Ausland05. Juni 2024

Drohnen im Einsatz über Libanon

Verzweifelte Suche nach Lösungen auf einem »Nebenschauplatz« des Nahost-Krieges

von Karin Leukefeld, Beirut

Hast du die Nachrichten gehört? Gestern haben sie unser Dorf bombardiert.« Herr H. der die Autorin am Flughafen in Beirut abholt, berichtet gleich die jüngsten Neuigkeiten. »Eine Frau wurde getötet, die Kinder wurden verletzt ins Krankenhaus eingeliefert«, fährt er fort. »Zwei Raketen von einer Drohne.« Er muß nicht sagen, wer die Drohne geschickt hat, um den Angriff durchzuführen. Nur die israelische Armee greift im Libanon Häuser von Zivilisten an.

Als die Autorin das letzte Mal Mitte Februar im Libanon unterwegs war, hatte Israel eine Drohne so programmiert, daß sie sechs Raketen auf ein Wohnhaus mitten in Nabatieh abfeuerte. Drei Generationen von einer Familie wurden getötet, als sie beim Abendessen zusammensaßen.

Wohnhäuser, landwirtschaftliche Gebäude oder Fahrzeuge und deren Fahrer, auch Ambulanzfahrzeuge sind nicht sicher vor den Drohnen der israelischen Armee. Immer wieder werden Felder, Obstplantagen, Weinstöcke und Olivenbäume mit Weißem Phosphor verbrannt. Die giftige Waffe, deren Einsatz in bewohnten Gebieten verboten ist, macht landwirtschaftliches Gelände auf Jahre hinaus unfruchtbar.

Konzentrierten sich die israelischen Angriffe zunächst auf die Gebiete entlang der libanesisch-israelischen Waffenstillstandslinie, auch »Blaue Linie« genannt, werden zunehmend Gebiete weit nördlich des Litani-Flusses bei Nabatieh, Saida oder auch in der Beeka-Ebene bei Baalbek angegriffen. Von libanesischer Seite werden die Opferzahlen täglich aktualisiert.

Die Souveränität
des Libanon

Die Hisbollah, die seit dem 8. Oktober 2023 zur Unterstützung des palästinensischen Widerstandes gegen die israelische Invasion in Gaza »Entlastungsangriffe« auf militärische Stellungen der israelischen Streitkräfte bis zu acht Kilometer südlich der Waffenstillstandslinie verübt, meldet bis zum Montag (3. Juni 2024) den Tod von 326 Hisbollah-Angehörigen. Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah, erklärte den Militäreinsatz wiederholt als Schutz der Souveränität des Libanon. Bei einer Rede am vergangenen Freitag betonte er erneut, der militärische Einsatz im Süden des Landes, sichere »die Zukunft des Libanon, seiner Wasser- und Ölressourcen und seine Souveränität«.

Hisbollah-Kommandos greifen mit Raketen militärische Infrastruktur wie Kasernen, Luftverteidigungsanlagen, Überwachungssysteme entlang der von Israel befestigten Waffenstillstandslinie, Abschußrampen und gepanzerte Fahrzeuge an. Mit Ort, Uhrzeit und eingesetzten Waffen werden Angriffe auf israelische Militärbasen, von denen aus Angriffe auf den Libanon gestartet oder gesteuert werden, von der Hisbollah dokumentiert. Die dazu verbreiteten Videos werden auch von der israelischen Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt.

Sobald ein Waffenstillstand in Gaza erreicht werde, würden die Waffen der Hisbollah schweigen, sagt die Hisbollah – sofern Israel sich daranhalten werde. Daß es der Hisbollah ernst ist, zeigte sich bei dem einwöchigen Waffenstillstand im November 2023, während dem mehr als 100 israelische Geiseln aus Gaza freikamen. Im Gegenzug ließ Israel mehr als 200 palästinensische Gefangene frei.

Kein Schutz für
die Zivilbevölkerung

Nach Angaben der libanesischen Tageszeitung »L’Orient Today« wurden seit dem 8. Oktober 2923 auf libanesischer Seite 70 Zivilisten, mehr als 20 Sanitäter und mindestens drei Journalisten bei israelischen Angriffen getötet. Nach Angaben von südlibanesischen Behörden wurden im gleichen Zeitraum 1.700 Gebäude zerstört und 14.000 weitere Gebäude beschädigt. Mehr als 90.000 Bewohner des südlibanesischen Grenzgebietes wurden evakuiert, viele von ihnen verloren durch die israelischen Angriffe ihre Häuser.

