Provokation vor Chinas Haustür
Angeschlagene Trump-Mannschaft sucht Profil im Südchinesischen Meer
Die Trump-Regierung hat zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen vor die Haustür Chinas entsandt. Die »USS Nimitz« und »USS Ronald Reagan« sowie die dazugehörigen Kampfflugzeuge, Hubschrauber, U-Boote, Kreuzer, Zerstörer, Fregatten, Logistik- und Versorgungsschiffe plus die ergänzenden strategischen Bombergeschwader repräsentieren zusammen mit einer Besatzung von rund 15.000 bis 20.000 Soldaten die klassische Interventionsstreitmacht des USA-Militärs.
Diese Streitmacht soll nach eigenen Angaben die »Freiheit der Schifffahrt« (Freedom of Navigation) im Südchinesischen Meer sichern. Eine Freiheit, die übrigens von niemandem bedroht wird, außer von den »Freiheitsverteidigern« selbst. Die Volksrepublik China wird sich kaum selbst von ihrem Handelsaustausch und ihrer lebensnotwendigen Versorgung abschneiden. »Sicherheit und Stabilität sind essentiell für den Frieden und die Prosperität aller Nationen und zu diesem Zweck war die US Navy im Pazifik präsent und bereit seit über 75 Jahren«, gab der Kommandeur der Einsatzgruppe, Konteradmiral Jim Kirk, zu Protokoll. Die US Navy ist also der selbstlose (und selbsternannte) Beschützer nicht nur der Freiheit, sondern auch des Friedens und der Prosperität.
In dieser Sicht werden Frieden und Freiheit natürlich in erster Linie durch China bedroht, aber auch durch Rußland und den Iran und manchmal auch durch Venezuela oder Nordkorea, weshalb ähnliche Operationen der USA auch im Persischen Golf, im Schwarzen Meer, in der Barentssee, im Gelben Meer oder der Karibik stattfinden.
»Freedom of Navigation Operations«, FONOPs, haben eine lange Geschichte. Imperiale maritime Mächte wie Portugal, Spanien, die Niederlande oder zuletzt Britannien sicherten mit solchen oder ähnlichen Operationen ihre möglichst exklusive Dominanz auf See. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf den strategisch bedeutenden Meerespassagen wie den Straßen von Gibraltar, Hormus, Malakka, dem Bosporus, dem Kap Hoorn und Kap der Guten Hoffnung sowie dem Panama- und dem Suezkanal. Wer diese Passagen kontrolliert, kontrolliert den weitaus größten Teil des Welthandels. Nicht ohne Grund hatte die britische Royal Navy an diesen strategischen Punkten entsprechende Militäreinrichtungen geschaffen. Nach 1945 ist diese Funktion von der US Navy weitgehend übernommen worden.
Im Südchinesischen Meer wähnen sich die USA-Strategen dazu in der angenehmen Position, als Anwalt der Interessen mehrerer Anrainerstaaten auftreten zu können. Die chinesischen Ansprüche im Südchinesischen Meer seien »zumeist komplett gesetzeswidrig«, ließ das Pompeo-Ministerium verlauten.
Es ist die übliche Bigotterie der USA-Propaganda, die zwar einen »ungerechtfertigten« Anspruch Chinas zu erkennen glaubt, aber großzügig unterschlägt, auf welche brutale Weise die damals noch britischen und anderen europäischen Siedler in Nordamerika zu ihrem Territorium gekommen sind. Nicht nur der Ausrottungskrieg gegen die Indianer, auch der erpreßte Verkauf der riesigen französischen und mexikanischen Gebiete, die Aneignung von Hawaii, Guam, Puerto Rico, der Marianen, der Jungfraueninseln sowie Samoas ist selbstverständlich kein Thema.
Die USA-Propaganda gefiel sich schon immer in der Rolle des globalen Chefanklägers, der die Probleme der anderen zu gewaltigen Dimensionen aufzublasen weiß, so daß über die ungeheuren Leichenberge im eigenen Keller der Mantel des Vergessens gebreitet werden kann.
Die historischen Hintergründe der Konflikte im Südchinesischen Meer sind einigermaßen kompliziert und entziehen sich an dieser Stelle einer detaillierten Darstellung. Die Volksrepublik China macht seit 1958 den weitaus größten Teil des Südchinesischen Meeres innerhalb einer »Neun-Linien-Zone«als territoriales Gewässer für sich geltend. Diese Ansprüche gründen sich auf historische Dokumente, zum Teil aus der Frühzeit des chinesischen Kaiserreiches. China war über Jahrtausende die dominante Macht in Ostasien und beherrschte lange Zeit auch das Südchinesische Meer, bis es nach den Opiumkriegen von Britannien und den übrigen imperialistischen Mächten mit »ungleichen Verträgen« in ein »Jahrhundert der Demütigung« gezwungen wurde.
Das so geschwächte und vom Bürgerkrieg zerrissene China wurde vor und im Zweiten Weltkrieg Opfer der japanischen Expansion. Auch das Südchinesische Meer wurde Teil der von Japan annektierten Gebiete. Japan hat diesen Krieg verloren. Die von ihm okkupierten Gebiete mußten zurückgegeben werden. Daran gab es über lange Zeit wenig Zweifel.
