Ausland31. Mai 2022

»Mehr Sicherheit durch mehr Waffen«

NRA versammelt sich in Texas, während Waffenaktien an der Wall Street in die Höhe schnellen

von C.J. Atkins, People's World, New York

In Texas hatten noch nicht einmal die Trauerfeiern für die 19 Schulkinder und zwei Lehrer stattgefunden, die am Dienstag in der Robb-Grundschule ermordet wurden. Die Familien sind nach wie vor in Trauer und bitten um Informationen darüber, warum die Strafverfolgungsbehörden zögerten, als ihre Angehörigen niedergeschossen wurden.

Aber das hielt den ehemaligen Präsidenten Donald Trump, republikanische Abgeordnete und die Waffenhändler nicht davon ab, sich am Wochenende in Houston zu versammeln, um auf dem Jahreskongreß der National Rifle Association (NRA) drei Tage lang die Waffen zu feiern.

An der Wall Street feiern die größten Waffen- und Munitionshersteller des Landes ebenfalls eine Party – denn ihre Aktienkurse steigen. Smith & Wesson legte in den Tagen unmittelbar nach dem Massaker um 8,4 Prozent zu. Sturm, Ruger & Co. stiegen um 5,7 Prozent. Für den Geschoßhersteller Olin betrug der Zuwachs 3,8 Prozent. Der größte Gewinner war Ammo Inc. mit Sitz in Arizona, ein Hersteller von Munition und Eigentümer von GunBroker.com, dem größten Online-Marktplatz für Waffen. deren Aktienkurs sprang um mehr als 12 Prozent nach oben.

Inzwischen ist der Ablauf bekannt. Nach einem Massaker beeilt sich die NRA, die Schuld für die Förderung der Gewaltkultur von sich abzulenken, während sie im Namen der »Sicherheit« zu weiteren Waffenkäufen auffordert. In Washington und in den Hauptstädten der Bundesstaaten setzt der politische Arm der Waffenlobby – die Republikanische Partei (»Grand Old Party«, GOP) – alles daran, jede mögliche Regulierung von Schußwaffen zu sabotieren. Und die Waffenhersteller belohnen beide für die Anstrengungen, die sie zum Schutz ihrer Gewinne unternehmen.

Die ganze Angelegenheit basiert auf der Umwandlung von Angst in Stimmen für die GOP und in Dollars für die Aktionäre.

Waffenparty stößt auf Proteste

Obwohl einige Politiker und Promis der NRA-Konferenz in Houston ferngeblieben sind, war Trump der Hauptredner. Zu ihm gesellen sich andere Lieblinge der extremen Rechten, wie Senator Ted Cruz und die Gouverneurin von South Dakota, Kristi Noem. Der texanische Gouverneur Gregg Abbott, der vor einigen Jahren sagte, es sei ihm »peinlich«, daß sein Bundesstaat bei Waffenkäufen nicht die Nummer eins in der Nation sei, wandte sich per Video an die Versammlung.

Kommentare von Rocky Marshall, einem ehemaligen NRA-Vorstandsmitglied, gaben einen Vorgeschmack auf die erwartete Botschaft der Organisation. Marshall sagte, das Massaker von Uvalde werfe »ein schlechtes Licht auf die Versammlung«, aber die freie und leichte Verfügbarkeit von militärischen Sturmgewehren sei nicht das Problem. Stattdessen schob er die Schuld auf »Geisteskrankheiten und unzureichende Schulsicherheit«.

Aktivisten organisierten Proteste zur Begrüßung der Kongreßbesucher und beobachten, welche politischen Führer kommen, um der Waffenlobby ihre Treue zu schwören. »Die eigentliche Frage ist nun, welche gewählten Vertreter sich auf die Seite der Gewalt stellen und an diesem Wochenende in Houston den Ring küssen werden, anstatt sich auf die Seite der Gemeinden zu stellen, die nach öffentlicher Sicherheit schreien«, erklärte Shannon Watts, Gründerin von Moms Demand Action.

