auch in Paris eine Versicherung, die Compagnie d‘assurances mutuelles contre l’incendie. Die ging später in der Groupe des Assurances de Paris auf, die 1989 von Frankreichs größtem Versicherungskonzern AXA übernommen wurde. Bei AXA weiß man offiziell nichts von dieser Vergangenheit.
Das Unternehmen für den Übersee-Handel SFCO (Société française pour le commerce avec l‘Outre-mer) hat nach seiner Gründung 1685 jahrzehntelang intensiv Sklavenhandel betrieben, doch da man sich heute nur noch mit Finanzgeschäften und Investitionen befaßt und dabei demonstrativ Gewicht auf Sozial- und Umweltverträglichkeit legt, glaubt man wohl genug Abstand zur finsteren Firmengeschichte gewonnen zu haben, um sie schweigend übergehen zu können.
Als 1800 die private, aber staatsnahe Banque de France entstand, gehörten zu den 18 Gründern auch Kaufleute, die mit dem Sklavenhandel reich geworden waren, mußte die heutige Staatsbank kleinlaut einräumen, nachdem Historiker sie mit den entsprechenden Dokumenten konfrontiert hatten. Studien des Historikers Frédéric Régent von der Universität Paris-I-Sorbonne haben ergeben, daß Geschäfte mit Sklaven Ende des 18. Jahrhunderts 4 bis 5 Prozent des Außenhandels Frankreichs ausmachten.
Doch selbst die Aufhebung der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhundert war noch einmal ein großes Geschäft. So hat Frankreich 1825 dem unabhängigen Haiti ein Abkommen über eine astronomische Entschädigungssumme für die enteigneten Sklavenhalter aufgezwungen. Als 1848 die durch die Französische Revolution schon einmal abgeschaffte, dann aber durch Napoleon wieder eingeführte Sklaverei endgültig aufgehoben wurde, zahlte der französische Staat an ehemalige Großgrundbesitzer in Réunion, Guadeloupe, Martinique, Guyana, dem Senegal und Madagaskar als Ersatz für deren insgesamt 248.560 Sklaven mehr als sieben Prozent des Staatshaushalts des Jahres 1849.
Wer konkret mit wie viel Goldfrancs abgefunden wurde und für welche Unternehmensgründungen oder Investitionen diese Mittel verwendet wurden, wird gegenwärtig durch ein Studienprojekt untersucht, das auf Initiative von Nichtregierungsorganisationen zustande kam und dessen Ergebnisse im Herbst veröffentlicht werden sollen. »Dabei dürfte der Schleier von der geschönten Firmengeschichte vieler Unternehmen zerreißen und deutlich werden, welch zentrale Rolle der Handel mit Sklaven und deren Ausbeutung für die Entwicklung des französischen Kapitalismus hatte«, ist der an diesem Projekt beteiligte afrikanische Wirtschaftshistoriker Pape Ndianye überzeugt.
Ralf Klingsieck, Paris
Bei AXA weiß man offiziell nichts von einer Sklavenhalter-Vergangenheit
(Foto: EPA/OLIVIER HOSLET)