Frauen und Kinder im Visier der israelischen Armee
Kein Schutz, nirgends
Der Krieg Israels gegen Gaza ist auch ein Krieg gegen Frauen. Zu diesem Ergebnis kommt die UNO-Frauenorganisation bei der Vorstellung ihres jüngsten Berichts über die Lage der Frauen in dem palästinensischen Küstenstreifen. Seit Anfang Oktober seien »schätzungsweise« 9.000 Frauen von den israelischen Streitkräften getötet worden, so UNFEM. Die Zahl sei vermutlich eine »Unterschätzung«, da eine unbekannte Zahl von getöteten Frauen unter den Trümmern liege. Die Zahl der getöteten Frauen steige mit jedem Kriegstag um durchschnittlich 63. Täglich würden rund 37 Mütter getötet, die ihre Kinder und Familien noch schutzloser zurückließen, als sie in dem Krieg schon seien.
70 Prozent der Menschen, die seit Oktober 2023 im Gazastreifen durch die Angriffe der israelischen Armee getötet wurden, sind Frauen und Kinder
Vier von fünf Frauen berichteten, daß ihre Familien nur die Hälfte oder weniger Nahrung zu sich nehmen könnten als vor dem Krieg. Mütter oder erwachsene junge Frauen hätten die Aufgabe, nach Nahrungsmitteln zu suchen, was für Frauen schwieriger sei als für Männer, die sich eher durchboxen würden. Frauen berichteten, daß sie unter den Trümmern und im Müll nach Nahrungsmitteln suchten und selbst weniger essen würden, als die anderen Mitglieder der Familie. In 95 Prozent der Fälle verzichteten die Mütter auf ihr Essen, damit die Kinder wenigstens eine Mahlzeit am Tag bekommen.
Die gesamte Bevölkerung von Gaza, 2,3 Millionen Menschen, darunter mehr als 1 Million Kinder, stehe vor einer akuten Hungersnot, so die UNO-Frauenorganisation. Der ganze palästinensische Gazastreifen stehe am Rand des Hungertodes.
Zehn von zwölf in Gaza befragten Frauenorganisationen gaben an, nur teilweise noch einsatzbereit zu sein und Nothilfedienste leisten zu können. Diejenigen, die ausgebildet sind, Frauen in vielen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, brauchen in Gaza heute selber Hilfe. Organisationen die, wie die UNO-Organisationen für Kinder (UNICEF), Frauen (UNFEM), Gefangene, Folteropfer, Opfer von Gewalt gegründet wurden, um zu helfen, können heute niemanden mehr schützen.
Tod in Gaza
Krankenhäuser werden bombardiert, Schulen und Universitäten zerstört, Kirchen und Moscheen zerbombt. Und selbst wenn eine Hilfsorganisation noch nicht zerstört wurde, fehlt es an Hilfsgütern, die von Israel – und von fanatischen Siedlern – an den Grenzübergängen aufgehalten werden. In Kliniken fehlt es an Medikamenten, an medizinischen Instrumenten, an Sauerstoff und Betäubungsmitteln, um schwere Operationen durchzuführen. Viele schwer verletzte Frauen und Kinder werden ohne Betäubungsmittel amputiert, Frauen bringen ohne Betäubungsmittel ihre Kinder mit Kaiserschnitt zur Welt. Es fehlt an Kleidung, Schuhen, Decken. Es fehlt an Hygieneartikeln und Babynahrung. Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza, es gibt keinen Schutz für Frauen und Kinder.
»Feministinnen, wo seid Ihr?«
»Feministinnen, wo zum Teufel wart ihr«, fragt Hala Hanina, eine junge Frau aus Gaza in einem Video, das sie auf einem Instagram-Kanal verbreitet. Fotos sind zu sehen von jungen Frauen, die stolz die Robe und den Doktorhut nach dem Abschluß ihres Universitätsstudiums tragen. Junge Frauen bei einem Ausflug, im Café, am Meer. Es sind Erinnerungsfotos, die Freunde und Freundinnen, Kinder, Mütter aufbewahren. Alle lächeln, alle sind jung, alle tragen – wie Hala – ein Kopftuch.