Cesar Espinosa ist Geschäftsführer der in Houston ansässigen Einwandererrechtsgruppe FIEL (Familias Inmigrantes y Estudiantes en la Lucha / Immigrantenfamilien und Studenten im Kampf). FIEL ist eine der Organisationen, die die Proteste an diesem Wochenende anführten. »Dies ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort für diese Versammlung«, sagte er. »Wir dürfen uns nicht mit Gedanken und Gebeten der Gesetzgeber begnügen, sondern müssen handeln, um diese Krise der öffentlichen Gesundheit, die unsere Gemeinden betrifft, zu bewältigen.«

Im Jahr 1999, unmittelbar nach der Schießerei an der Columbine High School in Colorado, fiel die NRA in Denver ein, um ein großes Waffentreffen abzuhalten. In Houston folgten sie am Wochenende dem gleichen Muster: Sie spucken den Familien der Opfer ins Gesicht.

Mit dem Töten ein Geschäft machen

Wenn es um die politische Ökonomie von Massakern geht, ist das Muster, das dahinter steckt, eigentlich ganz einfach. Sobald sich ein Massaker ereignet, ist unweigerlich von strengeren Waffenkontrollgesetzen die Rede. Dies kommt sowohl von Aktivisten und von der Demokratischen Partei, die etwas gegen den automatisierten Mord unternehmen wollen, als auch von den Rechten, die die Situation ausnutzen wollen, um mehr Waffen zu verkaufen.

»Warum sind wir bereit, mit diesem Gemetzel zu leben?« fragte Präsident Joe Biden, ein langjähriger Verfechter der Waffenkontrolle, als er noch im Senat saß, nach Uvalde. »Warum lassen wir das weiterhin zu? Wo in Gottes Namen ist unser Rückgrat?«

Die Antwort ist natürlich im Kongreß und an der Wall Street zu finden.

Das von Abgeordneten der Demokratischen Partei dominierte Repräsentantenhaus hat mehrere Maßnahmen zur Waffenkontrolle verabschiedet, aber die Garantie eines Filibusters* im gespaltenen Senat bedeutet, daß wieder einmal nichts getan wird, um sofort auf diese Krise zu reagieren. Der Vorsitzende der GOP im Senat, Mitch McConnell, hat signalisiert, daß er nicht die Absicht hat, der Waffengesetzgebung Gehör zu schenken.

Alles beim Alten

Sobald Gesetzesvorschläge gemacht werden, laufen die NRA und ihre Verbündeten Sturm – im übertragenen und im wörtlichen Sinne – gegen Angriffe auf den zweiten Verfassungszusatz. Den Bürgern wird erzählt, daß die Regierung plant, ihnen alle Waffen wegzunehmen.

Was geschieht dann? Die Waffenhersteller und -händler sehen zu, wie die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen. Sie wiederum finanzieren weiterhin die Aktivitäten der NRA, die selbst ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen ist. Es kommt zu Panikkäufen, Spenden für die NRA fließen in Strömen, und die Aktionäre der Waffenhersteller machen Kasse. (Es ist erwähnenswert, daß das einzige Massaker der letzten Zeit, das nicht zu einem sofortigen Anstieg der Aktienkurse von Waffenherstellern führte, das Massaker in einem Lebensmittelladen in Buffalo war, bei dem die meisten Opfer Schwarze waren).

Natürlich dürfen die anderen Nutznießer dieses Zyklus nicht vergessen werden – Senator McConnell und die Republikanische Partei. Die NRA kann sich darauf verlassen, daß die Stimmen und Dollars ihrer Mitglieder bei jeder Wahl in den Schoß der GOP fließen. Die Republikaner im Kongreß sorgen im Gegenzug dafür, daß kein ernsthaftes Waffengesetz jemals verabschiedet wird. Und in den von ihnen kontrollierten Bundesstaaten schwächen sie in der Regel die bestehenden Waffengesetze nach einem Massaker.

Es ist eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung, die die Waffenindustrie, die Waffenlobby und die Republikanische Partei miteinander verbindet.

Die wichtige Rolle, die Massaker und die politischen Machenschaften der NRA-GOP-Allianz bei der Steigerung der Waffengewinne spielen, wurde von vielen Spitzenmanagern der Branche offen zugegeben. Auf einer globalen Konferenz für Einzelhändler, die 2015 vom Bankhaus Goldman Sachs veranstaltet wurde, erklärte der CEO von Dick's Sporting Goods, Ed Stack, daß »das Waffengeschäft durch die Ereignisse nach der Wahl [2012] und die Tragödie von Sandy Hook stark beschleunigt wurde.« Er bezog sich damit auf das Massaker an Schulkindern in der Sandy Hook Elementary School in Newtown im Jahr 2012.