Als nach 1945 die Kolonialreiche zusammenbrachen, versuchten die ehemaligen Herren nicht selten, ihren Einfluß mit dem berühmten »Teile und Herrsche!« zu sichern. Dazu bot sich reichlich Gelegenheit, weil viele Staatsgrenzen in der Vergangenheit immer wieder verändert worden waren und nun erst wieder neu definiert werden mußten. China war nicht allein in einen quasi-kolonialen Status geraten, auch die übrigen Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres standen unter kolonialer Herrschaft.
Gegenüber der Volksrepublik China wurde der tibetische, uigurische oder taiwanesische Separatismus aufgeboten und vom Westen mit Milliardensummen unterstützt. Auch Hongkong wurde zu einem westlichen Vorposten ausgebaut. Im Südchinesischen Meer überschneidet sich die von China beanspruchte »Neun-Linien-Zone« mit den Küstengewässern Vietnams, Malaysias, Bruneis und der Philippinen. Man kann natürlich die Frage stellen, inwieweit historische Grenzziehungen aus der chinesischen Kaiserzeit in heutigen Zeiten Relevanz haben. Würde man das allerdings tun, würde damit die gesamte territoriale Struktur des Globus in Frage gestellt. Es würden Begehrlichkeiten geweckt, die nur im Krieg enden können.
Es gibt vermutlich wenige Staaten, die nicht in der Lage wären, eine historische Situation zu reklamieren, die eine Gebietsforderung rechtfertigen würde. Die Akzeptanz der gegenwärtigen Grenzen ist eine Frage von Krieg und Frieden. Änderungen, auch der Grenzen im Südchinesischen Meer, können nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen.
Das ist natürlich nicht die Sicht der USA-Führung. Ihr geht es um eine Demonstration der Stärke. Die Flugzeugträger-Kampfgruppen und Nuklearbomber-Geschwader an den Grenzen Chinas sollen kompensieren, was bei der Corona-Doppelkrise schief gelaufen ist. Da die Trump-Regierung nicht nur beim Gesundheitsschutz, sondern auch bei der Sicherung der sozialen und ökonomischen Existenz ihrer Bürger kolossal versagt hat, ist ihre Chance, die Krise in strategischer Hinsicht einigermaßen gut zu meistern, ausgesprochen gering. Es ist im Gegenteil zu erwarten, daß die USA weiter in Rückstand gegenüber der Wirtschaftsentwicklung Chinas geraten. Peking hat im Gegensatz zu Washington schon wieder ein positives Wachstum für das zweite Quartal 2020 gemeldet. Die Prognosen für die USA-Ökonomie liegen unverändert düster bei rund minus 17 Prozent.
Mit der Ausrufung des »Pazifischen Jahrhunderts« 2011 stellte die Obama-Regierung die Weichen in Richtung Machtkampf gegen die eurasischen Mächte und ihre ökonomische Führungsmacht China. Die dramatische Entwicklung der Doppelkrise und die innere Spaltung der USA-Gesellschaft mit teilweise bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen bilden nun den Hintergrund für eine drastische Verschärfung dieses »hybriden« Kampfes um die globale Vorherrschaft. Die Trump-Regierung und der militärisch-geheimdienstlich-industrielle Komplex kämpfen an allen Fronten darum, Chinas Aufstieg, den Erfolg der eurasischen Integration, zu verhindern.
Die Provokationen im Südchinesischen Meer dienen daher auch vor allem politisch-strategischen Zielen. Die Volksbefreiungsarmee Chinas wüßte einen realen Angriff der dorthin entsandten USA-Militärs durchaus zu kontern. Der US Navy drohte ein gewaltiger Prestigeverlust. Trotz dieser chinesischen Fähigkeiten ist die Gefahr eines militärischen Konfliktes der Atommächte natürlich beträchtlich gesteigert worden.
Es geht aber vor allem darum, die südostasiatischen Staaten aus der Kooperation mit China, aus der Belt-and-Road-Initiative (Neue Seidenstraße, BRI) oder der Shanghai-Kooperation (SCO) herauszulösen und auf die Seite der USA zu ziehen. Es läßt sich nicht behaupten, daß dieser Versuch gänzlich erfolglos wäre. Die hindunationalistische Modi-Regierung in Indien beispielsweise hat nicht nur im Himalaja gezeigt, daß sie dieses Spiel mitzuspielen gedenkt. Indische Marineeinheiten haben sich auch an einem gemeinsamen Manöver mit der US Navy beteiligt. Zum ersten Mal in der Geschichte. Auch japanische Einheiten waren an den Manövern im Südchinesischen Meer beteiligt. Es geht auch darum, die engen Bindungen zu den USA-Alliierten zu stärken.
Die Ermutigung sich benachteiligt fühlender Anrainer (Vietnam, Malaysia, Philippinen) durch das provozierende Muskelspiel der USA könnte zu bewaffneten Konflikten mit der Volksrepublik China führen, die in eine direkte militärische Konfrontation mit den USA-Kräften münden können. Ob eine Waffenbrüderschaft mit dem zerfallenden USA-Imperium allerdings im längerfristigen Interesse dieser Staaten liegt, wofür es sich lohnt, die Vorteile des eurasischen Aufbaus und des Austausches mit der aufstrebenden Zukunftsmacht zu opfern, ist eine andere Frage.
Klaus Wagener
Der Aggressor im Südchinesischen Meer: Weltpolizist USA.
(Foto: U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist 3rd Class James Hong)