»Kennt Ihr einen Namen der Frauen, die seit Oktober in Gaza getötet wurden?«, fragt Hala und zeigt Fotos von Mädchen, deren Beine, Hände amputiert wurden. Neben einem der Mädchen steht ein Foto, das sie als stolze Bogenschützin in einem Wettbewerb zeigt. »Sie müssen unglaubliches Leid durchmachen, wenn ihnen ihre Arme oder Beine amputiert werden«, kommentiert Hala. Dann folgt eine kurze Filmsequenz, in der israelische Soldaten in eine Straße hineinschießen. Auf der einen Seite der Straße ist ein Laden, in dem ein Verletzter liegt, doch es sind nicht genügend Menschen dort, die den Verletzten in Sicherheit tragen könnten.
Auf der anderen Seite tritt eine Frau aus dem Haus, wirft den Umstehenden ihren Umhang zu und läuft gebückt – um den Kugeln zu entgehen – zu dem Verletzten hinüber. Wenig später trägt sie gemeinsam mit anderen den Verletzten auf einer Trage zurück, im Laufschritt, während geschossen wird. »Habt Ihr die Gewalt in Gaza nicht gesehen? Habt Ihr nichts gesagt?«
Hala Hanina spricht ruhig, aber der Zorn ist ihr anzumerken. 1 Million Frauen und Mädchen erführen unerträgliches Leid und Gewalt. Frauen seien Witwen geworden, ihre Kinder seien vor ihren Augen getötet worden. Ob die Feministinnen der Welt nichts davon wüßten, und wenn doch, warum sie dagegen nichts unternehmen, fragt Hala Hanina.
Medien in aller Welt und Personen wie Hillary Clinton, die als Feministin auftritt, hätten aufgeschrien, als über unbewiesene Vorwürfe von sexueller Gewalt und Vergewaltigungen an israelischen Frauen am 7. Oktober berichtet wurde. Doch niemand habe aufgeschrien, als die UNO-Frauenorganisation ihren Bericht über die Folter an den palästinensischen Frauen veröffentlichte. »Frauen werden gewaltsam ausgezogen, sexuell genötigt, müssen sich ungewollt fotografieren lassen, werden in Käfigen eingesperrt, beleidigt, geschlagen«, so Hanina.
Selfies vor den Trümmern
Die Organisation Euro-Med Human Rights Monitor legte parallel zu UNFEM Augenzeugenberichte von Palästinenserinnen vor, die in israelischer Militärhaft sexueller Gewalt, Folter, unmenschlicher Behandlung, Leibesvisitationen und Androhung von Vergewaltigung ausgesetzt waren. Die Drohungen und Schläge kamen von männlichen und weiblichen Soldaten, die sie während der Folter mit ihren Handys fotografierten, berichteten die Frauen.
Sie sei noch nie israelischen Soldatinnen begegnet, sagt Hala Hanina. Sie habe Fotos gesehen, die die Soldatinnen selber verbreitet hätten. Am Strand von Gaza, nachdem sie die ganzen Strandanlagen zerstört hätten, habe eine Soldatin gesagt, das nächste Mal werde sie ihren Bikini mitbringen. Und vor der Kulisse der Ruinenlandschaft von Gaza, wo eine Gruppe Soldatinnen Selfies gemacht haben. »Sie sehen so reizend aus, wenn sie mit Entenmäulern Selfies vor den Trümmern unserer Häuser machen. Und sie sind so grausam.«
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Bilanz des Schreckens
Nach 151 Tages israelischer Angriffe veröffentlichte das palästinensische Gesundheitsministerium eine Bilanz des Schreckens:
30.534 Tote, die wirkliche Zahl ist unbekannt, dürfte aber wesentlich höher sein
Unter den registrierten Todesopfern sind 13.430 Kinder und 8.900 Frauen, 364 Mediziner und 132 Journalisten
71.920 Menschen wurden verletzt
Über 1.000 Bildungs-, Gesundheits- und Kultureinrichtungen sowie Moscheen und Kirchen sind zerstört.