Ein Jahr zuvor hatte James Debney, der Vorstandsvorsitzende von Smith & Wesson, bei einem Investorentreffen erklärt, daß »die Tragödie in Newtown und die Gesetzeslage« den Umsatz »erheblich« in die Höhe getrieben hätten. Er kommentierte, daß »die Angst und die Ungewißheit, daß es eine verstärkte Waffenkontrolle geben könnte, viele Menschen dazu gebracht hat, zum ersten Mal Feuerwaffen zu kaufen. Man kann sehen, daß nach einer Tragödie auch viel gekauft wird.«

Tommy Milner, der Chef von Cabela's, einem der führenden Waffenhändler, war sogar noch unverblümter. Vor einer Gruppe von Investoren in Nebraska erklärte er 2015, daß das Geschäft seines Unternehmens »senkrecht nach oben ging... ich meine, es wurde einfach verrückt.« In der Niederschrift der Konferenz heißt es, daß Milner den Aktionären erklärte, daß sein Unternehmen »nicht wie andere mit der Wimper gezuckt hat, um den Verkauf der AR-15 einzustellen«.

Die AR-15 ist ein halbautomatisches Gewehr, das auf der M-16 des USA-Militärs basiert und die Art von Waffe war, die in Sandy Hook, in Uvalde und bei so vielen anderen Massakern verwendet wurde. Die Entscheidung, diese spezielle Waffe weiterhin zu verkaufen, war für Cabela's ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Einzelhändlern und brachte »eine Menge neuer Kunden«.

Blockade der GOP im Senat

Die Krise der Waffengewalt im Land umzukehren ist eine langfristige Aufgabe, die viele verschiedene Formen annehmen wird – politische, kulturelle und wirtschaftliche. Es gibt jedoch bereits einige Maßnahmen, die sofort ergriffen werden könnten.

Im März letzten Jahres verabschiedete das Repräsentantenhaus zwei verschiedene Gesetzentwürfe zur Ausweitung und Verschärfung der Zuverlässigkeitsüberprüfungen für jeden, der eine Waffe kaufen möchte.

Einer von ihnen würde das sogenannte »Charleston-Schlupfloch« beseitigen, das nach dem Massaker von 2015 in South Carolina benannt ist und es einer Person ermöglicht, eine Waffe zu kaufen, wenn die Hintergrundprüfung nicht innerhalb von drei Tagen abgeschlossen ist. Das andere Gesetz zielt auf das sogenannte »Gun-Show-Schlupfloch« ab, das den privaten Verkauf von Schußwaffen auf Waffenmessen oder im Internet völlig unreguliert und ohne Hintergrundüberprüfung ermöglicht.

Keiner der beiden Gesetzesentwürfe wurde im Senat zur Abstimmung vorgelegt, was an Senator McConnell und der GOP liegt. Dort reicht die bloße Androhung einer Verschleppungstaktik durch die rechte Minderheit aus, um ein Gesetz zu Fall zu bringen, bevor es überhaupt angehört wird.

Da die Demokratische Partei nicht in der Lage ist, widerspenstige Gesetzgeber in ihrer eigenen rechten Fraktion wie Joe Manchin und Kyrsten Sinema zur Abschaffung des Filibusters zu bewegen, liegt es an den Wählern und den Volksorganisationen, die Zusammensetzung des Senats bei den Wahlen im Herbst zu ändern. Dort liegt der Schlüssel zu Fortschritten bei der Waffengesetzgebung – wie auch bei allen anderen Prioritäten, die den Menschen zugute kommen, von der Reform des Arbeitsrechts über den Wahlrechtsschutz bis hin zur COVID-Erleichterung und mehr.

 

Übersetzung: ZLV

 

*Filibusterei im Parlament ist die Taktik einer Minderheit, durch Dauerreden oder durch die bloße Androhung von Dauerreden eine Beschlußfassung durch die Mehrheit zu verhindern oder zu verzögern. Dabei wird hinter den Kulissen meist zugleich versucht, Überzeugungsarbeit bei einzelnen Abgeordneten der Mehrheitsfraktion gegen den Beschluß zu leisten. Der Filibuster geht auf die römische Tradition der Ermüdungsrede zurück.