Wiederholt ist Israel von internationalen Hilfsorganisationen kritisiert worden, Zivilisten und zivile Infrastruktur nicht zu schützen, wie das humanitäre internationale Recht es gebietet. Bei einem Angriff auf ein medizinisches Notfallzentrum in Hebbarieh im Süden des Libanon wurden im März sieben freiwillige Sanitäter getötet. Der Libanon hat wiederholt Beschwerden bei der UNO gegen die israelischen Angriffe eingereicht. Genannt werden dabei auch Angriffe mit Brandbomben. Für die Öffentlichkeit liegt bisher keine Reaktion seitens des UNO-Sicherheitsrates vor.

Auf libanesischer Seite stieg die Zahl der Opfer am vergangenen Wochenende weiter an. Bei mehreren Angriffen wurden ein Sanitäter, eine Frau, zwei Brüder und vier Hisbollah-Angehörige getötet. 17 weitere Personen wurden verletzt und ein Dutzend Häuser wurde zerstört. Der Sanitäter war mit seiner Ambulanz unterwegs, als sein Fahrzeug bei Naqoura zerstört wurde. Sein Kollege wurde verletzt, beide arbeiteten für das Islamische Gesundheitskomitee, das zur Hisbollah gehört.

In Adloun, südlich von Saida, wurde eine Frau in ihrem Haus getötet, ihre Kinder wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht. Zwei Brüder, die zur Unterstützung ihrer Familien Milch- und Joghurtprodukte ausfahren, wurden auf ihrem Motorrad getötet. Nachdem die Hisbollah den Abschuß einer israelischen Drohne Hermes 900 meldete, verstärkte Israel seine Luftangriffe und bombardierte u.a. Gebäude im Beeka-Tal bei Baalbek. Nach Angaben von Beobachtern war es die 4. Überwachungs- und Angriffsdrohne der israelischen Streitkräfte, die von der Hisbollah abgeschossen wurde. Stückpreis nach Angaben des israelischen Militärs je nach Ausrüstung zwischen 18 -30 Millionen US-Dollar.

USA-Administration plant Abkommen

Die Regierung der USA will eine Ausweitung des Krieges in Gaza auf den Libanon vermeiden. Präsidentenberater Amos Hochstein reist zwischen Beirut, Tel Aviv und Washington hin und her, um eine Einigung zwischen dem Libanon und Israel über die Grenze entlang der »Blauen Linie« zu erreichen. Die Hisbollah und auch die libanesische Regierung haben erklärt, daß es keine Verhandlungen gebe, solange der Krieg gegen Gaza andauert.

Er erwarte »keinen immerwährenden Frieden zwischen Hisbollah und Israel«, erklärte Amos Hochstein im Gespräch mit der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden am 23. Mai. Doch ein Bündel von Vereinbarungen könnte die Spannungen lösen und zu einer von beiden Seiten anerkennten Grenze führen. »Das könnte einen weit bringen. Und zwar »in sehr kurzer Zeit.«

Die Israelis, die südlich und die Libanesen, die nördlich der »Waffenstillstandslinie« ihre Häuser verlassen mußten, sollten zurückkehren können. Gleichzeitig sollten die libanesischen Streitkräfte gestärkt werden. In einer zweiten Phase solle ein »Wirtschaftspaket für den Libanon« zeigen, daß »die internationale Gemeinschaft in sie investiert«. Dafür solle die Stromversorgung des Landes erneuert werden, um die Libanesen mit täglich zwölf Stunden Strom zu versorgen.

Aktuell gibt es nur wenige Stunden Strom aus dem öffentlichen Stromnetz. Wer bezahlen kann, kauft Strom vom Generator hinzu. Nach einem Wirtschaftspaket könne die Landesgrenze markiert werden, so Amos Hochstein weiter. Mit der Stabilisierung der Wirtschaft könne der Einfluß des Iran zurückgedrängt werden.

Was Hochstein nicht sagte ist, daß Israel als eine Art Sicherheitsgarantie fordert, daß die Hisbollah sich aus der Grenzregion rund 30 Kilometer bis hinter den Fluß Litani zurückziehen müsse. Die dann entstehende »Pufferzone« solle – auf libanesischem Territorium – von der UNO-Friedenstruppe UNIFIL und der libanesischen Armee kontrolliert werden.

Israel beruft sich dabei auf die UNO-Sicherheitsratsresolution 1701, mit der 2006 der Krieg beendet wurde. Darin heißt es, daß die Hisbollah keine militärische Präsenz entlang der »Blauen Linie« haben solle. Israel muß sich vom gesamten libanesischen Territorium zurückziehen. Aus Sicht des Libanon hält Israel große Teile von Palästina sowie Gebiete des Libanon besetzt, darunter die libanesischen Sheeba-Farmen.

