Luxemburg04. November 2023

Hoch gepokert und verloren

ArcelorMittal ist es nach einem weiteren schweren Grubenunglück nicht gelungen, die Verstaatlichung seiner Kasachstan-Tochter zu verhindern

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Das Grubenunglück am Morgen des 28. Oktober, bei dem nach letztem Stand 46 kasachische Kohlekumpel der Kostenko-Mine in Karaganda getötet wurden, war wohl das letzte, das ArcelorMittal zu verantworten hat. Nur wenige Stunden nach der Methangasexplosion im nach dem sowjetischen General Fjodor Jakowlewitsch Kostenko benannten Kohlebergwerk sah sich der offiziell in Luxemburg ansässige, aber tatsächlich von London aus gesteuerte zweitgrößte Stahlkonzern der Welt gezwungen, ein vorläufiges Abkommen zur Verstaatlichung der kasachischen ArcelorMittal-Tochter zu unterschreiben.

Zuvor hatten die Manager des Stahlkonzerns offenbar hoch gepokert und waren mit einem außerordentlichen Angebot an die Familien der getöteten Minenarbeiter sozusagen »all-in« gegangen. Wie kasachische Medien in dieser Woche berichteten, hieß es schon in der ersten Beileidsbekundung ArcelorMittals an die Familien der Hinterbliebenen, der Konzern werde ihnen »umfangreiche Sozialleistungen« zukommen lassen. Dazu gehöre ein »Schmerzensgeld« in Höhe von zehn Jahreslöhnen, eine Eigentumswohnung und die Übernahme der Ausbildungskosten der Kinder der getöteten Bergarbeiter.

Doch auch das half nicht mehr. Zu groß war die Wut der Arbeiter und ihrer Angehörigen in den acht Kohlegruben des Stahlkonzerns in dem zentralasiatischen Land. Das russischsprachige kasachische Nachrichteninternetportal Ulysmedia.kz hat die vielen tödlichen Unfälle in den Minen von AMT (ArcelorMittal Temirtau) seit der Übernahme kasachischer Kohleminen im Jahr 1995 zusammengetragen. Das erste ereignete sich noch im selben Jahr im Lenin-Bergwerk in Schachtinsk. Bei einer Methanexplosion starben 13 Kumpel. Nur drei Jahre später gab es in derselben Mine einen Toten, als bei einem Steinschlag Grubengas freigesetzt wurde. Wieder ein Jahr später tötete eine Methanexplosion in der Lenin-Mine drei weitere Bergleute.

Das bis dahin größte Unglück ereignete sich 2004 in der Schachtinskaja-Mine der gleichnamigen Stadt, als bei einer weiteren Grubengasexplosion 23 Kohlekumpel starben. Zwei Jahre später war es wieder an der Lenin-Mine, als eine Explosion 41 Arbeitern das Leben kostete. Wieder zwei Jahre später starben bei zwei Unglücken in den Bergwerksschächten Tentekskaja und Abajskaja 35 Menschen. Im Jahr 2017 wurden drei Kohlekumpel bei einem Gasaustritt im Bergwerk Kasachstanskaja getötet, 2021 sechs Arbeiter bei einem plötzlichen Methangasausstoß abermals in der Abajskaja-Mine und im vergangenen Jahr gab es zusammen sechs Tote bei einem Einsturz im Saranskaja-Bergwerk im März und einer Methanexplosion im Bergwerk Leninskaja im November.

Das bis Ende Oktober letzte schwere Unglück ereignete sich im August dieses Jahres, als bei einem Brand in der Schachtinsker Lenin-Grube fünf Bergleute starben. Einer von ihnen war der erfahrene Bohrer Denis Inkine. »Mein Sohn ist bei lebendigem Leib verbrannt. Ich habe ihn nie wieder gesehen, er wurde in einem geschlossenen Sarg beerdigt«, berichtete seine Mutter Galina Inkina, die selbst für ArcelorMittal gearbeitet hat. »Die werden immer reicher und wir verlieren unsere Kinder!«