Gazas Kinder verhungern
Schon mindestens 57 palästinensische Kinder an Folgen von Unterernährung gestorben. Tote auch bei Bombenangriff auf Krankenhaus
Genf – Die israelische Blockade des palästinensischen Gazastreifens hat bereits 57 Kindern das Leben genommen. Sie seien an den Folgen von Unterernährung gestorben, berichtete am Dienstag Rik Peeperkorn, der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Palästinensischen Gebieten, unter Berufung auf das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza in einer Videoschalte. Seine Organisation habe einen Anstieg an unterernährten Kindern in Gaza festgestellt. Viele litten an lebensbedrohlichen Lungenentzündungen und Durchfallerkrankungen. »Man stirbt normalerweise nicht an Hunger, sondern man stirbt an Krankheiten, die damit in Verbindung stehen«, erläuterte der Mediziner.
Aus der WHO-Zentrale in Genf in der Schweiz hieß es gestern, in den vergangenen Wochen seien im Gazastreifen wohl schon mehr als 57 Kinder wegen der von Israel bewußt herbeigeführten Hungerkrise gestorben. Seit Anfang März läßt das israelische Militär keinerlei Hilfslieferungen in den Küstenstreifen. Bereits am Montag hatte die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft vor einer sich zuspitzenden Hungersnot in Gaza gewarnt. Die FAO stützt sich dabei auf eine aktuelle Analyse, wonach mittlerweile die gesamte Bevölkerung Gazas – 2,1 Millionen Menschen – von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen ist.
Die WHO warnt auch vor langfristigen Folgen wegen der Lebensmittelknappheit. Die Unterernährungsraten in Gaza steigen, und der Hunger könnte dauerhafte Auswirkungen auf »eine ganze Generation« haben, erklärte Peeperkorn weiter. »Ohne ausreichend nahrhaftes Essen, sauberes Wasser und Zugang zu Gesundheitsversorgung wird eine ganze Generation dauerhaft betroffen sein.« Es drohten Wachstumsstörungen und Beeinträchtigungen der kognitiven Entwicklung. Er habe Kinder in Kliniken gesehen, die um Jahre jünger ausgesehen hätten, als sie waren.
Laut dem Welternährungsprogramm (WFP) ist für 470.000 Menschen in Gaza das äußerste Stadium einer Ernährungskrise eingetreten, das drohende Verhungern. Auch die gesamte übrige Bevölkerung leide unter akuter Ernährungsunsicherheit. Die humanitären Fortschritte während des Waffenstillstands zu Jahresbeginn seien zunichtegemacht worden. 71.000 Kinder und mehr als 17.000 Mütter brauchten dringend eine Behandlung wegen akuter Unterernährung. »Familien verhungern, während die Lebensmittel, die sie brauchen, an der Grenze lagern«, kritisierte WFP-Exekutivdirektorin Cindy McCain.
Bei einem neuerlichen israelischen Bombenangriff auf den Operationsbereich eines Krankenhauses in Chan Junis im Süden des Gazastreifens wurden am Dienstagmorgen drei Menschen getötet und viele weitere verletzt. Die Angreifer behaupteten, einen »Hamas-Terroristen« angegriffen zu haben, während die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa von einem »gezielten Angriff« auf den Journalisten Hassan Eslaiah sprach, der in der Klinik behandelt wurde. Eslaiah war bereits im April bei einem Angriff in der Nähe des Nasser-Krankenhauses in Chan Junis schwer verletzt worden. Zwei Journalistenkollegen wurden getötet.