Die Hisbollah – und mit ihr vermutlich eine Mehrheit der Libanesen, die sich noch an die letzte langjährige israelische Besatzung des Libanon in den Jahren 1982 bis 2000 erinnern – lehnen einen Rückzug der Hisbollah aus dem Grenzgebiet ab. Selbst wer kein Freund der Hisbollah ist, erkennt an, daß deren militärische Präsenz und Stärke die einzige Garantie dafür ist, daß der Libanon nicht erneut von Israel besetzt werden kann. Ein von Frankreich vorgelegter Plan schlägt ebenfalls eine ähnliche Mehr-Phasen-Lösung vor.

Alle Kraft für den Alltag

Für die Libanesen sind diese Planspiele weit entfernt. Ihr Alltag verlangt ihnen alle Kraft ab, um genug Essen für die Familie auf den Tisch zu bringen, um alle Kosten begleichen zu können. Viele können nur überleben, weil sie Hilfe von Verwandten aus dem Ausland bekommen. So können sie zusätzliche Stromkosten an den Besitzer eines großen Generators bezahlen, sich frisches Wasser liefern lassen oder auch die Chemotherapie für eine Krebsbehandlung bezahlen.

Armut, Unsicherheit, Drohungen und Perspektivlosigkeit bringen die libanesische Gesellschaft aus den Fugen. Die Kriminalitätsrate ist hoch, Entführungen zum Erpressen von Lösegeld nehmen zu. Es gibt Berichte über Zwangsprostitution, Vergewaltigung von Kindern. Junge Mädchen werden verschleppt, um sie auf dem illegalen Heiratsmarkt in den vielen syrischen Flüchtlingslagern meistbietend verkaufen zu können.

»Es wäre besser, die Syrer würden nach Hause gehen«, ist immer wieder zu hören. »Wer sie hier unterstützt, kann sie auch in Syrien unterstützen, damit sie zurückkehren können.« Vor einer Woche, am 27. Mai, wurden auf der inzwischen achten »Geberkonferenz für die Zukunft Syriens und der Region« in Brüssel 7,5 Milliarden Euro für die Versorgung von syrischen Flüchtlingen in der Türkei, Libanon, Jordanien, Irak eingeworben. Auch Inlandsvertriebene in Syrien – in Idlib und im syrisch-türkischen Grenzland von Idlib und Aleppo – sollen versorgt werden. Mehr als 6 Milliarden Euro brachten die EU und einige ihrer Mitgliedstaaten auf.

In Vorbereitung der Konferenz hatten sich in Nicosia, der Hauptstadt der Republik Zypern, Vertreter aus acht EU-Staaten getroffen, um darüber zu sprechen, wie die freiwillige Rückkehr von Syrern in ihre Heimat unterstützt werden könne. In einer gemeinsamen Erklärung forderten Vertreter aus Österreich, Tschechien, Zypern, Dänemark, Griechenland, Italien, Malta und Polen, daß die Situation in Syrien neu bewertet werden müsse. Zwar gebe es keine vollständige Stabilität im Land, doch die Lage habe sich weiten Teilen erheblich beruhigt.

Besonders Zypern sucht Unterstützung, weil es die vielen Menschen, die mit Booten aus dem Libanon an seinen Küsten anlanden, nicht mehr versorgen kann. Ursula von der Leyen bot im Namen der EU-Kommission dem Libanon 1,06 Milliarden US-Dollar an, um die Grenzen besser zu kontrollieren und den Strom der Menschen, die über das Mittelmeer nach Zypern und Italien gelangen wollen, zu stoppen.

Doch wie Zypern kann auch der Libanon die syrischen Flüchtlinge nicht länger versorgen. Darauf weisen verschiedene Regierungen des Landes seit Jahren und zuletzt auch Interimsministerpräsident Najib Mikati hin. Die einzige Perspektive für die Region ist die Rückkehr der Menschen in ihre Heimat.

Dafür benötigen sie Unterstützung, um in Syrien, im eigenen Land, wieder neu anfangen zu können. Grundvoraussetzung dafür wiederum ist die Aufhebung aller wirtschaftlichen Strafmaßnahmen und Sanktionen gegen Syrien, die von der EU und den USA gegen das Land verhängt worden sind. Sie blockieren die wirtschaftliche Erholung des Landes und die wirtschaftliche Stabilisierung der gesamten Region.