Ausland10. November 2023

Melonis zweiter Flüchtlingsdeal

Italien: Schutzsuchende sollen nach Albanien in Aufnahmelager

von Gerhard Feldbauer

Auf ihrer Suche nach einer Möglichkeit, im Mittelmeer abgefangene Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, hat Italiens faschistische Regierungschefin Giorgia Meloni am Montag in Rom mit ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama eine Vereinbarung unterzeichnet. Der zufolge sollen bis zum kommenden Frühjahr zwei Aufnahmelager für Schutzsuchende mit jeweils 3.000 Plätzen in Albanien in Betrieb genommen werden. Ein Registrierungszentrum soll in der Hafenstadt Shëngjin im Norden des Landes entstehen. Noch ein paar Kilometer weiter nördlich, in Gjadër, soll ein zweites Zentrum für die Vorbereitung von Abschiebungen errichtet werden.

Die von dem jüngsten Flüchtlingsdeal Betroffenen – es wird mit etwa 36.000 Menschen pro Jahr gerechnet – sollen durch die Lager geschleust werden. In dieser Zeit sollen Anträge auf Asyl in Italien geprüft werden. Wird dieses gewährt, sollen die Menschen nach Italien ausreisen dürfen. Andernfalls sollen sie direkt von Albanien aus abgeschoben werden. Die Lager sollen nach den von der Meloni-Regierung erlassenen Gesetzen betrieben werden, während Albanien mit seinen Polizeikräften für Sicherheit und Überwachung zuständig ist.

Der sozialdemokratische Premier Rama sagte gegenüber der Mailänder Tageszeitung »Corriere della Sera«, Italien übernehme sämtliche Kosten für die Lager und Albanien werde keine Gegenleistungen erhalten. Vergleichbare Deals Tiranas mit anderen EU-Staaten seien nicht vorgesehen. Nach dem von Meloni »Abkommen der Brüderlichkeit« genannten Flüchtlingsdeal sollen nur im Mittelmeer von staatlichen italienischen Schiffen aufgegriffene oder gerettete Menschen ab dem Frühjahr 2024 in den Lagern in Albanien untergebracht werden. Zufall oder nicht, lag der EU-Kommission bei den Gesprächen über das am Mittwoch verabschiedete »Erweiterungspaket« auch ein Antrag aus Tirana vor, das seine Kandidatur für eine EU-Mitgliedschaft bereits im April 2009 eingereicht hatte. Premier Rama erklärte jedoch, daß Italien »ganz sicher keine« Unterstützung für einen schnelleren EU-Beitritt Albaniens zugesichert habe.

Das mit Albanien geschlossene Abkommen soll für Premierministerin Meloni jedoch »ein Modell für die Zusammenarbeit zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern bei der Bewältigung der Migrationsströme werden«. Es handle es sich um ein Abkommen, »das die strategische Partnerschaft zwischen Italien und Albanien stärkt« und im wesentlichen drei Ziele verfolge: den Menschenhandel zu bekämpfen, »irreguläre Migrationsströme zu verhindern und nur diejenigen in Europa willkommen zu heißen, die wirklich das Recht auf internationalen Schutz haben«, erklärte die extremrechte Regierungschefin im Interview mit der römischen Tageszeitung »Il Messaggero«.

Italienische Medien erinnerten anläßlich des neuen Flüchtlingsdeals daran, daß Meloni mit ihm wieder einmal an das Erbe Mussolinis anknüpfe – allerdings ist sie auch Parteichefin der Fratelli d’Italia, die aus Mussolinis faschistischer Partei hervorgegangen sind. Der »Duce« hatte der albanischen Reaktion 1926 geholfen, die Errungenschaften der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1920 zu zerschlagen. 1939 dann besetzte das faschistische Italien Albanien und verwandelte es in eine Kolonie.

Von den oppositionellen Mitte-Links-Parteien wird Melonis Deal scharf verurteilt. Das Abkommen sei ein offener Verstoß gegen die Regeln des Völkerrechts und des EU-europäischen Rechts, erklärte die Sekretärin des sozialdemokratischen Partito Democratico, Elena Schlein. Mit der Vereinbarung entstehe »eine Art italienisches Guantanamo«, sagte der Sekretär von Europa plus, der Abgeordnete Riccardo Magi. Auch der Sekretär der italienischen Linkspartei, Nicola Fratoianni, verurteilte das Abkommen. Er sprach von einer »Umsiedlung der geretteten Schiffbrüchigen nach Albanien«.

Die mit Albanien getroffene Vereinbarung ist nicht die erste ihrer Art unter Meloni. Vor einigen Monaten hatte die extremrechte Staatschefin bereits einen Flüchtlingsdeal zwischen der EU und dem Maghreb-Staat Tunesien eingefädelt.